Ich traue den Bayern ja einiges zu, aber die Entlassung von Julian Nagelsmann hat auch mich etwas überrascht. Über die Gründe kann ich nur spekulieren.
Im ersten Durchgang fiel mir dazu nur ein:
- Panik bei den Bayern-Verantwortlichen vor den Spielen gegen den BVB und Manchester City.
- Der Einfluss einiger Spieler auf das Management. Nichts Neues bei den Bayern. Und die Spieler (und ihre Berater) sitzen letztlich am längeren Hebel. Dass Nagelsmann die Kabine wirklich verloren hatte, wie dies wohl bei Carlo Ancelotti der Fall gewesen war, ist aber eher unwahrscheinlich.
- Mit Nagelsmann war man nicht wirklich zufrieden, und Thomas Tuchel war auf dem Markt. Tuchel war wohl eine Option für den Sommer 2024, aber die Zeit drängte, da auch andere Klubs um den Trainer warben. Erinnert an die Trennung von Jupp Heynckes, dessen Amtszeit für beendet erklärt wurde, als die Chance bestand, den damals weltweit begehrtesten Trainer zu verpflichten: Pep Guardiola. Uli Hoeneß damals: „Man bekommt ihn nur dieses Jahr.“ Dass bei den Bayern in einer solchen Situation das Geschwätz von gestern nicht mehr gilt, dafür steht der Präsident höchstpersönlich. Herbert Hainer noch vor wenigen Tagen: „Man erkennt einen deutlichen Fortschritt in den eineinhalb Jahren. Julian macht es sehr gut. Die Trainerdiskussion zwischendurch kam von außen, die haben nicht wir vom Zaun gebrochen.“ Was das für Trainer heißt: Augen auf, wer als Konkurrent auf dem Markt ist! Auch wenn Du erfolgreich bist: Sehen die Verantwortlichen einen vertragslosen (vermeintlich) Besseren, bist Du weg! Dass sie mit Dir einen Vertrag für die kommenden drei Jahre vereinbart haben, interessiert nicht. Aber immerhin bekommst Du eine nette Abfindung…Unsäglich.
Nun eine etwas andere Perspektive, vermittelt von einem Trainer, der auch nur zwei Jahr jünger ist als Nagelsmann. Dieser stellt die Frage, ob sich Nagelsmann im Alter von 34 Jahren bereits die Nummer Bayern antun musste. Er selber spüre, wie wichtig in diesem Job Erfahrung sei. Alles über das Spiel zu wissen genüge nicht. Schon gar nicht bei einem Verein wie den Bayern. Auch habe er den Eindruck, dass Nagelsmann ein bisschen zu stark hin- und her gesprungen sei, um es allen recht zu machen. Auch dies sei etwas, was man sich erst mit der Zeit abschleifen würde. Last and least: Der Autorität des Trainers sei die Beziehung zu einer "Bild"-Reporterin sicherlich nicht zuträglich: „Ich denke, das wird in der Kabine sehr kritisch gesehen. Da wird ihm ja bei jedem ‚Bild‘-Artikel über Spieler, Vorgänge etc. in der Kabine etwas unterstellt werden.“
Vielleicht waren die Bayern etwas zu sehr dem Nagelsmann-Hype erlegen. Wie heiß sie auf Nagelsmann waren, dokumentiert die Ablösesumme, die man RB zahlte (sowie die Abfindung, die er sich für den Fall einer vorzeitigen Entlassung in den Vertrag schreien ließ).
Vielleicht dachte man auch, dass nach den „Old School“-Nummern Ancelotti und Flick mal wieder ein „Guardiola“ angesagt sei. Nur war Guardiola bereits 42, als er bei den Bayern anheuerte. Außerdem hatte der Katalane schon zweimal die Champions League gewonnen. Der FC Barcelona, wo Guardiola zum Toptrainer aufstieg, war auch ein ganz anderer Verein als die Bayern. Guardiola war ein Kind Barcas, hatte viele Jahre für den Klub gespielt, zuvor das B-Team trainiert, kannte seinen Arbeitgeber bestens. Zudem hatte er mit Johan Cruyff einen extrem starken Mentor, der ihn gegen den erfahreneren Konkurrenten José Mourinho durchgedrückt hatte.
Nur: Das alles hätten die Bayern vorher wissen können. Aber offensichtlich ist so viel Geld in der Kasse, dass personelle Fehlentscheidungen bzw. teure Ablösen und Abfindungen nicht groß schmerzen. In diesem Lichte sollte man auch das Klagen über Verluste in der Pandemie, die Rufe nach Investoren, weil „uns“ die Engländer ansonsten abhängen, die Forderung nach einer Abschaffung von 50+1 sowie die periodischen Drohungen mit einer europäischen Liga bewerten. Fußball ist kein Business, sondern eine Geldverbrennungsmaschine. Geld ist mehr als ausreichend vorhanden, würden Sachverstand, wirtschaftliche Vernunft und perspektivisches Denken regieren, würde man sich innerhalb einigermaßen stabiler Leitplanken bewegen. Was aber nur sehr selten der Fall ist.