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Fußball

 

Milk Cup 2013: Die U17-Mannschaft des TuS Altenberge 09 mit Nordirlands Nationaltrainer Michael O’Neill (im Anzug). © Uwe Koopmann

Nordirland

Von Dietrich Schulze-Marmeling – Bei der EM in Frankreich wird die DFB-Elf im letzten Gruppenspiel auf Nordirland treffen. Für die Nordiren ist es die erste Teilnahme an einem großen Turnier seit der WM 1986 in Mexiko. Seither hatte sich die europäische Fußballlandkarte erheblich verändert. War Nordirland jahrzehntelang der Größte unter den Kleinen Europas gewesen (auch bei den WM-Turnieren 1958 und 1982 spielte die Provinz mit), so wurde diesem Status nun durch die Auflösung der Sowjetunion, Jugoslawiens und der Tschechoslowakei der Boden entzogen.

Zur verschärften Konkurrenz kam die konfessionelle und politische Spaltung des Landes hinzu. Bei den Katholiken konkurrierte Soccer mit den Gaelic Games (Gaelic Football, Hurling), die unter der Obhut der gesamtirischen, steinreichen und besonders in der Republik Irland politisch einflussreichen Gaelic Athletic Association (GAA) betrieben werden. Und sofern Katholiken kickten, konnten sie häufig mit der nordirischen Auswahl wenig anfangen: zu protestantisch, zu loyalistisch – vor allem die Fans betreffend.

 

Die Konkurrenz aus dem Süden

Solange Nordirland der Größte unter den Kleinen war und sich die Nationalmannschaft der Republik Irland wenig rührte, konnte dies der Irish Football Association (IFA), dem nordirischen Verband, egal sein. Aber Ende der 1980er erfuhr das fußballerische Kräfteverhältnis zwischen Nord und Süd eine dramatische Veränderung. 1988 konnte sich die Nationalmannschaft der Republik Irland für die EM in Deutschland und damit erstmals für ein großes internationales Turnier qualifizieren. Bis dahin hatte man die Auswahl der Football Association of Ireland (FAI) international kaum wahrgenommen. 1990 debütierte die Republik auch auf der WM-Bühne. Bei den WM-Turnieren 1994 und 2002 und der EM 2012 wurde die „grüne Insel“ ebenfalls durch die FAI-Auswahl vertreten.

Der Aufstieg der Republik hatte zur Folge, dass Nordirlands Katholiken nun über eine Alternative zur Unterstützung der IFA-Auswahl verfügten, mit der sie zugleich ihre nationalistischen Aspirationen verbinden konnten. Und da Nordirlands Bürger eine Option auf den südirischen Pass besaßen, konnten sich junge katholische Talente, die sich im Milieu der IFA nicht heimisch fühlten, der FAI anbieten. Da die FAI-Auswahl größere Chancen besaß, an einem internationalen Turnier teilzunehmen, hatte dies auch sportlich seinen Reiz.

Billy Bingham, Martin O’Neill und die Erfolgsjahre 1980 bis 1986

Die Jahre 1980 bis 1986 waren die erfolgreichsten der nordirischen Auswahl. Vielleicht auch, weil man nie zuvor und nie wieder danach so interkonfessionell kickte. Trainer des Teams war Billy Bingham. Aufgewachsen im protestantischen Arbeiterviertel East Belfast, hatte Bingham als Jugendlicher mit Steinen nach Altersgenossen aus dem katholischen Nachbarviertel geschmissen.

Sein Kapitän war Martin O’Neill, seit Ausbruch der „Troubles“ Ende der 1960er der erste Katholik, der die Binde tragen durfte. O’Neill stammte aus Kilrea, einem kleinen Ort in der nordirischen Grafschaft Derry. Wie die meisten nordirischen Katholiken spielte er zunächst Gaelic Football. Sein Abitur baute O’Neill auf dem Belfaster Gymnasium St Malachy’s. In der Alumni-Liste der renommierten katholischen Bildungsanstalt findet man fünf katholische Bischöfe, Schriftsteller wie Brian Moore und Bernard MacLaverty sowie bekannte nationalistische und republikanische Politiker.1979 und 1980 gewann der Mittelfeldspieler O’Neill mit dem von Brian Clough trainierten englischen Provinzklub Nottingham Forest den Europapokal der Landesmeister.

