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Eines kann man Frank Baumann, Sportchef von Werder Bremen, nicht vorwerfen: Ein Opportunist zu sein. Baumann: „Ich stelle meine persönliche Reputation nicht über das wirtschaftliche Wohl des Vereins.“

 

Frank Baumann Sportchef Werder Bremen
Frank Baumann im Sommer 2021 während des Trainingslagers
im österreichischen Zell am Ziller. (Foto: imago images)

 

Die Pandemie riss bei Werder ein Loch von 40 Mio. Euro in die Kasse. Die finanziellen Probleme, die den Verein plagen, hat sich Baumann nicht ausgedacht. Die Frankfurter Rundschau kommentiert: „Doch diesen Fakt auch der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass es jeder Fan versteht, gelingt offenbar nicht so ganz – aber das ist kein exklusives Bremer Problem. Viele Menschen haben immer noch nicht realisiert, dass die Corona-Umklammerung viele Klubs an den Rand des Abgrunds, kurz vor den Ruin bringt. Dazu gehört auch Werder.“

Vor der Saison 2019/20 hatte Werder die Wahl zwischen einem sportlichen und einem finanziellen Risiko. Man entschied sich für das finanzielle. Die Rechnung ging nicht auf. Werder landete weit unterhalb des erhofften (und von Teilen der Fußball-Öffentlichkeit geforderten) Platzes am kleinen europäischen Fleischtopf. Mit dem sportlichen Misserfolg und vielen Verletzungen blieb auch eine Wertsteigerung des Kaders aus.

Damit war klar, dass man 2020/21 einen anderen Weg gehen musste: Sportliches statt finanzielles Risiko. Die Hoffnung, trotzdem am Ende über dem Strich zu landen, erfüllte sich nicht.

Um die Mannschaft umzubauen, muss Werder Spieler verkaufen. Aber von den Einnahmen kann nur ein Teil in neue Spieler investiert werden. Die Abgänge muss Werder also durch Spieler ersetzen, die zwar billiger sind, aber mindestens von gleicher Qualität.
 

Werder Bremen zurück in die 1. Liga?

Werder ist bei vielen Kandidaten kein ernsthafter Mitbieter. Es heißt nun: Deshalb seien kreative Lösungen erforderlich. Das ist richtig. Aber auch verdammt schwierig. Denn auch hier befindet sich Werder nicht alleine auf dem Markt. Und: Kreative Lösung sind ohne eine gehörige Portion Glück nicht zu haben. Hinzu kommt: Werders Ausgangslage war schwieriger als die von Schalke 04, wo der Abstieg bereits weit vor dem letzten Spieltag klar war. Natürlich konnten auch viele andere Vereine der 2. Liga früher ihren Kader zusammenstellen als Werder. Auf Baumann wartete somit eine Herkulesaufgabe: finanzielle Sanierung und Aufbau eines weitgehend neuen Kaders – alles innerhalb eines sehr kleinen Zeitrahmens. Verschärfend kam noch hinzu: Der sehr frühe Start der 2. Liga (24. Juli) – gut fünf Wochen vor Schließung des Transferfensters. Tödlich für einen Verein, der in einem Ausmaß umbauen muss wie Werder. Dass Werder noch nicht so weit ist wie die Konkurrenz, sollte also nicht überraschen.

Was die notwendigen Verkäufe angeht, ist Baumann durchaus erfolgreich. Hier wurden bislang gut 30 Mio. Euro eingenommen. Hinzu kommen die Einsparungen bei den Gehältern der Spieler. Baumann hat damit Werders größte finanzielle Sorgen beseitigt. Einfach war das nicht. Denn die Konkurrenz kennt ja Werders Probleme. Wie bereits erwähnt: Der Verein MUSS Spieler loswerden, was deren Preise drückt. Hilfreich war dabei, dass Josh Sargent in Düsseldorf zwei Tore schoss, was seinen Wert hochschnellen ließ. So verrückt reagiert der Transfermarkt.

