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Fußball

 

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Vor 30 Jahren, im Sommer 1992, ging in England die Premier League an den Start. Die Liga revolutionierte den englischen Klubfußball. Ihre Gründung verwandelte das Spiel in ein Multimilliarden-Pfund-Geschäft und machte seine Stars zu Millionären – die Premier League selbst entwickelte sich zu einer Weltliga. Die als „The Greatest Show on Earth“ beworbene Liga wird heute in insgesamt 195 Ländern gezeigt und ist seit 2001 die weltweit am meisten verfolgte Sportliga. Aktuell zählt sie eine Milliarde Zuschauer.
 

Wie alles anfing

Bereits 1983 hatten die „Big Five“ des englischen Fußballs – damals waren das: Liverpool, Everton, Manchester United, Arsenal und Tottenham Hotspur – gefordert, dass die Einnahmen aus den Heimspielen allein beim Gastgeber bleiben, anstatt, wie in der Zeit des Ersten Weltkriegs vereinbart, zu einem Teil an den Gastverein zu gehen. Außerdem verlangte die Gruppe die Reform eines Systems, demzufolge alle 92 Klubs der vier Profiklassen umfassenden Football League vier Prozent ihrer Zuschauereinnahmen in einen gemeinsamen Topf zahlten, aus dem dann alle Einzahler zu gleichen Teilen bedacht wurden. 1986 kam es zu einer Einigung im Sinne der „Big Five“. Fortan blieben 50 Prozent der TV-Gelder bei den Klubs aus der 1. Division, wie die oberste Spielklasse damals hieß. Die 2. Division erhielt 25 Prozent, die verbleibenden 25 Prozent teilten sich 3. und 4. Division. Der Beitrag für den gemeinsamen Topf wurde von vier auf drei Prozent reduziert.

Doch die „Big Five“ und andere Klubs des Oberhauses gaben sich damit nicht zufrieden. Als die älteste Liga der Welt 1988 ihren 100. Geburtstag feierte, drohten sie mit der Gründung einer autonomen Super League. Unterstützt wurde der Plan vom Fernsehsender ITV, der sich im Kampf um die Übertragungsrechte mit der neuen Konkurrenz der TV-Satelliten-Industrie konfrontiert sah. Für den Fall einer Abspaltung wurde den Klubs eine drastische Erhöhung der TV-Einnahmen in Aussicht gestellt. Zwar scheiterte der Versuch von ITV, dennoch blieb die Drohung mit dem Ende des gemeinsamen Hauses nicht ohne Folgen: Der Anteil der 1. Division an den TV-Einnahmen wurde auf 75 Prozent erhöht. Formal betrachtet blieb das League-System intakt, aber als nationaler Wettbewerb, der große und kleine, reiche und „arme“ Klubs integrierte und auf der Basis gegenseitigen Respekts und finanzieller Solidarität funktionierte, wurde das traditionsreiche „gemeinsame Haus“ schon damals demoliert.

Die Aufkündigung des Solidarprinzips korrespondierte mit dem neoliberalen Zeitgeist des Thatcherismus und wurde durch neue technische Möglichkeiten wie das Satellitenfernsehen und das sich anbahnende Pay-TV unterstützt.
 

Manchester United gewann den ersten Titel in der Premier League.
Manchester United gewann den ersten Titel in der Premier League. Damals u. a. mit dabei: Torhüter Peter Schmeichel (oben, 3. von links), Eric Cantona (oben, Mitte), Trainer/Manager Alex Ferguson (oben, 2. von rechts) und Ryan Giggs (unten, 2. von rechts). Foto: IMAGO/Colorsport

 

Die FA übernimmt

Der englische Verband, die Football Association (FA), nutzte die Differenzen innerhalb der Football League und ergriff die Initiative. 1991 warf der Verband einen Vorschlag mit dem Titel „The Blueprint for the Future of Football“ in die Diskussion, dessen Kernstück eine finanziell komplett eigenständige Premier League war, die nur noch über die Aufstiegs- und Abstiegsregelung mit dem Rest der League verbunden blieb und folglich nicht mehr länger mit den Klubs der anderen drei Profiligen TV-Einnahmen und Sponsorengelder teilen musste. Das Dokument gab auch die soziale Richtung an, die der Fußball einzuschlagen habe. Die Klubs sollten sich „upmarket“ orientieren, um sich die „wohlhabenderen Konsumenten aus den Mittelklassen zu erschließen“.