Binghams Entscheidung war extrem mutig, denn im Kontext des Hungertods von IRA-Gefangenen drohte die Lage in Nordirland zu eskalieren. O’Neill und Bingham erhielten säckeweise Hassbriefe loyalistischer / protestantischer Fans. Mit dem Kapitän Martin O’Neill qualifizierte sich Nordirland nichtsdestotrotz für die WM 1982 in Spanien. Dort sorgte der krasse Außenseiter für eine faustdicke Überraschung: Binghams Elf besiegte Gastgeber Spanien mit 1:0. Schütze des goldenen Tores war Gerry Armstrong, ein Katholik aus West Belfast.

Das Team war mehrheitlich protestantisch, aber vier der Leistungsträger – außer O’Neill und Armstrong noch Mal Donaghy und die Torwartlegende Pat Jennings – waren Katholiken. Man verstand sich bestens, lieferte sich Gesangswettbewerbe. Die Katholiken trugen republikanische Songs vor, die Protestanten loyalistische. 1984 gewann Binghams Team die letzte Ausgabe der britischen Meisterschaft. In der Qualifikation zur EM 1984 wurde die Elf des DFB gleich zweimal jeweils mit 1:0 besiegt. Die WM 1986 war der Schlusspunkt dieser Ära.

Niedergang und politische Radikalisierung

Nach dem anglo-irischen Abkommen von 1985 wurde die Stimmung bei den Heimspielen der nordirischen Elf zusehends sektiererischer und deren Belfaster Spielstätte Windsor Park zu einer „no-go area“ für Katholiken. Windsor Park liegt in einem ehemaligen protestantischen Arbeiterviertel. Martialische Wandbilder loyalistischer Paramilitärs bedeuteten Katholiken, dass sie hier nichts zu suchen hätten. Das Stadion ist auch Spielstätte des Linfield FC, der für Belfast das ist, was die Rangers für Glasgow sind. Es ist noch nicht so lange her, dass für Linfield nur Protestanten aufliefen. Und wie die Rangers spielt auch Linfield in den Farben des Union Jack.

Während in vielen anderen Sportarten – ungeachtet der staatlichen Teilung – gesamtirische Verbände und Mannschaften existieren, ist dies im Fußball nicht der Fall. In einer Zeit, in der die Auflösung des „Protestant State for Protestant People“ begann, diente Nordirlands Nationalmannschaft nun vielen Loyalisten als Mittel der Abgrenzung vom „katholischen“ Süden und (letztes) Symbol nordirischer Eigenständigkeit.

Auch katholische Spieler bekamen den Hass zu spüren. Vor allem Anton Rogan, der gleich zweier „Verbrechen“ schuldig war: Der Verteidiger spielte für Celtic Glasgow, dem Klub der irisch-katholischen Immigranten, außerdem kam er aus Lenadoon in West Belfast, einer Hochburg der damals noch schwer aktiven IRA.

Trotz Friedensabkommen: der Fall Neil Lennon

1998 beendete das sogenannte Karfreitags-Abkommen den Bürgerkrieg in Nordirland. Obwohl die Waffen nun weitgehend schwiegen und trotz einer lagerübergreifenden Regierung aus Republikanern und Unionisten: Im Fußball ändert sich zunächst nichts. Im Belfaster Windsor Park regierte unverändert das anti-katholische Sektierertum der Hardcore-Loyalisten.

