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Die Reform der DFB-Trainerausbildung stößt auf Widerspruch. Bezüglich der Bewerbung für die neue A-Lizenz würde die eigene Profikarriere völlig überbewertet. Beispiel: Eine Assistenztrainertätigkeit in der 3. Liga wird mit 5 Punkten pro Saison belohnt, eine Saison als Bundesligaspieler hingegen mit 7 Punkten. Obwohl im ersten Falle der Beruf schon ausgeübt wird, also Berufserfahrung vorliegt. Der Blog Coaching Zone schreibt: „Ein Julian Nagelsmann bekäme bspw. keinen einzigen Punkt, da er nie in einer Junioren-Nationalmannschaft oder in einem Herrenteam gespielt hat. Jedem durchschnittlichen Drittligaspieler, der 5 Jahre in Liga 3 gespielt hat, wäre er so schon 15 Punkte hinterher. Wie kann es sein, dass die Erfahrung in einem vollkommen anderen Beruf (Fußballspieler) besser bewertet wird als die Erfahrung im Beruf selbst?“ Coaching Zone kritisiert auch die immensen Kosten, die beim Erwerb einer Lizenz fällig werden. Fazit: „Wie kann es sein, dass in einem der reichsten Sportverbände der Welt die Frage der Qualifikation in so starkem Maße abhängig ist von der Frage des Einkommens? (…) Der DFB nutzt seine in Bezug auf die Trainerausbildung fragwürdige Monopolstellung aus und gestaltet die Trainerausbildung so, dass Talente aus verschiedensten Gründen nicht die Spitze erreichen werden, wenn sie ihren Weg im DFB gehen möchten.“
 

Trainer, die keine Profis waren:

  • Julian Nagelsmann (Bayern München): Kein Pflichtspiel im Herrenbereich. Nur Juniorenspieler
  • Ralf Rangnick (Hoffenheim, Schalke, RB Leipzig etc.): Oberliga
  • Pellegrino Matarazzo (VfB Stuttgart): Oberliga und Regionalliga
  • Christian Streich (SC Freiburg): Oberliga
  • Edin Terzic (mit dem BVB Pokalsieger 2021): Oberliga und Regionalliga
  • Tim Walter (Hamburger SV): Verbandsliga
  • Thomas Tuchel (Chelsea): Regionalliga
  • Daniel Farke (Norwich City, Premier League): Oberliga
  • Lukas Kwasniok (SC Paderborn): Oberliga
  • Robert Klauß (1. FC Nürnberg): Oberliga
  • Florian Kohfeldt (VfL Wolfsburg): 3. Mannschaft von Werder Bremen, die in der Bremen Liga spielte
  • Christian Titz (1. FC Magdeburg): einige Einsätze in der Regionalliga
  • Volker Finke (Erfinder des modernen SC Freiburg und taktischer Reformer des BL-Fußballs): Oberliga
  • Frank Schmidt (1. FC Heidenheim) gehörte zwar eine Saison zum BL-Kader des 1. FC Nürnberg, blieb dort aber ohne Einsatz.

Diese Trainer hätten Probleme mit der neuen A-Lizenz. Zumindest auf einige von ihnen müssten wir verzichten.

 


Ein Jockey muss kein Rennpferd gewesen sein

Eine Profikarriere kann für den Trainerjob sehr hilfreich sein – sofern man auch die anderen Facetten dieses Berufs beherrscht. Dass man mehr Ex-Profis in diesen Beruf hereinholen will, ist nicht per se schlecht. Es ist sogar gut. Nur sollte man nicht übertreiben. Und schon gar nicht sollte man dies auf Kosten der Trainertalente gestalten, die keine Profikarriere vorweisen können.

Im Übrigen ist es noch nie so gewesen, dass ein großer Spieler automatisch ein großer Trainer wurde. Ein Überflieger in der Schule wird auch nicht automatisch ein guter Lehrer. Viele Fußballer – und das ist mitnichten despektierlich gemeint – sind auch nur für den Job des Fußballers qualifiziert. So wie viele mittelmäßige Fußballer besser mit dem Job des Trainers oder Sportdirektors bedient sind. Manche entdecken schon sehr früh, dass Trainer ihr eigentliches Spielfeld ist.

Ein Trainer muss kein großer Spieler gewesen sein. Zu wissen, wie die Kabine tickt, ist zwar sicherlich hilfreich, aber dazu muss man nicht 300-mal in der 1. Liga und 50-mal in Nationaltrikot aufgelaufen sein.

