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Fußball

 

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Am Mittwochabend waren „nur“ 5,8 Mio. TV-Deutsche dazu bereit, das Länderspiel der DFB-Elf gegen die Türkei zu verfolgen. Anschließend wurde mächtig geklagt. Das „geringe“ Interesse an der Nationalelf gab Anlass zur Sorge. Ich habe den Verdacht, dass wir auf einem hohen Niveau jammern. Wir kommen nicht damit klar, dass der Fußball wieder etwas normaler wird.

 

Deutschland - Türkei, Länderspiel
Die (B-)Mannschaft vor dem Testspiel gegen die Türkei. Foto: imago images

 

5,82 Millionen bei einem Freundschaftsspiel, in dem nur eine B-Elf auflief, das ohne Zuschauer stattfand und das bei RTL gezeigt wurde – das ist mehr als ordentlich. Mit einem Marktanteil von 21,6 Prozent war die Übertragung die erfolgreichste TV-Sendung des Abends. Das finde ich fast schon erschütternd. War das restliche TV-Programm wirklich so schlecht?

Mag sein, dass vor einigen Jahren bei einem derartigen Spiel acht Millionen eingeschaltet hätten. Aber das war ja ein bisschen verrückt?! Hätte am Mittwochabend ein Pokalspiel meines Dorfvereins stattgefunden, dann hätte ich es einem freundschaftlichen B-Länderspiel vorgezogen.
 

Überangebot

Dass sich die Leute angesichts des Überangebots an Fußball und Fußball-Übertragungen die Rosinen herauspicken – beim Pflichtspiel gegen Spanien schalteten 7,94 Mio. ein –, empfinde ich als völlig normal. Fußball ist zur Ware verkommen. Man hat uns zu Kunden erzogen, und so verhalten wir uns auch.

Außerhalb der Turniere lautet die Rangfolge bei Spielen der Nationalmannschaft: Qualifikationsspiele für EM oder WM vor Begegnungen in der Nations League vor Testspielen gegen attraktive Gegner (z.B. Argentinien) vor Testspielen gegen weniger attraktive Gegner.

In der EM-Qualifikation erreichte die Partie gegen die Niederlande (2:3) im März 2019 die höchste Einschaltquote: 11,83 Mio. sahen zu. EM-Qualifikation (nicht die Nations League), ein attraktiver Gegner und ein Spiel vor Zuschauern. Und: Ein Länderspiel vor der Corona-Pause, die möglicherweise unseren Blick auf die Fußballwelt verändert hat.

Die Aufregung über das „geringe“ Interesse an der Nationalelf ist meines Erachtens übertrieben – und auch nicht neu. Es zeichnet sich bereits seit Jahren ab und hat wenig mit Löw und Bierhoff zu tun, aber viel mit der Entwicklung des Fußballmarktes, seinem Überangebot und Vergleichsmöglichkeiten, die der Markt bietet. Was aktuell geschieht, kommt alles andere als überraschend: Umsätze, TV-Einnahmen etc. sind in den letzten Jahren gestiegen, nicht aber das allgemeine Interesse am Fußball. Man hat da etwas verwechselt.
 

Löw und Bierhoff

Liegt das abnehmende Interesse tatsächlich an Löw und Bierhoff? Welcher Top-Trainer soll denn an die Stelle des Bundestrainers treten? Und wer von ihnen will das? Glaubt denn wirklich jemand, nach einem Trainerwechsel würde das Interesse an der DFB-Elf wieder dramatisch in die Höhe schnellen?

Dass Löw nur ein B-Team aufbot, hat wenig mit Löw zu tun. Aber viel mit der Belastung der Topkräfte. Es sind schlicht und einfach zu viele Spiele geworden. In den sozialen Netzwerken las ich, Löw sei kein „Bessermacher“, sondern ein „Schlechtermacher“. Für welchen Akteur des B-Teams traf das an diesem Abend zu? Für die Spieler, die fast ohne Spielpraxis in die Partie gingen, weil sie in ihren Klubs nur Ergänzungsspieler sind? Womit wir beim sportlichen Problem sind – dem Potenzial, das Löw zur Verfügung steht, wenn die Topleute ausfallen.
 

Anders als der eigene Klub

Ein „Fan“ der Nationalelf war ich nur in den Jahren 1966 bis 1972. Da gab es ja auch nicht viel anderes im Fußball. Man hatte seinen Verein und die Nationalelf. Andere Länder gut zu finden, war quasi verboten.

Pünktlich zur WM 1974 entdeckte ich dann die Niederländer. Mit meinem Patriotismus war es nun vorbei, Cruyff, Neeskens, Rep und Co. waren attraktiver. 1978 bis 1988 langweilte die Nationalelf. Bei Länderspielen waren die Zuschauerzahlen gering. „Entfremdung“ war auch damals schon ein Problem – siehe WM 1982. Verglichen mit Toni Schumacher und anderen sind die Draxlers und Co. heute „volksnah“.

