Vor genau 30 Jahren, im Sommer 1990, wurde die DFB-Elf in Italien zum dritten Mal Weltmeister. Nach einem insgesamt sehr schwachen Turnier, das trotzdem zum Markstein in der Fußballgeschichte wurde.
Dabei hatte nicht viel gefehlt, und der spätere Weltmeister wäre beim Turnier gar nicht dabei gewesen. Im letzten Qualifikationsspiel empfing die DFB-Elf Wales. In Cardiff hatte man sich von den Walisern torlos getrennt. Unentschieden endeten auch die beiden Begegnungen mit dem Europameister Niederlande.
In Köln gingen die Waliser zunächst in Führung. Rudi Völler konnte ausgleichen, und in der 48. Minute gelang Thomas Häßler mit einem Volleyschuss das 2:1 – sein erstes Tor im achten Länderspiel. Häßler gestand später, eigentlich nicht so recht gewusst zu haben, was er tat. Die Führung hielt bis zum Schlusspfiff. Der Sieg reichte zum zweiten Platz. Ein Remis hätte hierzu auch gereicht, wäre aber trotzdem zu wenig gewesen. Denn von den drei Gruppenzweiten der Vierergruppen qualifizierten sich nur die beiden punktbesten. Im Falle eines Remis wäre Dänemark statt Deutschland nach Italien gereist und Teamchef Franz Beckenbauer ausgewandert. So hatte er es zumindest für den Fall des Scheiterns angekündigt. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb: „Mit Mühe über den Brenner gekrochen.“
Eine halbe Heim-WM
Trotz der holperigen Qualifikation musste man die Deutschen zu den Titelanwärtern zählen. Für das DFB-Team war es eine halbe Heim-WM: Im deutschen Kader standen fünf Spieler, die in Italiens Serie A kickten, der damals weltbesten Liga. Jürgen Klinsmann, Lothar Matthäus und Andreas Brehme spielten für Inter Mailand, Thomas Berthold und Rudi Völler für AS Rom. Diese fünf Akteure waren später auch im Finale dabei. Die große Zahl von Serie-A-Leuten war einer der Schlüssel zum Erfolg. Deutsche Spieler waren bei den italienischen Topadressen begehrt. Der FC Bayern war nur eine Zwischenstation auf dem Weg ins Lira-Paradies. Nach der WM zog es noch Thomas Häßler, Stefan Reuter, Karl-Heinz Riedle, Jürgen Kohler und Andreas Möller gen Italien.
Die ersten fünf von insgesamt sieben Begegnungen durfte das DFB-Team im Mailänder Stadio Giuseppe Meazza bestreiten. Für die Fans war Mailand gut erreichbar. Zumindest wer aus dem Süden der Republik kam, konnte den Besuch der deutschen Auftritte als Tagesausflug gestalten.
Das DFB-Team ging souverän durch die Vorrunde. Jugoslawien wurde mit 4:1 besiegt, die Vereinigten Arabischen Emirate mit 5:1. Gegen den Geheimfavoriten Kolumbien begnügte man sich mit einem Remis.
Deutschland schlägt den Europameister
Im Achtelfinale traf man auf die Niederlande mit den Milan-Stars Ruud Gullit, Frank Rijkaard und Marco van Basten, was zu diesem frühen Zeitpunkt nicht beabsichtigt war. Aber der Europameister war in einer Gruppe, in der fünf der sechs Begegnungen unentschieden endeten, nur Dritter geworden.
Das DFB-Team profitierte von der miesen Stimmung in der Elftal. Bondscoach Rinus Michels war nach der EM zurückgetreten. Sein Nachfolger wurde Thijs Libregts, der bei einigen Spielern auf Widerstand stieß. Drei Monate vor dem Anpfiff der WM wurde er bereits wieder entlassen. Viele Spieler wollten mit Johan Cruyff nach Italien fahren, aber Rinus Michels, nun Technischer Direktor des niederländischen Fußballbunds KNVB, verhinderte das. Stattdessen erhielt Michels Freund Leo Beenhakker den Job. Die Spieler fühlten sich verraten. Ein katastrophales Trainingslager in Jugoslawien ließ die Stimmung weiter sinken.