Alex Ferguson war ein torgefährlicher Stürmer, der in Schottland u.a. für Dunfermline Athletic und die Glasgow Rangers spielte. Für die Nationalelf reichte es nicht. Nur in der Auswahl der schottischen Amateure kam er zum Einsatz, aber auch das nur einmal. Arsène Wenger spielte nur wenige Jahre als Profi. In seinen drei Jahren bei Racing Straßburg bestritt er zwölf Pflichtspiele. In der Regel lief Wenger nur für die 2. Mannschaft der Elsässer auf. Jogi Löw bestritt nur 52 Bundesligaspiele: Der Weltmeistertrainer verbrachte die meiste Zeit seiner Karriere eine Spielklasse tiefer. Ottmar Hitzfeld kam auf 77 Bundesligaspiele und war Amateurnationalspieler. Jürgen Klopp war ein mittelprächtiger Zweitligaspieler. José Mourinho ebenso, aber mit deutlich weniger Einsätzen als „Kloppo“. Der legendäre Arrigo Sacchi kam nicht über den Status eines Amateurs hinaus.
 

Florian Kohfeldt Fußballlehrerlehrgang
Am Rande der DFB-Trainergala 2019 in Köln wurde Florian Kohfeldt (SV Werder Bremen) zum Trainer des Jahres 2018 ausgezeichnet. Hier im Interview mit den anwesenden Pressevertretern. Gerade frisch vom VfL Wolfsburg als neuer Cheftrainer verpflichtet, auch Kohfeldt war nie als Profi aktiv. (Foto: imago)

 

Ferguson, Sacchi, Wenger, Mourinho, Hitzfeld, Klopp, Tuchel: Als Spieler gewann keiner von ihnen eine nationale Meisterschaft, geschweige denn eine europäische Trophäe. Als Trainer gewannen sie zehnmal die Champions League und 35-mal die Meisterschaft in England, Spanien, Italien, Deutschland oder Frankreich, den fünf bedeutendsten Ligen Europas. Von den vier Trainern, die in der Saison 2019/20 mit ihren Mannschaften im Halbfinale der Champions League standen, waren nur zwei ehemalige Erstligaspieler: Bayerns Hansi Flick und Lyons Rudi Garcia. Keiner von beiden schaffte es in die Nationalmannschaft.

Natürlich gibt es auch große Trainer, die schon als Spieler zu den „Großen“ gehörten: beispielsweise Jupp Heynckes, Johan Cruyff, Zinédine Zidane, Pep Guardiola, Franz Beckenbauer und Didier Deschamps. Beckenbauer und Deschamps feierten ihre größten Erfolge als Turniertrainer. Ehemalige Stars bilden unter den Toptrainern nur eine Minderheit. Und eine Reihe ehemaliger Stars scheiterte im Job des Trainers.
 

Der Fußball hat sich verändert

Von den 18 Bundesligatrainern zum Start der Saison 2021/22 waren fünf keine Profis. Von den 13 Ex-Profis können nur wenige eine bemerkenswerte Profikarriere aufweisen. Fünf waren Nationalspieler – für Dänemark, Österreich, Schweiz, Ungarn und die USA. Addiert kommen sie auf 83 Länderspiele. 61 davon entfallen auf Pál Dárdai. 75 auf Dárdai und Adi Hütter. Lassen die Vereine ehemalige Spitzenfußballer links liegen – vor allem deutsche Nationalspieler? Wohl kaum. Oder glaubt jemand ernsthaft, der SC Freiburg stände besser in der Tabelle, würde er von Lothar Matthäus trainiert.

Dass in den letzten Jahren auffallend wenige Ex-Profis als Profitrainer reüssieren konnten, könnte folgende Gründe haben:

Der Fußball hat sich verändert. Und damit auch die Ansprüche an einen Trainer. Es reicht nicht, nur mit den Dingen zu hantieren, die man selber erlebt hat. Die Namen Basler, Effenberg und Scholl sagen einem 18- oder 19-jährigen Kicker nicht mehr viel. Die heutige Spielergeneration hat mehr und neue Vergleichsmöglichkeiten. Wenn Basler, Effenberg, Scholl und Co. als Trainer fachlich und/oder pädagogisch nicht das liefern können, was man als Spieler von ihnen erwartet, dann interessiert nicht, was sie als Spieler geleistet haben. Wir haben es also mit einem „Generationsproblem“ zu tun, wobei es natürlich Trainer gibt, die die Veränderungen im Fußball überlebt haben. Die „alt“ und „trotzdem“ richtig gut sind. In der Regel sind das Trainer, die immer schon innovativ gedacht haben, die offen für neue Entwicklungen waren, die sich ständig weiterentwickelten, die nicht nur von früher reden. Es muss also keine Frage des Alters sein. Aber es ist schon auffällig, dass relativ viele der interessanten (und erfolgreichen) Trainer, die wir in den letzten zehn bis zwanzig Jahren erleben durften, keine Profis waren.