Nach der Jahrtausendwende sorgte der Fall Neil Lennon für Schlagzeilen. Lennon stammte aus einem katholisch-republikanischen Viertel in Lurgan (Grafschaft Armagh) und war seit 1994 Nationalspieler. Im Februar 2001 bestritt er im Windsor Park gegen Norwegen sein erstes Länderspiel nach seinem Wechsel von Leicester City zu Celtic Glasgow. Bereits beim Einlaufen prasselten von den Rängen anti-katholische Schmähungen auf Lennon nieder. Zur Halbzeit nahm Trainer Sammy McIlroy Lennon aus dem Spiel, angeblich in Absprache mit dessen Vereinstrainer (zu diesem Zeitpunkt Martin O’Neill, s.o. bzw. s.u.), was allerdings nicht den Tatsachen entsprach. Nach Lennons Auffassung hatte McIlroy vor den Fans kapituliert.

Im August 2002 erhielt Lennon vor dem Länderspiel gegen Zypern, bei dem er das nordirische Team als Kapitän auf den Rasen des Windsor Park führen sollte, eine Morddrohung loyalistischer Paramilitärs. Lennon verzichtete auf einen Einsatz und erklärte seinen Rücktritt aus der IFA-Auswahl.

Der „Fall Lennon“ ging durch die Weltpresse und bedeutete einen schweren Imageschaden für die IFA, der seinerzeit vorgehalten wurde, sie sei eine protestantische Institution und würde gegen das antikatholische Sektierertum nichts unternehmen. Außerdem ging es nach Lennons Rückzug mit der Auswahl weiter dramatisch bergab. Vom Oktober 2002 bis März 2004 blieb Nordirland ohne Torerfolg und fiel in der FIFA-Rangliste bis auf Rang 124 zurück.

Mit dem „Fall Lennon“ hatte die Entfremdung zwischen der nordirischen Nationalelf und den nordirischen Katholiken ihren Höhepunkt erreicht und ein Ausmaß angenommen, das für die weitere fußballerische Entwicklung der Provinz extrem kontraproduktiv war. Das Sektierertum behinderte die sportliche Entwicklung, reduzierte er doch das aufgrund der kleinen Einwohnerzahl Nordirlands ohnehin begrenzte Reservoir für die Auswahlteams des Verbandes noch weiter. Nach den katholischen Fans zeigten nun auch immer wieder junge katholische Spieler der Auswahl die kalte Schulter.

Auch die Zuschauer blieben weg. Viele protestantische Mittelschichtler fühlten sich vom Sektierertum auf den Rängen abgestoßen. Neue Zuschauerschichten ließen sich in dieser Atmosphäre nicht erschließen.

Neuausrichtung der IFA und ein katholischer Trainer

Nun wurde die IFA endlich aktiv. Treibende Kraft war aber ein Fan: der Protestant Michael Boyd aus East Belfast, der mit einigen Mitstreitern die Organisation „Football for All“ gründete. „Football for All“ startete die Kampagne „Sea of Green“. Anstatt sich im Windsor Park in Union Jacks oder die nordirische Flagge einzuhüllen, sollten die Fans im grünen Trikot der IFA-Auswahl erscheinen. Und anstatt loyalistischer Songs wie „We are the Billy Boys“ und „The Sash“ zu intonieren, sollten die Fans „We’re not Brazil, we’re Northern Ireland“ skandieren. Die Atmosphäre im Windsor Parkt wurde nun entspannter und familienfreundlicher.

Im Dezember 2012 übernahm Michael O’Neill die Nationalelf Nordirlands. Wie sein Namensvetter Martin ist Michael ein katholischer Nordire. O’Neill stammt aus Portadown, einer tristen Kleinstadt im Herzen Ulsters, die in den 1990ern durch Auseinandersetzungen um Orangisten-Märsche international in die Schlagzeilen geraten war. Als Aktiver hatte O’Neill u.a. für Newcastle United gespielt und 31-mal das Trikot Nordirlands getragen. Als Trainer wurde er mit dem Dubliner Traditionsklub Shamrock Rovers 2010 und 2011 südirischer Meister.

Michael O’Neill ist seit einem halben Jahrhundert der erste Katholik auf dem Posten des nordirischen Nationaltrainers. Der letzte Katholik war der legendäre Peter Doherty gewesen, der Nordirland von 1951 bis 1962 trainiert und zur WM 1958 geführt hatte – Jahre vor dem Ausbruch des nordirischen Bürgerkriegs.