Allerdings bedeuten die Verkäufe einen erheblichen Verlust an sportlicher Substanz. Da – abstiegsbedingt – Verkäufe und Zukäufe mit Verspätung stattfanden bzw. -finden und die Zukäufe erst nach den Verkäufen getätigt werden können bzw. bestenfalls zeitgleich, war eigentlich von vorneherein klar, dass Werder sportlich einige extrem schwierige Wochen erleben würde. Laut Baumann war man sich schon mit vielen Spielern einig. Mit deren Beratern sei bereits alles geklärt gewesen. Auch die Arbeitsverträge seien schon ausgehandelt gewesen. „Aber ich kann doch nicht mit einem Verein einen Transfer final verhandeln und sagen: ‚Wann ich selbst meine Spieler verkauft habe, kann ich nicht sagen, aber lass uns schon mal den Transfervertrag unterschreiben.‘ Das funktioniert so nicht.“

Auch wenn Trainer Markus Anfang seinen Kader endlich zusammen hat: Es wird einer sein, der erst zum gemeinsamen Spiel finden muss. Der Kader, mit dem Anfang die Saisonvorbereitung absolvierte, ist ja nur eingeschränkt mit dem identisch, der demnächst (!) in der 2. Liga aufläuft. Werder ist für mich kein Kandidat für die Rückkehr in die 1. Liga. Nicht in dieser Saison. Vielleicht in der nächsten. Dies hätte man vielleicht nach dem Abstieg unüberhörbar sagen müssen. So aber wirken völlig korrekte Erklärungen etwas nachgeschoben.
 

Unbeliebte Transferpolitik

Da Neuverpflichtungen bislang ausbleiben und man nur von Verkäufen liest, steht Baumann schwer unter Beschuss. Medien und Fans wünschen bei Transfers schnelle Vollzugsmeldungen. Was zu falschen Entscheidungen führen kann. Man gibt dem Drängeln nach und verpflichtet Spieler, von denen man nicht wirklich überzeugt ist, die überteuert sind, die einem von Beratern aufgeschwatzt werden, die zu einem Kader führen, dem es an Balance mangelt. Einfach irgendwie die Lücken füllen. Offensichtlich will Frank Baumann diesen Fehler nicht machen.

Im Fußball ist nichts weniger sexy als Realismus und nachhaltiges Handeln. Ein Sportdirektor, der finanziell ins Risiko geht, bleibt nach wie vor populärer als einer, der nachhaltig denkt – sportlich wie finanziell. Auch dann noch, wenn der Verein auf Grund seines Gebarens später finanziell ins Straucheln gerät. Weil das sportliche Ziel verfehlt wird, die damit verbundenen Refinanzierung der Investitionen ausbleibt, man somit überinvestiert hat. Erst recht gilt das für den Fall, wenn das sportliche Ziel zwar erreicht wurde, allerdings zu dem Preis, dass man in den folgenden Jahren mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat, am Rande zum Ruin agiert. Einige Jahre später werden viele Fans nur noch davon erzählen, wie ihr Klub einen Platz in Europa buchte, von den damit verbundenen Auswärtsfahren etc.

Im Gespräch mit dem Magazin 11 Freunde hat Frank Baumann das Dilemma ganz gut auf den Punkt gebracht. Vor der Saison 2020/21 musste Werder „aus wirtschaftlichen Gründen entscheiden, zwei Mittelfeldspieler, die wir gerne geholt hätten, nicht zu verpflichten. Als die Pandemie losging, gab es viele Diskussionen über die Unvernunft der Vereine. So eine Entscheidung wird einem aber nicht gedankt, wenn die sportlichen Ziele verfehlt werden.“ Dies ist vermutlich ein Grund, warum die Pandemie bei einigen Klubs nicht zu einem Umdenken geführt hat.
 

Wie arbeitet man erfolgreich und nachhaltig?

Beim westfälischen Traditionsverein Preußen Münster hatte man in der Saison 2019/20 ein ähnliches Problem. Der Klub musste bei seinem Kader finanziell abspecken. Außerdem hatte er in struktureller und infrastruktureller Hinsicht den Anschluss an einige Konkurrenten verloren. Der Sportdirektor legte den Akzent auf strukturelles und infrastrukturelles Aufholen, Beseitigung der finanziellen Probleme und Nachhaltigkeit. Am Ende der Saison waren die Preußen abgestiegen. Was aber nicht unbedingt sein musste, wenn man sich anschaut, wie sich einige der im Sommer 2019 getätigten Verpflichtungen entwickelt haben und wo sie heute spielen. So wie für Werder mit dem Kader der Saison 2019/20 mehr als nur der Relegationsplatz drin war.

In der Öffentlichkeit stünde der Sportdirektor des SCP heute wesentlich besser da, hätte er mächtig das Konto überzogen, aber den Klassenerhalt geschafft, anschließend gekündigt und die durch seine Politik vergrößerten finanziellen Problem seinem Nachfolger überlassen.