Allerdings gehe ich davon auf, dass die Ex-Profis, die in den nächsten Jahren eine Trainerkarriere starten, für diesen Job geeigneter sind als die Baslers und Co. Weil sie die Veränderungen im Fußball auf dem Rasen erlebt haben. Und auch andere Trainer.
 

Karrierestart im NLZ: der richtige Weg?

Viele Profitrainer stammen aus den Nachwuchsleistungszentren (NLZ) der Profiklubs. Es sei dahingestellt, ob das immer der richtige Weg ist. Auch hier gilt: Ein NLZ-Trainer ist nicht automatisch ein guter Profitrainer.

Steffen Baumgart begann seine Cheftrainerkarriere in der 4. Liga. Nächste Station als Cheftrainer war der abstiegsbedrohte Bezirksligist SSV Köpenick-Oberspree. Baumgart übernahm das Team im Winter – mit 4 Punkten und 70 Gegentoren. Am Ende kam der Verein auf 16 Zähler und stieg in die Kreisliga ab. Von außen und oberflächlich betrachtet war das also keine Empfehlung für eine Karriere als Profitrainer.

Nächste Station war der Viertligist AK Berlin. Im April 2017 holte ihn dann der Drittligist SC Paderborn. Baumgart konnte dessen Abstieg in die 4. Liga nicht verhindern. Trotzdem verlängerte der Klub mit ihm den Vertrag. Da Zweitligaabsteiger 1860 München nicht die Zulassungskriterien für die 3. Liga erfüllte, blieb der SCP drittklassig. 2017/18 stieg Baumgart mit den Ostwestfalen in die 2. Liga auf, eine Spielzeit später folgte der Durchmarsch in die 1. Liga. Sowohl Baumgart wie sein Arbeitgeber hatten Mut bewiesen. Was Baumgart auf diesem Weg gelernt hat, kann keine A-Lizenz und auch kein Fußballlehrer bieten. Leider haben nur wenige den Mut, diesen Weg zu gehen. Wohl auch, weil zu diesem Weg zu wenig ermutigt wird. Gefördert wird ein anderer.
 

Wider einem antiquierten Verständnis

Warum muss ein Profitrainer überhaupt eine Lizenz des DFB besitzen? Beim SC Verl macht Guerino Capretti einen ziemlich guten Job. In der Saison 2019/20 führte er den SC Verl in die 3. Liga. Für die er aber nicht die erforderliche Lizenz besaß, den Fußballlehrer. Den musste er also ein Jahr nach dem Aufstieg nachholen. Capretti ist nicht der einzige Trainer, bei dem es so lief. Was qualifizierte ihn nun für den Job als Profitrainer? Der Aufstieg mit dem SC Verl oder der Lehrgang in Köln?

Natürlich sind Lehrgänge hilfreich. DFB und DFL machen großartige Angebote. Der eigene Fußballkreis ist diesbezüglich überragend. Jugendtrainer des eigenen Vereins berichten immer wieder begeistert von der Ausbildung zur C-Lizenz.

Aber wenn wir Trainertalente nicht verschenken wollen, müssen wir auch andere Wege gestatten. Und auch mal Autodidakten aushalten. Jedenfalls jenseits der Grundausbildung. Mit dem vorherrschenden (antiquierten) Verständnis von Bildung und Ausbildung habe ich Probleme.

Vielen Klubs dürfte es relativ egal sein, welche Lizenz ihr Trainer besitzt. Mich persönlich würden beim Vorstellungsgespräch andere Dinge interessieren. Am Ende des Gesprächs müsste ich aber leider die Frage stellen: „Haben Sie auch die Lizenz für diese Liga?“ Obwohl mich die Arbeit bei den bisherigen Klubs, die Fußballphilosophie, die Qualität des Trainings, die Vorstellungen von einer Zusammenarbeit mit dem NLZ, der U23 etc. deutlich stärker interessieren.
 

Die etwas andere Reform

Coaching Zone kritisiert aber nicht nur, sondern formuliert auch einen eigenen Vorschlag für eine Reform. Hier in Auszügen: „Die ganze Welt beneidet Deutschland um das duale Berufsausbildungssystem. Wieso gehen wir es im Fußball nicht ähnlich an? Ein Lehrgang könnte über ein Jahr gestreckt werden, um die notwendigen 120 Lerneinheiten zu sammeln. Inhalte könnten hier in einer Mischung aus Präsenz und Online, im Blended Learning (Integriertes Lernen), vermittelt werden. Ergänzt würden die Inhalte durch vertiefende Aufgabenstellungen, die die Trainer in den Vereinen durchführen und in ein System hochladen, bspw. die Planung und Durchführung einer bestimmten Trainingseinheit. Gelehrt werden könnte in Zusammenarbeit mit den in Deutschland weit verbreiteten und gut vernetzten Universitäten. Der Lehrgang würde gewisse Grundbausteine enthalten, jedoch auch einen gewissen Prozentsatz an Modulen, die nach den Interessen des Trainers frei wählbar wären. Eine Prüfung würde lediglich für die im modernen Fußball äußerst wichtigen Teilbereiche der Verletzungsprävention, Leadership und Pädagogik anfallen. Fachspezifische Prüfungen würden durch die hochzuladenden praxisnahen Aufgaben entfallen. Da nun zentrale Elemente im Vordergrund stünden, die dem Allgemeinwohl dienen, könnte der Staat die Lehrgänge finanziell fördern. Immerhin würden weniger Verletzungen die Sozialkassen weniger belasten. Einen weiteren Anteil müssten Proficlubs leisten. Diese profitieren schlichtweg auch von guten Trainern an der Basis.