Milk Cup 2013: Die U17-Mannschaft des TuS Altenberge 09 mit Nordirlands Nationaltrainer Michael O’Neill (im Anzug). © Uwe Koopmann
Milk Cup 2013: Die U17-Mannschaft des TuS Altenberge 09 mit Nordirlands Nationaltrainer Michael O’Neill (im Anzug). © Uwe Koopmann

O’Neills Ernennung wurde als Versuch interpretiert, die katholische Minderheit mit der Nationalmannschaft zu versöhnen und der demographischen und politischen Entwicklung Rechnung zu tragen. Denn Katholiken stellen heute ca. 45 Prozent der Bevölkerung, und ihr Anteil wächst weiter. Ein „protestant football team for protestant people“ besitzt deshalb keine Perspektive. O‘Neill bestreitet allerdings vehement ein politisches Kalkül.

Zuvor war bereits die Ausbildung des Nachwuchses modernisiert worden. An der Basis sind nun viele qualifizierte Ausbilder im Einsatz. Die Talente werden durch ein pyramidenförmiges Programm gefördert, dessen unterste Ebene das „IFA Grassroots Soccer Development Programme“ bildet, auf dem das „IFA Centre of Excellence Programme“ und das „IFA Elite Programme“ aufbauen.

Außerdem propagiert die IFA den Kleinfeldfußball mit Siebener-Mannschaften und verabschiedet sich damit von einem britischen Dogma, das auch die jüngsten Jahrgänge auf einem großen Spielfeld elf gegen elf spielen, oder genauer: kämpfen lässt. Erste Fortschritte waren u.a. beim Northern Ireland Milk Cup 2013 zu beobachten, einem der renommiertesten Jugendturniere in Europa, bei dem Nordirland durch die Auswahlteams seiner sechs Grafschaften vertreten wird. Kamen diese Vergangenheit vor allem über den Kampf, so waren im Sommer 2013 auch gute Technik und intelligente Taktik zu beobachten.

Erste Verbesseungen unter Michael O’Neill – aber grundsätzliche Probleme bleiben

O’Neill hatte einen miserablen Start. Absoluter Tiefpunkt war eine 2:3-Niederlage im September 2013 in der Qualifikation zur WM 2013 gegen Luxemburg. Die IFA-Auswahl holte aus den zwölf Quali-Spielen nur sieben Punkte. Für den Fußballzwerg Luxemburg war der Sieg in Belfast der erste Auswärtserfolg seit 41 Jahren. Die IFA hielt trotzdem an O‘Neill fest und wurde belohnt: Nordirland beendete die Qualifikation zur EM 2016 überraschend als Gruppensieger – vor Rumänien und Ungarn.

Allerdings gelang es auch O’Neill nicht wirklich, die Abwanderung in den Süden zu stoppen. Denn nicht nur die IFA wirbt um Nordirlands Katholiken, sondern auch die FAI. Katholische Nordiren durchlaufen zunächst das Ausbildungssystem der IFA, optieren aber anschließend für die Auswahl der Republik. Neben sportlichen Überlegungen spielte auch eine Rolle, dass man im „katholischen“ Süden keine sektiererischen Schmähungen befürchten muss und die Fans einem weit mehr als in Norden das Gefühl geben, daheim zu sein. Noch 2011 erhielten die für Celtic Glasgow und Nordirland spielenden Katholiken Niall McGinn und Paddy McCourt Morddrohungen.

Vor dem EM-Turnier 2012 entschied sich der aus Derry stammende und für Sunderland kickende nordirische Katholik James McClean für eine Nationalspielerkarriere mit dem Süden. Angesichts der Union-Jack-Fahnen und der Gesänge im Windsor Park, so erklärte er, könnten sich nordirische Katholiken in der IFA-Auswahl nicht wohlfühlen. Wer das Gegenteil behaupte, würde lügen. Anschließend gingen auf McCleans Twitter-Account sektiererische Beschimpfungen und Morddrohungen ein.

