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Der dänische Fußballverband DBU denkt darüber nach, die FIFA zu verlassen.

Vielleicht kommt durch diese WM wirklich etwas in Bewegung. Denn es wird sich nichts ändern, solange wir alle die FIFA in ihrer aktuellen Verfassung als einzig mögliche Organisationsform des Weltfußballs akzeptieren.

Vermutlich wird es jetzt wieder heißen: Das macht keinen Sinn! Dänemark ist nur einer von 211 Mitgliedsverbänden der FIFA! Der DFB sollte von solchen Gedanken tunlichst die Finger lassen! Ansonsten droht ihm die internationale Isolierung!

Die Boykott-Qatar-Bewegung kennt dieses „Argument“. Nachdem zunächst prognostiziert wurde, die Idee eines Boykotts sei ein Rohrkrepierer und würde ohne Resonanz bleiben, bekommen wir nun zu hören: Aber der Rest der Welt denkt anders! Die Boykott-Stimmung ist eine typisch deutsche Marotte! Ihr seid international isoliert!

Erstens stimmt das so nicht: Auch in anderen europäischen Ländern gab es Proteste: Österreich, Schweiz, Italien, Spanien, Frankreich, Dänemark etc. Was die Fans anbelangt, waren diese bei Weitem nicht so stark wie in Deutschland. Der Grund hierfür dürfte sein, dass es in Deutschland eine sehr starke kritische Fanszene gibt – sie ist vielleicht die stärkste in Europa. Dafür muss sich niemand schämen.

Zweitens: Auch in Ländern, in denen kaum Boykott-Stimmung zu spüren ist, gibt es Leute, die die Kampagne in Deutschland gut finden, uns um diese sogar beneiden. Insbesondere aus England bekamen wir wiederholt Applaus. Sowie die Frage gestellt: Wie habt ihr das geschafft?
 

Der DFB zu progressiv?

Kritiker:innen werden nun sagen: Okay, aber das ist nur Europa! Ein Beweis dafür, dass die Bewegung eurozentristisch ist!

Nichts ist allein schon deshalb eurozentristisch, weil es nur in Europa geäußert wird. (Wobei dieses „nur in Europa“ natürlich nie stimmt.) Auf Grund des europäischen Wirkens im globalen Süden – historisch wie aktuell – habe ich mehr als nur Verständnis dafür, wenn kritisch auf den europäischen Kontinent geblickt wird. Ein Eintreten für Menschenrechte etc. auch im globalen Süden ist deshalb trotzdem nicht falsch. Oder ist es besser, wenn wir diesbezüglich den Mund halten, Autokratien Autokratien seien lassen, Diktaturen Diktaturen und die Opfer dieser Regime vernachlässigen – jedenfalls sofern sie im globalen Süden beheimatet sind?

Wenn sich nach der DFB-Niederlage gegen Japan Menschen aus dem arabischen Raum im Netz über den stillen Protest der Nationalspieler lustig machen, ist die Message nicht unbedingt eine, die wir unterstützen müssen – nur weil sie aus dem globalen Süden kommt. Die Message lautet nämlich: Meinungsfreiheit? Scheißegal! LBGTQ+-Rechte? Scheißegal! Frauenrechte? Scheißegal! Wir lachen darüber!

Ähnliche Messages bekommen wir ja auch von rechten Deutschen und „unpolitischen“ Fans, denen der DFB zu „woke“ bzw. gesellschaftspolitisch zu progressiv geworden ist. Da trifft sich Kritik aus dem globalen Süden (wie gesagt: Kritik aus dem globalen Süden, nicht: Kritik des globalen Südens) mit rechter Kritik in Deutschland.
 

Eriksen
Dänemarks Eriksen während der WM 2022 in Katar. Foto: IMAGO / AFLOSPORT


 

Katar-Debatte ähnelt der Klimadiskussion

Nach dem zumindest halbwegs kritischen Auftritt von DFB und Nationalelf hören wir vereinzelt: Der DFB hat sich damit international isoliert! So sieht es u.a. die mit der FIFA eng verwobene Sylvia Schenk, die die Verhältnisse in Katar notorisch schönredet und den Clanchef Gianni Infantino für glaubwürdig hält. Dem DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf hält sie hingegen Populismus und „Frontalopposition“ vor. „Frontaloppositon“ gegen den vor der Schweizer Justiz nach Doha geflüchteten FIFA-Boss – genau das ist angebracht.