Bei ihrer Gründung hatte die FA noch auf dem Amateur-Ethos insistiert, in dem Glauben, die Bezahlung von Spielern würde die Reinheit und Ehrlichkeit des Spiels korrumpieren. Nun setzten sich die ehemaligen Sachwalter des Amateurfußballs an die Spitze der Abkoppelungsbewegung der Großen. Der damalige FA-Boss Graham Kelly gab später zu, das Hauptanliegen des Verbands sei das eigene Überleben gewesen. Dessen Macht war durch die ökonomische Stärke der großen Klubs und durch die Politik der TV-Anstalten arg angeschlagen. Die traditionsreiche FA bangte um ihren Anteil an der Geldschwemme, um die Zukunft der Nationalelf und die Kontrolle über den nationalen Fußball. Mit ähnlichen Herausforderungen sahen sich auch andere Verbände konfrontiert. Auch in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland entstanden Fußball-Stadtstaaten.

Allerdings erhoffte sich die FA von der Premier League auch eine bessere Nationalelf. Bei der EM 1992 schieden die Three Lions als Gruppenletzter aus, in den drei Spielen brachte das Team von Nationalcoach Graham Taylor nur ein Tor zustande. Für die WM 1994 konnte man sich nicht einmal qualifizieren. Besserung trat erst 1996 ein, als England die EM ausrichtete.

Am 20. Februar 1992 kündigten die Klubs der 1. Division ihre League-Mitgliedschaft auf. Drei Monate später wurde die FA Premier League (seit 2007 nur noch Premier League) als „limited company“ etabliert. Das traditionsreiche League-System, das wie kein anderes in Europa den Solidargedanken gepflegt hatte, war Vergangenheit. Die FA hatte vor dem Ansturm des Neoliberalismus kapituliert.

Ein zentrales Argument für die Abkoppelung des Oberhauses ist auch dem deutschen Fan geläufig. Es wird strapaziert, wenn der FC Bayern ein größeres Stück des TV-Kuchens fordert. Zusätzliche Einnahmen würden es den englischen Vereinen ermöglichen, mit Mannschaften in ganz Europa zu konkurrieren. Europas führende Liga war damals noch die Serie A, die viele der besten Spieler der Welt versammelte – und diese auch entsprechend entlohnte.

Die TV-Rechte für die neue Liga gingen an den Pay-TV-Sender BSkyB Der erste Vertrag lief über fünf Jahre und spülte 304 Mio. Pfund in ihre Kassen. Die öffentlich-rechtliche BBC erhielt nur den Zuschlag für das Highlights-Paket.
 

Bescheidene Anfänge

In der Premierensaison 1992/93 waren sämtliche Manager/Trainer der damals 22 Klubs Briten. Die Trikotsponsoren waren noch die traditionellen – JVC bei Arsenal, Sharp bei Manchester United – und auf den VHS-Markt ausgerichtet. Andere zielten eher auf den lokalen Markt anstatt auf Märkte in Übersee. Im Sommer 1992 war Manchester Uniteds teuerste Verpflichtung Dion Dublin und kam für eine Mio. Pfund von Cambridge United. In der Premierensaison wurde nur ein Trainer/Manager entlassen, Chelsea trennte sich vom Schotten Ian Porterfield, für ihn übernahm der Engländer Landsmann David Webb die Mannschaft. Zwei Jahre später kündigten 15 der 22 Premier-League-Klubs vorzeitig die Verträge ihrer Trainer/Manager. Ein Hinweis darauf, wie schnell das viele Geld vom TV und der damit verbundene Druck die Landschaft veränderte.

Auch die Transferpolitik änderte sich. Im Sommer 1993 musste Middlesbrough die Liga verlassen. Zwei Jahre später war „Boro“ zurück im Oberhaus. Spielte in einem neuen Stadion und startete eine Transferoffensive. In der Startformation standen nun der italienische Champions-League-Gewinner Fabrizio Ravanelli und die drei Brasilianer, Juninho Paulista, Emerson und Branco. Zum Klassenerhalt reichte es trotzdem nicht.