Auch die ebenfalls aus Derry stammenden katholischen Spieler Shane Duffy (Blackburn Rovers) und Darron Gibson (Everton) sowie Marc Wilson (Stoke City) aus Aghagallon in der Grafschaft Antrim entschieden sich für die Auswahl der FAI. Wie McClean hatten sie alle noch im Juniorenalter für Nordirland gespielt, waren also auf Kosten der IFA ausgebildet worden. Der Wechsel von nordirischen Katholiken zur FAI konterkariert die Bemühungen im Kampf gegen das Sektierertum in Belfast.

Für Paul McVeigh, der als Belfaster Katholik und Spieler von Tottenham und Norwich City von 1999 bis 2004 insgesamt 20-mal das IFA-Trikot getragen hatte, war die Hymne das große Problem. Das Abspielen von „God Save the Queen“ vor den Spielen der Nationalmannschaft würde junge Katholiken in die Reihen der FAI treiben. „Es ist nicht ihre nationale Hymne. ‚God Save the Queen‘ ist die nationale Hymne Englands. Das ist für jeden, der aus der irisch-nationalistischen Community kommt, ein Problem.“ (Schottland und Wales spielen bei ihren Länderspielen nicht „God Save the Queen“, sondern eigene Hymnen.)

Gerry Armstrong, der Held von Sevilla 1982 und nun für die IFA im Nachwuchsbereich tätig, bestätigte dies: „Ich habe mit vielen irisch-nationalistischen Familien und mit deren Kids gesprochen, die für Nordirland in der U17, U19 oder U21 spielen. Es ist offensichtlich ein Thema, das man diskutieren muss.“ Doch die IFA-Führung wollte die protestantischen Fans wohl nicht überfordern. 2013 wurde nichtsdestotrotz beim IFA-Cup-Finale zwischen Glentoran und Clftonville auf „God Save the Queen“ verzichtet – mit Rücksicht auf Cliftonvilles katholischen / nationalistischen Anhang.

Langsame Aussöhnung und gesamtirische Ideenspiele

2013 wurde auch die FAI-Auswahl von einem O’Neill übernommen, nämlich Martin O’Neill. Damit werden nun beide irischen Auswahlteams von nordirischen Katholiken trainiert. Zuvor hatte Martin O’Neill mit Celtic Glasgow je dreimal die schottische Meisterschaft und den Landespokal gewonnen. Celtic-Fans erinnern sich aber vor allem an das UEFA-Pokal-Finale 2003, in dem sich O’Neills Team José Mourinhos FC Porto erst in der Verlängerung hatte beugen müssen.

Anders als sein Namensvetter Michael macht Martin keinen Hehl daraus, dass er eine gesamtirische Auswahl für die beste Option hält. Martin O’Neills Ernennung erfolgte wohl auch ein wenig mit Blick auf die katholischen Talente im Norden. (Nimmt man noch Brendan Rodgers hinzu, der mit dem FC Liverpool in der Saison 2013/14 nur knapp den Premier League-Titel verpasste und in der Saison 2016/127 Celtic Glasgow trainieren wird, so kommen derzeit die drei bekanntesten irischen Trainer aus Nordirland und sind Katholiken.)

Die IFA hat sich parallel binnen weniger Jahre zu eine Speerspitze im Kampf um ein stärkeres Miteinander in der nordirischen Gesellschaft entwickelt. Mittlerweile sind 40 Prozent der IFA-Angestellten Katholiken; so auch Oonagh O’Reilly, die Marketing-Direktorin des Verbands, die in ihrer Jugend eine erfolgreiche GAA-Sportlerin war. O’Reilly verweist mit Recht darauf, dass die IFA konfessionell deutlich ausgeglichener ist als die GAA, wo der Anteil der Protestanten verschwindend gering ist.