Manchmal frage ich mich: Wie kann man als Sportdirektor eigentlich gut und erfolgreich arbeiten, wenn man ständig Störgeräuschen ausgesetzt ist? Jonas Boldt, Sportchef des Hamburger SV, im bereits erwähnten 11-Freunde-Gespräch: „Mein Eindruck ist, dass früher mehr darauf geschaut wurde, wer was gut gemacht hat, etwas entwickelt und als Vorbild dienen kann. Inzwischen geht es zunehmend darum, wer der Schuldige ist. (…) Dass es keine Garantie auf Erfolg gibt, akzeptierten die Menschen heute immer weniger. (…) Wir haben jetzt drei Jahre oben mitgespielt und werden auch in dieser Saison eine konkurrenzfähige Mannschaft haben. Aber es muss eben auch unser Anspruch sein, etwas Nachhaltiges aufzubauen. Es wäre unverantwortlich zu sagen: ‚Koste es, was es wolle – und wenn’s nicht funktioniert, bin ich weg, nach mir die Sintflut.‘“

Aber wird eine solche Politik von der Öffentlichkeit honoriert? Nur wenn schnell spürbar ist, dass dies der richtige Weg ist. Auch ist ein solcher Weg in Freiburg oder Mainz vermittelbarer als „auf Schalke“, beim Hamburger SV und auch bei Werder – große Vereine mit vielen Fans und einer ruhmreichen Vergangenheit. Hier ist die Erwartungshaltung extrem hoch. Nach einem Abstieg hat die Mannschaft sofort wieder ins Oberhaus zurückzukehren. Auch ist in diesen Vereinen die Zahl derjenigen, die noch in der Vergangenheit schwelgen und irgendwie mitreden wollen, besonders groß. Jonas Boldt: „Wo viele mitreden, besteht immer die Gefahr, dass die Emotion in Entscheidungen reinspielt und die Führung vom Weg abkommt.“ Dabei haben manche von den Mitredenden den Anschluss an eine sich rasant verändernde Fußballlandschaft verloren. Einige Medien strapazieren sie trotzdem gerne. Keine Krise, in der nicht jemand aus dem Hut gezaubert wird, der noch einmal erzählt, wie früher alles besser war und was die heute Verantwortlichen alles falsch machen würden.
 

Verschuldung einfacher zu vermitteln

Eine Mannschaft zu entwickeln wird immer schwieriger. Nicht nur für Werder. Ein zu eng getakteter Spielplan auf Kosten des Training, eine eingeschränkte Saisonvorbereitung, ein unruhiges Umfeld, das von heute auf morgen Resultate sehen will, der Störfaktor Klick-Journalismus – für Sportdirektoren und Trainer wird es immer schwieriger.

Vielen Fans ist eine Verschuldung viel einfacher zu vermitteln als eine Sanierung der Finanzen. Solange die Ergebnisse stimmen, interessiert der Zustand der Finanzen nicht. Frank Baumann kann sich also den Mund fusselig reden: „Ich weiß nicht, wie oft wir kommunizieren sollen, dass das wirtschaftliche Überleben an komplett erster Stelle steht.“

Noch einmal Jonas Boldt: „Die Kunst ist, bei sich zu bleiben, egal, wie es läuft. Nicht alles feiern und überhöhen, wenn es gut läuft, und nicht alles für schlecht halten, wenn nicht.“ Vermutlich würden das 90 Prozent aller Fans unterschreiben. Die Realität sieht aber anders aus. Und die Blutgrätsche kommt häufig auch aus dem Milieu, das von sich behauptet, keine „Schönwetter“- und „Erfolgsfans“ zu sein, sondern „echte Fans“. In der Saison 2017/18 drohten HSV-Fans den Spielern: „Bevor die Uhr ausgeht, jagen wir euch durch die Stadt.“ „Auf Schalke“ wurden Spieler nach dem Abstieg von Fans verfolgt und bedroht. Zu den Problemen des gegenwärtigen Fußballs gehört auch die Angst – die Angst der Sportdirektoren, der Trainer, der Spieler. Wenn Fans Sportdirektoren, Trainer und Spieler bedrohen, machen sie das Spiel nicht besser, sondern schlechter. Und entpuppen sich als das, was sie eigentlich nicht sein wollen: „Schönwetter“- und „Erfolgsfans“. Und zwar der extremsten Art.

 

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