Direkt zum Inhalt
Fußball

 

ball
Max Eberl
Max Eberl während seiner letzten Pressekonferenz als Manager von Borussia Mönchengladbach. (Foto: imago images)

 

In vielen Eberl-"Nachrufen" lesen wir, den Manager habe im letzten Jahr „das Glück verlassen“. Das ist insofern bemerkenswert, weil eingestanden wird, dass erfolgreiches Management auch viel mit Glück zu tun hat. Eine Erkenntnis, die aber anschließend in die Beurteilung der Amtszeit eines Managers (oder auch eines Trainers) häufig nicht einfließt. Stattdessen werden alle möglichen Fehler identifiziert, die man selber nicht begangen hätte, weil man es besser wusste.

Eberl wird u.a. sein Festhalten an Marco Rose, die Verpflichtung von Adi Hütter und der Nicht-Verkauf von Marcus Thuram vorgehalten. In der Rose-Frage hat sich Eberl einfach als standhaft erwiesen. Ich fand die Empörung über Roses Wechsel auch etwas übertrieben. Der BVB ist ein Champions.League-Klub. Welcher Trainer lehnt das ab? Und dass Gladbach im Fall einer Rose-Entlassung die Saison besser beendet hätte, lässt sich nicht beweisen.

Als Gladbach die Verpflichtung von Hütter bekannt gab, wurde das gemeinhin als „Coup“ gewertet. Gladbach hatte den Frankfurtern ihren Erfolgscoach abspenstig gemacht. Das war Hütter nämlich damals. Er war mit der Eintracht auf dem Weg in die Champions League.

Und was ist mit Thuram? Was Gladbach hier passierte, war zuvor bereits Bremen passiert. Durch die Pandemie gerieten Gladbachs und Bremens Geschäftsmodelle ins Wanken. Dieses bestand nicht nur im Kauf von Spielern, sondern vor allem im gewinnbringen Verkauf dieser. „Eberl hat zum Beispiel Xhaka, Hazard und Vestergaard jeweils über Tarif abgegeben und für eine viel geringere Gebühr talentierte Nachfolger besorgt. Auf diese Weise ist seine Borussia nicht nur erfolgreich, sondern auch einigermaßen wohlhabend geworden“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Weil corona-bedingt niemand aus dem In- und Ausland bereit war, 30 oder 40 Mio. Euro für Spieler wie Matthias Ginter, Denis Zakaria oder Marcus Thuram zu zahlen, fehlte Max Eberl im Sommer 2021 das Geld, um den Kader aufzufrischen – in dem nun auch Spieler standen, die eigentlich nicht mehr für die Borussia spielen wollten. Die „Süddeutsche Zeitung“ weiter: „Der Fall Ginter/Zakaria zeigt alles, was man über den Corona-Transfermarkt wissen muss. Der Transfermarkt ist in der Pandemie abgründig und gemein geworden, er quält jetzt sogar seine Besten. Max Eberl hat nach den alten Regeln alles richtig gemacht, aber nach den neuen Regeln ist alles plötzlich falsch.“
 

Strategiewechsel

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hatte Eberl im Sommer 2021 einen Strategiewechsel angekündigt. Nachwuchsarbeit und das Bessermachen von Spielern würde eine immer größere Bedeutung erhalten. Eberl wollte „den Kader verschlanken“ und „verstärkt auf Eigengewächse setzen“. Dies sei ein „bewusster Strategiewechsel, den wir auch so erklären werden. Er kann bedeuten, dass man auch mal einen Schritt zurückgeht, etwas aufbaut, um anschließend wieder etwas Größeres angreifen zu können. (…) In den vergangenen Jahren hatten wir einen Kader entwickelt, der es Talenten aus dem Nachwuchsleistungszentrum schwer gemacht hat, richtig Fuß zu fassen in der Bundesliga.“

Genau das zeichnete Max Eberl aus: Ein klarer Blick auf sich verändernde Verhältnisse und eine ebenso klare Idee davon, wie man auf diese reagieren und wie man sich hier neu positionieren sollte. Man konnte das auch so übersetzen: Gladbach wird in Zukunft etwas mehr Freiburg oder Mainz. Für Fans, die ihren Verein bereits als Nummer vier in Deutschland sahen, ist das ernüchternd. In den zehn Spielzeiten 2011/12 bis 2020/21 landete die Borussia im Schnitt auf Rang sechs. Viermal reichte es für einen Platz unter den besten vier Teams. Da ist die Ankündigung, einen Schritt zurück zu gehen, nicht unbedingt populär. Aber sie war mutig und richtig. Eberl wollte vielleicht vermeiden, was Werder Bremen, dem „Über-Performer“ der Jahre 2003/04 bis 2009/10 passiert war, nachdem man dort nicht schnell genug die neuen Verhältnisse angenommen hatte, sondern zunächst zwischen den Welten lavierte.

Die Umsetzung der neuen Strategie hätte aber weiter an Eberls Kräften gezerrt. Solche Kurswechsel setzen außerdem voraus, dass die Gremien voll hinter dem Sportdirektor stehen – auch wenn’s dann erst einmal gegen den Abstieg geht und der Wind den Verantwortlichen ins Gesicht weht. Die Alternative ist ein Zickzack-Kurs, bei dem viel Geld verbrannt wird und sich keine klare Identität herauskristallisiert. Dass die Gremien nicht hinter ihm standen, war aber nicht Eberls Punkt. Trotzdem sei hier auf die Herausforderungen hingewiesen, die mit der Durchsetzung von Strategien verbunden sind.
 

