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Der TuS Haltern hat einen rasanten Weg hinter sich: Die 1. Mannschaft stieg von der Bezirksliga bis in die Regionalliga auf – vier Aufstiege binnen zehn Jahren! Nun will der Klub zum Athletic Bilbao des deutschen Amateurfußballs werden. Ein Interview mit dem Marketingleiter des Klubs, Raphael Brinkert.

 

Herr Brinkert, wie sah bislang die Kaderpolitik bezüglich der „Ersten“ aus?

Die Kaderpolitik bestand darin, ambitionierte Amateurfußballer aus ganz NRW zu gewinnen, die beim TuS Haltern am See die Chance hatten, auf sportlich höchstmöglichem Niveau Beruf und Sport zu vereinen.

Wie sieht die Zukunft aus, was wird sich wie ändern?

Unser Ziel ist es, den Ruf als „Deutschlands erfolgreichste Talentschmiede im Amateurfußball“ auszubauen und gleichzeitig mit dem Bilbao-Konzept Talenten aus der Region eine Heimat in Haltern am See zu bieten. Dazu gehören Jugendspieler genauso wie Eigengewächse aus Haltern am See, die bislang außerhalb der Seestadt ihre Fußballschuhe schnüren. Mit der Quote von zunächst 50 und im Folgejahr 75 Prozent von Spielern aus Haltern am See gehen wir einen behutsamen Weg, der durch die natürliche Fluktuation die Anzahl der Härtefälle reduziert.

Inwieweit war die Corona-Krise ausschlaggebend für den Strategiewechsel?

Die Corona-Krise sehen wir als Chance für eine langfristige Strategie, die den Bedürfnissen der Stadt und Vereinsmitglieder am besten gerecht wird. Corona hat diesen Weg und die Konsequenz, den wir vor einem Jahr auf dem sportlichen Höhepunkt mit der Kampagne „Unser Star ist die Stadt“ eingeschlagen haben, in der Tat beschleunigt. Darüber hinaus haben wir jedoch schon im Dezember klar und deutlich geäußert, dass wir uns an dem Run auf den Ruin im Amateurfußball, wie ihn viele Vereine betreiben, nicht teilnehmen wollen.

Kann man mit dem Bilbao-Weg in der Regionalliga überleben?

Es ist sportlich absolut ambitioniert, aber darum geht es uns nicht in erster Linie. Unsere größte Herausforderung waren in dieser Saison nicht die Spiele gegen Rot-Weiss Essen oder Alemannia Aachen, sondern unsere mangelnde Infrastruktur auf der städtischen Anlage in Haltern am See. Kurz: Lieber spielen wir mit vielen Halterner Jungs notfalls in der Oberliga in Haltern als mit einer zusammengekauften Mannschaft in Ausweichstadien anderer Städte. Das sind wir unseren Mitgliedern und Fans schuldig.

Glauben Sie, dass andere Vereine folgen werden?

Die Frage ist, ob man nicht nur den Mut der Entscheidung, sondern auch dessen Konsequenz trägt. Hier kann ich nur für unsere Mitglieder und Entscheider im Verein sprechen, denen es in erster Linie um Gemeinschaft und Heimat geht, nicht um Erfolg um jeden Preis.

Die U19 spielt in der Landesliga, also in der zweithöchsten Spielklasse in Westfalen. Die B- und C-Jugendmannschaften indes „nur“ in der Kreisliga. Wird sich durch die Verfolgung des Bilbao-Wegs etwas in der Jugendarbeit ändern, wird sie intensiver?

In der aktuellen Saison haben wir nicht nur im Seniorenbereich, mit dem Klassenerhalt in der Regionalliga und dem Aufstieg des Team B in die Landesliga, sondern auch im Jugendbereich durch den Aufstieg der U17 und U15 das erfolgreichste Jahr in der Vereinsgeschichte. Unser Problem war bislang die mangelnde Durchlässigkeit in den und im Seniorenbereich. Mit dem Bilbao-Konzept werden wir diesen Weg intensivieren und uns gleichzeitig wieder zu den Wurzeln des Vereins als Deutschlands erfolgreichste Talentschmiede im Amateurfußball bekennen.

Was steht beim Nachwuchs im Vordergrund: Mannschaftsergebnis oder individuelle Ausbildung? Wird es darum gehen, möglichst hochklassig zu spielen, oder liegt das Hauptaugenmerkt darauf, wie viele Spieler bis zum Seniorenalter ein gutes bis sehr gutes Niveau erreicht haben.

Das müssen im Einzelnen die Leiter der Talentschmiede, Sven Weber und Ex-Profi Daniel Haxter (u. a. Preußen Münster, d. A.), beantworten. Klar ist jedoch, dass eine höhere Spielklasse die Grundvoraussetzung für leistungsorientierten Jugendfußball im Team und in der individuellen Ausbildung ist.

Wenn man gut ausbildet, wird dies Begehrlichkeiten anderer Vereine wecken. Die Spieler werden nicht nur interessant sein für Profivereine, sondern auch für konkurrierende Amateurklubs, deren Mannschaften eine oder zwei Ligen höher spielen. Man muss also auch in der Breite enorm gut ausbilden, damit dann nach dem Weggang der Besten eine ausreichend große Zahl von guten Spielern bleibt, oder?

Es wäre sportlich gesehen eine Katastrophe, wenn unsere Spieler keine Begehrlichkeiten bei Dritten wecken würden, das war und wird auch in Zukunft hoffentlich der Fall sein. Wir freuen uns über jeden Spieler, der über uns den Weg in den Profifußball findet und nach der Karriere, wenn auch in einer anderen Funktion, wieder zum Verein stößt und an unserem Vereinsleben teilnimmt. Nehmen Sie nur Benni Höwedes, ohne ihn wäre Deutschland vielleicht kein Weltmeister. Für alle, denen der Weg zum Profifußball verwehrt bleibt, möchten wir auch in Zukunft im Senioren- und Jugendbereich die beste Adresse im Kreis Recklinghausen sein. Wer meint, dass er wegen 100 Euro Fahrtgeld im Monat den Verein wechseln muss, dem bezahlen wir gerne die erste Tankfüllung, damit er auch mit dem Auto zum neuen Verein kommt.

Zum Schluss: Wird Corona das Fußballsystem ändern – sowohl bei den Profis als auch bei den Amateuren?

Die beste Antwort darauf können wir nicht heute oder morgen, sondern erst in drei Jahren geben. In der Natur des Menschen liegt, dass er nach der überstandenen Krise wieder ins Hamsterrad steigt. Wir werden es uns von der Tribüne aus anschauen.

 

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