International isoliert hat sich auch die norwegische Verbandspräsidentin Lise Klaveness bei ihrem mutigen Auftritt vor der FIFA-Männergesellschaft. War dieser Auftritt deshalb falsch? Und da Norweger:innen Europäer:innen sind: War ihr Auftritt „eurozentristisch“, zumal die überwiegende Mehrheit der Anwesenden auf dem FIFA-Kongress Nicht-Europäer waren und ihr Auftritt vermutlich gerade bei vielen Delegierten aus Afrika und Asien auf Unmut gestoßen ist – nicht aus antikolonialistischen, sondern zutiefst reaktionären Motiven, sowie aus enger Verbundenheit mit einer mafiös agierenden FIFA-Spitze?

Ähnliche Debatten kennen wir auch aus der Klimadiskussion: Deutschland kann nicht allein aus der Atomkraft aussteigen, Deutschland kann nicht allein den CO2-Ausstoß verringern! Ein Alleingang schadet Deutschland – ökonomisch und politisch!

Aber was heißt das? Weitermachen wie bisher? Das wird sicherlich nicht dazu führen, dass andere Länder ihre Position überdenken. Und so werden auch keine internationalen Allianzen gegen den Klimawandel geschmiedet. Eine Position ist nicht deshalb falsch, weil eine Mehrheit anders denkt. Das sollten gerade wir Deutsche wissen.
 

FIFA-Austritt? Gerne!

Nun zur dänischen Idee eines FIFA-Austritts. Dass der dänische Verband nur einer von 211 ist, sollte kein Argument sein. Zunächst einmal applaudiere ich dem Mut der Dänen. Und hoffe, dass sie sich nicht entmutigen lassen. (Etwas verhaltener applaudiere ich auch der DFB-Elf, die zwar zunächst vor der Drohung der Infantino-Mafia eingeknickt ist, dann aber als einziger WM-Teilnehmer den Protest fortgesetzt hat.) Des Weiteren hoffe ich, dass sich dieser Idee andere anschließen.

Wenn überhaupt, werden es allerdings zunächst nur europäische Verbände sein, wofür die Dänen aber keine Schuld tragen. Ob das Projekt dann eurozentristisch ist oder nicht, entscheidet der Inhalt, nicht die Zusammensetzung der Akteure. Es spricht ja nichts dagegen, auch außerhalb Europas für einen neuen Weltfußball zu werben. Und auch darüber nachzudenken, warum es möglich ist, dass sich korrupte weiße Männer aus dem Norden, die wie Mafia-Bosse agieren, als Anwälte des globalen Südens gerieren können, dessen Repräsentanten leider häufig korrupte Fußball-Eliten und autokratische Regime sind. (By the way: Infantino hielt seine Brandrede gegen „die Europäer“ in einem Land, das zu den reichsten weltweit gehört, ein bedeutender Investor in Europa und bedeutender Anteilseigner am europäischen Fußball ist, dessen Elite den „westlichen Lebensstil“ in London und Paris auf die Spitze treibt. Und dass seine WM-Infrastruktur einem rassistischen System der Ausbeutung zu verdanken hat, in dem europäische Arbeitsmigrant:innen einen privilegierten Status genießen – im Gegensatz zu ihren „Kolleg:innen“ aus Nepal, Bangladesch, Indien und einigen Ländern Afrikas.)
 

Infantinismus als fußball-spezifische Form von Clan-Kriminalität

Bei der Wahl des FIFA-Präsidenten wird die europäische Opposition hoffnungslos in der Minderheit sein – und sich damit „isolieren“. Die Alternative kann ja wohl kaum lauten, dem FIFA-Boss die Stimme zu geben – nur weil sich dessen Machtbasis im globalen Süden befindet.

Es geht längst nicht mehr nur um das Austragungsland der WM 2022. Es geht aktuell fast mehr um die FIFA, den Infantinismus als fußball-spezifische Form von Clan-Kriminalität und die Zukunft des Fußballs – inhaltlich, beispielsweise die von ihm repräsentierten Werte betreffend, wie organisatorisch. Den Dänen können wir für ihren Denkanstoß nur dankbar sein.

 

Zum Weiterlesen:
Alina Schwermer: Futopia. Ideen für eine bessere Fußball-Welt

 

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