Beispiel: Stuttgart

Referiert ein Sportdirektor die Dinge so, wie sie sind, heißt es schnell: „Hör auf zu Jammern!“ Das erspart die Auseinandersetzung mit den Fakten. Jüngstes Beispiel aus dieser Reihe: Sven Mislintat, Sportdirektor beim VfB Stuttgart. Der VfB liegt nach 20 Spielen auf Platz 17. Der Sportdirektor bekräftigt gegenüber dem „Kicker“ den Stuttgarter Weg, verstärkt auf junge Talente zu setzen. Der VfB wisse aus eigener Erfahrung, dass es auch schiefgehen könnte, wenn man auf Erfahrung setzt: „Gerade wir haben beim letzten Abstieg kennengelernt, dass man mit acht ehemaligen Nationalspielern – also einem fast konträren Weg – in die Relegation gegangen ist und diese dann gegen Union Berlin verloren hat.“ Mislintat sieht in der sportlich misslichen Lage eine Chance: „Wenn wir es schaffen, und selbst wenn wir scheitern, werden wir uns in vielen Themen weiterentwickeln.“ Beispielsweise beim Thema „Führung“: „Nur in Krisen kommen die Jungs nach vorne, die automatisch führen können. Die kaufst du nicht ein.“ Mislintat spricht auch die „Diskrepanz zwischen Realität und Wunschdenken“ an. Er sieht einen Unterschied zwischen „der emotionalen, historisch bedingten Wahrnehmung dieses Klubs, und dem, was wir aktuell zu leisten in der Lage sind.“ Für seinen Arbeitgeber sei es schlicht nicht möglich, Spieler für 20 Mio. Euro zu holen. Grundsätzlich sei man dabei, sich wirtschaftlich zu konsolidieren. Beim VfB, in der Saison 2006/07 noch Deutscher Meister, aber in den letzten sechs Jahren zweimal abgestiegen, herrscht traditionell viel Unruhe. Auch sind die Ansprüche und Erwartungen hier extrem. Man darf gespannt sein, ob es Mislintat trotz der notorischen Störfeuer gelingt, den Verein, der mittlerweile zu einer Topadresse für Nachwuchsstars avanciert ist, innerhalb der von ihm definierten Leitplanken zu entwickeln. Vermutlich muss man nur Geduld haben und den Sportdirektor einfach machen lassen. Aber Geduld und Kontinuität sind Fremdwörter in diesem Gewerbe.
 

Tägliche Kämpfe

Zurück zur Borussia und Eberl: Die jüngere Geschichte des Traditionsklubs vom Niederrhein hätte auch ganz anders verlaufen können. Auch personalpolitisch ist das emotionale Geschäft Fußball eine hochgradig fragile Angelegenheit. In der Saison 2010/11, als die Borussia akut vom Abstieg bedroht war, versuchte ein Zusammenschluss von Führungskräften aus der lokalen Wirtschaft die Vereinsführung und Max Eberl zu stürzen. Neuer Präsident sollte Horst Köppel werden. Den Job von Eberl sollte Stefan Effenberg übernehmen. Aber die Mitgliederversammlung erteilte diesem Vorhaben eine unmissverständliche Absage. Dabei war sicherlich hilfreich, dass die Gladbacher einige Tage zuvor die Relegation gegen den VfL Bochum knapp für sich entscheiden konnten. Es sind Zweifel angebracht, ob Gladbach unter einer Führung Köppel/Effenberg eine auch nur annähernd so positive Entwicklung eingeschlagen hätte wie unter Max Eberl.

Kaum jemand hat eine Vorstellung davon, was der Job des Sportdirektors alles beinhaltet. Vermutlich ist der noch stressiger als der des Trainers. Der Kampf um den Kader und dessen Funktionieren ist ein täglicher – und nur einer von mehreren Kämpfen. Hinzu kommt, dass das Geschäft immer schnelllebiger wird, was für die Sportdirektoren nicht nur Dauerstress bedeutet, sondern auch die Gefahr falscher Entscheidungen erhöht.

Der Diskussion wäre schon sehr geholfen, wenn man folgende Dinge stärker berücksichtigen würde.

  • Erstens: Das Ausmaß von Glück und Zufall in unserem geliebten Spiel wird aufgrund der Schnelllebigkeit des Geschäfts und dem Zwang zu schnellen Entscheidungen weiter an Bedeutung gewinnen.
  • Zweitens: Auf jedem Platz in der Tabelle kann nur ein Verein stehen, weshalb die Bundesliga „eine Liga der Enttäuschten“ (Thomas Broich) ist, in der das Gros der Klubs sein Saisonziel verfehlt – was aber nicht automatisch heißt, dass sie schlecht gearbeitet haben. Wenn alle Klubs aus ihren Möglichkeiten das Optimum herausholen, werden trotzdem zwei bis drei von ihnen absteigen und auch fünf, sechs weitere ihr sportliches Ziel verfehlen.
  • Drittens: Vereine und ihre Verantwortlichen befinden sich in einer extremen Konkurrenzsituation – im Fokus einer permanent urteilenden und flatterhaften Öffentlichkeit, der nachhaltiges Denken eher fremd ist und die einen Hang zu einer unrealistischen Erwartungshaltung pflegt.

Ich fürchte, dass es nicht besser werden wird. Wir werden trotzdem auch in Zukunft unerbittlich richten – über Trainer und über Sportdirektoren. In einer Härte, die viele von uns im eigenen Job nicht aushalten würden.

Klar ist auch, dass die Vereine darüber nachdenken müssen, ob Management-Strukturen, die einzelne hoffnungslos überlasten und die Identifikation vermeintlicher „Sündenböcke“ befördern, nicht einer gründlichen Überarbeitung bedürfen.

 

TAGS