Interessant wurde die DFB-Elf für mich erst wieder ab 2004 – auf Grund des Reformprojekts von Klinsmann und Löw, das über die Nationalmannschaft hinaus strahlte. Bis in die Ausbildung hinein. Die Atmosphäre bei Länderspielen war trotzdem komisch – anders als bei Klubspielen.

2014 war ich für die DFB-Elf, damit der Reformprozess nicht zerstört wurde. Weil die alten (überforderten) Geister schon ihre Messer wetzten. Danach: wieder egal. Es gab besseren Fußball zu betrachten. Warum soll ich mich für Testspiele der Nationalelf begeistern, wenn der Klubfußball mir mehr bietet? Nur weil es die Nationalmannschaft ist, das angeblich letzte Lagerfeuer der Nation? Das wäre eine Art von Zwangsverpflichtung. Die Nationalelf ist etwas anderes als der eigene Klub.

In den 1960ern und 1970ern war die Diskrepanz zwischen Nationalelf und Klubs noch nicht so spürbar. Die „Qualitätskluft“ war geringer. Die Elf, die 1972 Europameister wurde, bestand aus Spielern des FC Bayern (6), Borussia Mönchengladbach (3), Schalke 04 (1) und Werder Bremen (1) – und war eine Best of Bundesliga.

Heute benötigt kein Spieler mehr die Nationalelf. Es gibt andere (bessere) Möglichkeiten, um sich ins Schaufenster zu stellen.
 

(Mein) Fernsehfußball

Ja, die „Fan-Politik“ des DFB ist aufgesetzt. Aber warum ist sie aufgesetzt? Die Stimmung bei Länderspielen war schon anders (müde bis unangenehm), bevor es diesen Fanclub der Nationalelf gab. Vielleicht ist sie nur so aufgesetzt, wie es aufgesetzt ist, Fan der Nationalelf zu sein.

Richtig und permanent begeistern können Nationalmannschaften nur noch in Ländern, deren Klubszene und Ligen relativ schwach sind. Wo nur die Auftritte der Nationalmannschaft „große Fußballer“ ins Land kommen lassen. Wo die Nationalmannschaft das Beste ist, was das Land zu bieten hat. Wie beispielsweise in Irland oder Island.

Nationalelf, das ist für mich bereits seit vielen Jahren TV-Fußball. Im Augenblick nicht einmal das, was nichts mit Löw und Bierhoff zu tun hat.

Die letzten beiden Spiele der DFB-Elf habe ich überhaupt nicht mitbekommen. Ich habe sie nicht boykottiert. Ich habe sie einfach verpasst. Vom ersten Spiel habe ich erst am Morgen danach erfahren. Es gab zu viele andere Angebote. Vielleicht war ich auch noch zu stark im Corona-Modus.

Mein Fußballkonsum seit der Corona-Unterbrechung hat sich stark verändert. TV: Einmal Sportschau, einmal Sportstudio, null Länderspiele. Champions-League-Finale ging nicht, eine Fahrradtour von Berlin nach Kopenhagen kam dazwischen. Für den Abend des Finalspiels hatte meine Frau (unbeabsichtigt) ein Hotel gebucht, in dem es keinen Fernseher gab. Ich konnte es verschmerzen. Live: dreimal Landesliga, einmal Regionalliga, einige Nachwuchsspiele. Und etwa 20 Trainingseinheiten mit der B-Jugend unseres Vereins. Gleichzeitig bemerkte meine Frau, dass sich auf unserem Küchentisch ungelesene Kicker-Ausgaben stapeln.
 

Opfer einer Übersättigung?

Schaut man sich die Entwicklung des Stadionbesuchs an, dann stellt man fest, dass 2019 tatsächlich der niedrigste Wert verbucht wurde. Im Schnitt kamen ca. 36.000 zu den Spielen. Der beste Besuch wurde beim Pflichtspiel gegen die Niederlande registriert (52.000), gefolgt vom Freundschaftsspiel gegen Argentinien (44.000).

36.000 waren ca. 10.000 weniger als 2018, aber nur 3.000 weniger als 2009. Der beste Zuschauerzuspruch wurde in den Jahren 2008, 2010 und 2013 registriert – also vor dem WM-Titel. 36.000 waren immer noch mehr, als Hoffenheim, Mainz, Augsburg, Leverkusen, Wolfsburg und Freiburg mobilisierten – mit einem Spielprogramm, bei dem es ausnahmslos um etwas ging.

Dass die Nationalelf in die Stadt kommt, reißt vielleicht noch einige Kinder vom Hocker. Normalerweise hat die gastgebende Stadt auch ohne DFB-Elf ausreichend zu bieten – sogar in Sachen Fußball. Vielleicht ist die Nationalelf einfach nur das erste Opfer einer Übersättigung.

EM- und WM-Turniere: ja. Immer ganz unterhaltsam. Aber auf alles, was dazwischen stattfindet, kann ich verzichten – nicht erst seit Russland 2018.

 

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