In Italien war der Europameister eine einzige Enttäuschung. In der Gruppenphase waren Gullit und Co. mit drei Unentschieden sieglos geblieben, nicht einmal gegen Ägypten hatte es zum Sieg gereicht.
In Mailand ging es nun äußerst hektisch zu. Ein Teil der deutschen Fans quittierte jede Ballberührung eines Schwarzen Niederländers mit Pfiffen. In der 22. Minute schickte der unsichere argentinische Schiedsrichter Frank Rijkaard und Rudi Völler vorzeitig vom Platz. Vorausgegangen war ein harmloser Rempler zwischen Völler und Keeper Hans van Breukelen, dem ein Wortgefecht folgte. In dieses mischte sich auch Rijkaard ein. Rijkaard zerrte Völler in den Haaren und bespuckte ihn. Die Folge: „Rot“ für beide, Völler wurde allerdings zu Unrecht vom Platz gestellt. Beim Gang in Richtung Kabine setzte der Niederländer seine Spuckattacke fort.
Die Elftal traf der Platzverweis härter. Rijkaard fehlte entscheidend beim Spielaufbau und als Gegenspieler von Jürgen Klinsmann, der in Mailand sein bestes Spiel im DFB-Dress absolvierte. In der 51. Minute schoss Klinsmann die Deutschen in Führung, Brehme konnte in der 82. Minute auf 2:0 erhöhen. Den Niederländern gelang nur noch der Anschlusstreffer.
Vom Elfmeterpunkt zum Titel
In den nun folgenden 300 Minuten bis zum Abpfiff des Turniers gelang der DFB-Elf nur noch ein Tor aus dem Spiel heraus. Entschieden wurden die Spiele ausschließlich vom Elfmeterpunkt. Im Viertelfinale wurde die Tschechoslowakei durch einen von Matthäus verwandelten Strafstoß mit 1:0 bezwungen. Im Halbfinale gegen England stand es nach 120 Minuten 1:1, für die Deutschen hatte Brehme getroffen. Im Elfmeterschießen scheiterte Stuart Pearce an Bodo Illgner, und Chris Waddle haute den Ball übers Tor, während die deutschen Schützen ihre Bälle erfolgreich im englischen Kasten versenkten.
Mit Deutschland gegen Argentinien kam es zu einer Neuauflage des 1986er Endspiels, obwohl die Albiceleste nur zwei ihrer Spiele „richtig“ gewonnen hatte. Drei waren unentschieden ausgegangen, gegen Kamerun hatte man verloren. Im Viertelfinale wie im Halbfinale gelang das Weiterkommen nur nach Elfmeterschießen. Als das letzte Spiel angepfiffen wurde, hatte die argentinische Mannschaft in sechs Spielen erst fünf Tore erzielt.
Argentinien ging personell stark geschwächt ins Finale. Sergio Batista, Ricardo Giusti, Julio Olarticoechea sowie Claudio Caniggia waren gesperrt, und Diego Maradona betrat das Spielfeld stark angeschlagen. Anders als 1986 in Mexiko lag die komplette Verantwortung auf seinen Schultern – auf den Schultern eines Spielers, den Drogenprobleme und Übergewicht plagten.
Argentinien agierte destruktiv und brachte im gesamten Spiel nur einen Torschuss zustande. In der 65. Minute schwächten sich die Argentinier personell weiter, als Pedro Monzon nach einem Foul an Klinsmann die rote Karte sah. In der 84. Minute verwandelte Brehme einen Strafstoß zum 1:0 für das DFB-Team. Zuvor hatte der schwache mexikanische Schiedsrichter ein Foul von José Serrizuela an Völler gesehen. Teamchef Beckenbauer: „Da hat der Rudi wohl etwas mitgeholfen.“ In der 87. Minute musste auch noch Gustavo Dezotti vom Feld, nachdem er Kohler an die Gurgel gegangen war.
1:0 stand es auch noch beim Schlusspfiff. Erstmals blieb das im Finale unterlegene Team ohne Torerfolg. Trotz des fragwürdigen Elfmeters: Der Sieg ging in Ordnung. Gewonnen hatte das kleinere Übel.