Das neue Geld zog zahlreiche ausländische Arbeitskräfte an. 1992 spielten nur elf Kicker im Oberhaus, die nicht britisch oder irisch waren. In der Saison 1995/96 waren es 65, 1998/99 166 und 2007/08 über 250. 2008 waren mehr als 75 Prozent der Spieler der „Big Four“ – inzwischen waren das Manchester United, Chelsea, Arsenal und der FC Liverpool – keine Engländer. Für die neue Weltoffenheit des englischen Ligafußballs waren nicht nur die hohen Gehälter, die nun dank der TV-Gelder und reicher Klubbesitzer gezahlt wurden, verantwortlich. Begünstigt wurde sie auch durch das Bosman-Urteil von 1995, das die bis dahin herrschenden Restriktionen für Ausländer im europäischen Sport zu Fall brachte und den europäischen Spieler-Pool für die englischen Klubs öffnete. Nicht-britische Akteure waren bis dahin im englischen Vereinsfußball eine Rarität. Nun entwickelte sich England zu einer höchst attraktiven Option für den modernen Fußballmigranten. Ende der 1990er hatten die Premier-League-Klubs auf dem globalen Fußballmarkt mit ihren italienischen und spanischen Rivalen Augenhöhe erreicht.
 

Tschüss Serie A

Da die Übertragungsrechte an BSKyB und damit an einen Satellitensender gingen, waren zunächst viele Haushalte von der Übertragung der Premier-League-Spiele ausgeschlossen. Channel 4 füllte die Lücke, indem der Sender für 1,5 Mio. Pfund die Rechte an der Serie A erwarb. Die Sendung hieß „Football Italia“. In der Saison 1992/93 spielten noch viele der weltbesten Fußballer in Italien. Channel 4 warb für sein Programm mit dem Slogan „Watch the World’s Premier League“. Die Message lautete: Die 1. Division mag sich jetzt Premier League nennen, aber die wahre Premier League, die internationale, ist die Serie A.

2008 beendete Channel 4 seine Berichterstattung über die Serie A. Das Pay-TV hatte sich mittlerweile durchgesetzt. Die Premier League war hochgradig attraktiv und die Serie A nicht mehr.

José Mourinho, der Chelsea 2005 zum ersten Meistertitel seit einem halben Jahrhundert geführt hatte, und im Sommer 2008 Inter Mailand übernahm, erklärte: „Der Rest der Welt mag den italienischen Fußball nicht.“ Korruption hatte schwer an der Glaubwürdigkeit der Liga genagt. Das Image des italienischen Fußballs wurde auch von Schlachten zwischen Hooligans und der Polizei rund um heruntergekommene Stadien geprägt, deren Ränge leer waren. Der Ire Liam Brady, der von 1980 bis 1987 in der Serie A gespielt hatte: „Fußball ist in Italien unverändert eine Religion, aber aufgrund des moralischen Bankrotts und der wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind die Fans in Scharen aus den Stadien gezogen.“

Hinzu kam ein Paradigmenwechsel auf dem Spielfeld. International suchten mehr und mehr Ligen und Vereine die Offensive und das kontrollierte Abenteuer. Die Jahre, in denen der AC Mailand Europa unterhielt, waren vorbei. Im Vergleich zu England und Spanien erschien der Serie-A-Fußball wieder als eher defensiv, was daheim nicht so sehr ein Problem war, wohl aber außerhalb der italienischen Grenzen. Das internationale Publikum bevorzugte nun den Fußball der Topligen Englands und Spaniens.

Auch besaßen die Hauptakteure der Serie A nicht mehr die Klasse von Spielern wie Marco van Basten, Ruud Gullit, Gabriel Batistuta, Franco Baresi, Roberto Baggio, Diego Maradona oder Michel Platini.
 