Die Lehrgänge würden für jede Person offen sein ohne Einschränkungen. Jeder müsste auf der unteren Stufe beginnen. Wer die Prüfung nicht besteht, hat zwei weitere Versuche. Danach müsste der Lehrgang neu belegt werden. Ein Ausschluss würde nicht erfolgen.

Nach dem ersten Lehrgang, bspw. C, hätte der Trainer die Chance die nächsten Lehrgänge nach demselben Muster zu belegen. Nach fünf Jahren könnte so der Fußballlehrer erreicht werden. Dann würde zwar das Angebot der Fußballlehrer die Nachfrage übersteigen, das würde jedoch die Personalkosten senken und die Auswahl der Trainer wäre schwerer und müsste sorgsamer sein. Gleichzeitig stünde nach gewisserer Zeit mehr Lehrpersonal zur Verfügung, was den gesamten Prozess noch einmal beschleunigen würde. (…) Im Fußball, zumindest auf den untersten Ebenen, wo der Ursprungsgedanke des Spiels immer noch vertreten ist, ist’s egal, woher du kommst, was du für Einschränkungen hast oder wie viel Geld du besitzt. So war es, so ist es und so muss es auch im Bereich der Trainertätigkeit bleiben.“
 

Und noch eine Reform

Scheinbar gekippt ist die Idee von DFB und DFL, die Junioren-Bundesligen (U19, U17) abzuschaffen. Ein Gedanke, der diese Idee begleitete, war absolut richtig: Weniger „Titeltrainer“, mehr Ausbildung. Allerdings sahen DFB und DFL eine geschlossene Gesellschaft vor. An die Stelle der Bundesligen sollten Wettbewerbe treten, zu denen nur noch Klubs mit NLZs zugelassen sind.

Generell: Das Problem der „Titeltrainer“ beginnt bereits an der Basis – also weit unterhalb der Altersklasse U19 und U17 und der Junioren-Bundesligen. Mit negativen Konsequenzen besonders für die Altersklassen U15 und U13. Und: Man müsste auch die Kultur in den Vereinen verändern. Wenn der Sportdirektor eines Profivereins seinen U19-Trainer öffentlich anzählt, weil dieser mit seinem Team „überraschend“ gegen zwei Topklubs der Liga verliert (zwei Topklubs, deren Profis zwei bzw. drei Ligen höher spielen …), dann hat er halt wenig begriffen. Daran wird auch die Abschaffung der Junioren-Bundesligen wenig ändern.

Die Abschaffung der Bundesligen zu Gunsten einer geschlossenen Gesellschaft von NLZ-Klubs würde eine Reihe von Klubs ausschließen, die eine exzellente Nachwuchsarbeit leisten. Beispielsweise Preußen Münster, dessen U19- und U17-Teams in der Bundesliga spielen. Oliver Ruhnert, Manager von Union Berlin: „Nachwuchsteams von Amateurklubs sind relativ oft stärker als die aus NLZ-Klubs. Wir haben inzwischen eine viel zu hohe Anzahl an Leistungszentren, viele davon existieren nur auf dem Papier. Preußen Münster ist ein Paradebeispiel für einen Verein ohne NLZ, der seit Jahren in allen Altersklassen in der Jugend-Bundesliga spielt – und das richtig gut. Die fallen gemäß DFB-Konzept einfach raus, sind aber viel, viel besser als viele Leistungszentren.“ Dass ein Klub wie Preußen Münster noch kein NLZ hat, ist u.a. den infrastrukturellen Anforderungen geschuldet – nicht einem Mangel an guter Arbeit. Das „Projekt Zukunft“ würde einen Verein bestrafen, der aus wenig ziemlich viel macht.

Das „Projekt Zukunft“ beging hier einen ähnlichen Fehler wie die Architekten der neuen A-Lizenz: Wenn „oben“ zur geschlossenen Gesellschaft wird, wenn „krumme Wege“ nicht mehr möglich sind, werden Ressourcen verschenkt und die Kreativität erstickt.

 

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