Die Zahl katholischer Fans ist allerdings trotzdem nur geringfügig gestiegen. Bei Spielen im Windsor Park wird sie auf etwa fünf Prozent geschätzt. In Frankreich wird die große Mehrheit der nordirischen Katholiken das Team der Republik unterstützen, das auch insgesamt mehr Fans zum Turnier bringen wird. Aber die Ablehnung der IFA-Auswahl ist bei Weitem nicht mehr so vehement wie noch vor einigen Jahren. Hierzu haben auch republikanische Politiker beigetragen.

Martin McGuinness, ehemals Oberkommandeur der IRA und heute stellvertretender Ministerpräsident Nordirlands, sagte zur Frage der beiden irischen Auswahlteams:

„Wenn sich ein junger Bursche für den Norden oder den Süden entscheidet, sollten wir uns nicht in politischer Weise einmischen. Wenn sie glauben, dass ihrer Karriere so am besten gedient ist, sollten wir sie in ihrer Entscheidung unterstützen. Warum sollten wir auf unsere jungen Leute Druck ausüben, sich für den Norden oder den Süden zu entscheiden? Wir sollten sie für das, was sie tun, bewundern und einfach machen lassen. Meine persönliche Meinung lautet, und ich weiß, dass George Best und Derek Dougan diese teilten, dass es ein All-Ireland-Team geben sollte. Das ist keine politische Sache, es wäre die beste Möglichkeit, um Resultate zu erzielen, da man dann – anders als bei zwei Teams – aus 32 Grafschaften auswählen könnte.“

Im Übrigen habe er keine Probleme damit, das nordirische Team anzufeuern. Er hoffe, dass er bald dazu die Gelegenheit bekommen würde – in Form des Besuchs eines Spiels der IFA-Auswahl im Windsor Park. Randnotiz: Nach der erfolgreichen EM-Qualifikation wurde das IFA-Team im Belfaster Rathaus bereits vom Sinn-Féin-Oberbürgermeister Arder Carson empfangen.

Duncan Morrow, Politikprofessor an der Queen’s University in Belfast, bezeichnet die Entwicklung der IFA und im Windsor Park als eine „verdeckte, aber große und symbolische Erfolgsstory der Friedensjahre.“

Aktueller Kader und Ausblick

Michael O’Neills Kader besteht mehrheitlich aus protestantischen Spielern. Katholiken im Team sind u.a. Conor McLaughlin (Fleetwood Town / League One, 3. Liga), der aus West Belfast stammt, Shane Ferguson (FC Millwall / League One), der zunächst Gaelic Football spielte, Paddy McNair (Manchester United) und der bereits erwähnte Niall McGinn (FC Aberdeen). Vier Spieler kickten in der Saison 2015/16 in der Premier League: Jonny Evans, Gareth McAuley (beide West Bromwich Albion), Steven Davis (Southampton) und Paddy McNair. Ex-Manchester-United-Spieler Evans ist auch der Akteur mit dem höchsten Marktwert (sechs Mio. Euro).

Im Sturm ruhen die Hoffnungen auf den 1,93 m großen Kyle Lafferty, der für Birmingham City in der Championship (2. Liga) kickt. Der 28-Jährige stammt aus Enniskillen, Grafschaft Fermanagh, und feierte sein erfolgreichstes Jahr 2013/14 mit US Palermo. Die Sizilianer wurden Meister der Serie B, Lafferty war in 34 Spielen dabei und erzielte elf Tore. Mit Will Grigg von Wigan Athletic steht O’Neill auch noch der Torschützenkönig der englischen 3. Liga zur Verfügung. Grigg steuerte in 40 Spielen 25 Tore zur Rückkehr Wigans in die Championship bei.

17 der 23 Spieler wurden in Nordirland geboren, fünf in England, einer in Kanada. Die Zusammensetzung des Kaders der Republik gestaltet sich ähnlich: 14 wurden in der Republik Irland geboren (darunter Routinier Robbie Keane), zwei in Nordirland (James McLean, Shane Duffy), fünf in England und zwei kommen aus der katholisch-irischen Einwanderer-Community Glasgows.

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