Die Premier League in Europa

In der Saison 2007/08 zogen mit Liverpool, Chelsea, Arsenal und Manchester United gleich vier Premier-League-Klubs ins Viertelfinale der Champions League ein. Im Halbfinale waren noch drei von ihnen dabei, da sich Liverpool und Arsenal im Viertelfinale miteinander maßen. Auch in der Saison 2006/07 hatten es mit Liverpool, United und Chelsea drei englische Klubs unter die letzten vier geschafft, womit erstmals in der Geschichte der Königsklasse ein Land in zwei aufeinanderfolgenden Jahren drei Halbfinalisten stellte. Zwar gab die Serie A in diesen Jahren kaum weniger Geld aus als die Premier League, doch die aktuellen Top-Spieler zog es eher nach England oder in Spaniens Primera Division. Italien war kaum noch dazu in der Lage, mit England und Spanien um Spieler zu konkurrieren, die sich auf dem Höhepunkt ihres Schaffens befanden. Hatte man in England Jahre zuvor neidisch nach Italien geschaut, war dies nun umgekehrt. Inzwischen wurde in Italien über „il modello inglese“ diskutiert. Themen waren die Renovierung der Stadien, die Beseitigung des Hooligan-Problems und die Vermarktung der Liga.

In den zehn Spielzeiten 1989/90 bis 1997/98 war die Serie A mit vier Titeln noch die erfolgreichste Liga gewesen. In acht der zehn Spielzeiten kam einer der beiden Finalisten im Europapokal der Landesmeister bzw. in der Champions League aus Italien. In den 24 Spielzeiten 1998/99 bis 2021/22 kam der Gewinner der Champions League nun elfmal aus Spanien, sechsmal aus England, je dreimal aus Deutschland und Italien und einmal aus Portugal. Das letzte Mal, dass ein italienischer Klub gewann, war in der Saison 2009/10 gewesen, als Inter Mailand den FC Bayern schlug. In den letzten fünf Spielzeiten 2017/18 bis 2021/22 kamen sechs der zehn Finalisten aus der Premier League. 2018/19 und 2020/21 war das Finale ein rein englisches.
 

Die Premier League als Weltliga

Dass die Premier League zur ersten global vermarktbaren nationalen Fußballiga avancierte, war auch der Historie geschuldet.

Die globale Ausbreitung des Spiels begann in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts und war eine Begleiterscheinung des britischen Imperialismus. Einige Nationen – namentlich Italien – strapazierten zwar eigene Volksspiele als Vorläufer des modernen Soccers – in der Absicht, die nationale Akzeptanz zu erhöhen und den Eindruck zu vermeiden, man folge einer ausländischen Mode. Doch spricht vieles dafür, dass die lokalen Traditionen beim Siegeszug des Soccers eine eher untergeordnete Rolle spielten. Soccer war ein britisches Erzeugnis und wurde Britanniens erfolgreichstes und dauerhaftestes Exportprodukt. Das Spiel breitete sich nicht nur in Ländern aus, wo der britische Imperialismus eine Direktherrschaft ausübte, sondern auch und gerade dort, wo Briten lediglich lebten und arbeiteten und einen eher informellen Einfluss ausübten. Wo der britische Herrschaftsapparat mehr oder weniger direkt präsent war, begünstigte das eher die Ausbreitung von Rugby und Cricket, die – im Gegensatz zum Soccer – außerhalb des Empires kaum eine Rolle spielten.

Als „Mutterland des Fußballs“ genoss England stets eine gewisse Anerkennung. Der englische Fußball behielt selbst in Phasen, in denen er stagnierte oder sogar gegenüber der Entwicklung auf dem Kontinent in Rückstand geriet, eine gewisse Faszination. Trotz der Nationalisierungsprozesse in vielen Ländern überlebte ein gewisses Maß an Anglophilie und erfuhr mit der Premier League und globalen Marken wie Manchester United, FC Liverpool und Chelsea eine neue Konjunktur. Hinzu kam der häufig unterschätzte anhaltende internationale kulturelle Einfluss des „Britischen“. Die „Amerikanisierung“ ist ein häufig diskutiertes Phänomen, aber das „Britische“ hat sich viel nachhaltiger etabliert.

Die Einnahmen aus der Auslandsvermarktung übersteigen mittlerweile die aus den Verträgen mit den einheimischen TV-Anstalten. In der Rechteperiode 2022 bis 2025 kassiert die Premier League 6,2 Milliarden Euro von internationalen Networks und etwa sechs Mrd. aus der nationalen Fernsehvermarktung.


Teil 2: ausländische Spieler und Trainer als Entwicklungshelfer, internationales Geld verändert die „Big Five“, Fankultur

 

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