Fußball der ärmsten Sorte
In spielerischer und taktischer Hinsicht war das Turnier eine einzige Enttäuschung. Die FIFA-Kommission gab sich anschließend ratlos. Matti Lieske schrieb in der taz: „Es triumphierte der phantasiearme, effektive Kraftfußball europäischer Prägung. (…) Die Tendenz zu einem reinen Mittelfeldspiel, arm an Torszenen und technischen Raffinessen, unterbrochen von durchschnittlich vierzig bis fünfzig Freistößen, schreitet unerbittlich fort.“ Nur 2,21 Tore pro Spiel waren der niedrigste Schnitt seit Bestehen des Turniers. Das DFB-Team war mit 155 Torschüssen und 15 Toren der weitaus offensivste unter den 24 Endrunden-Teilnehmern. 13 der deutschen Treffer markierten Italien-Legionäre.
In 37 von 44 WM-Spielen ging die Mannschaft, die das erste Tor geschossen hatte, als Sieger vom Platz. Sechsmal musste das führende Team noch den Ausgleich hinnehmen, aber nur zweimal konnte ein Spiel noch gedreht werden. Bezeichnenderweise war eines dieser Spiele Kamerun gegen England. Kameruns Schwächen lagen im taktischen Bereich wie im Defensivverhalten, was eine Erklärung dafür war, warum eine so technisch versierte und spielerisch brillante Elf am Ende des Turniers in der Foulstatistik den ersten Platz belegte.
Defensive Orientierung und Mutlosigkeit hatten zur Folge, dass acht der 15 K.-o.-Spiele vom Elfmeterpunkt aus entschieden wurden.
Am wüstesten wurde der Negativfußball der WM 1990 nicht von einem der europäischen Teams, sondern von Carlos Bilardos Argentiniern betrieben, was den Feuilletonisten Helmut Böttiger zu der Aussage verleitete: „Argentinien ist die Selbstauslöschung Südamerikas mit modernster Technologie.“
Von den südamerikanischen Teams ließ Brasilien noch am ehesten frühere Individualität und Genialität erkennen, wenngleich auch hier bereits eine fortgeschrittene Annäherung an das europäische System zu beobachten war. 26 weite Querpässe im Spiel gegen Schweden und lediglich vier Tore in 360 Spielminuten sprachen eine deutliche Sprache. Vom traditionsreichen risikofreudigen Angriffsspiel war kaum mehr etwas zu sehen.
Komplettiert wurde die Enttäuschung durch das eher unauffällige Agieren vermeintlicher Weltstars. So blieben anschließend Spieler in Erinnerung, die zuvor niemand auf der Rechnung hatte. Zu nennen sind hier insbesondere der Kameruner Roger Milla, mit 38 Jahren der älteste WM-Teilnehmer und bis heute auch der älteste WM-Torschütze aller Zeiten, sowie der bis dahin international weitgehend unbekannte Italiener Salvatore „Toto“ Schillaci, der mit seinen sechs Treffern Torschützenkönig wurde.
Die WM löste innerhalb der FIFA eine Debatte über Regeländerungen aus, darunter auch so abstruse Vorschläge wie die Vergrößerung der Tore. Ein erstes Resultat bestand schließlich in der neuen Rückpassregel, dem Torwart war es von nun an verboten, Rückpässe eines Mitspielers mit den Händen aufzunehmen. Diese Änderung förderte sowohl die Entwicklung des spielenden Verteidigers wie eines neuen Typus von Torwart, der sich durch Ballsicherheit auszeichnete und zuweilen gar in die Rolle eines Liberos hineinschlüpfte.
Die Reformlust der FIFA war aber auch kommerziellen Erwägungen und einem Verständnis von Fußball als Unterhaltungsindustrie geschuldet. Um für das Spiel neue Schichten zu erschließen und es für den Kampf mit konkurrierenden Freizeitangeboten zu rüsten, musste im Zeitalter der Eventkultur das Unterhaltungselement gestärkt werden. Gleiches galt auch für die Mobilisierung potenter, global operierender Sponsoren sowie der globalen TV-Vermarktung. Die Debatte wurde nicht von ungefähr dadurch forciert, dass der nächste WM-Austragungsort USA hieß, wo das sportliche Konsumverhalten durch treffer- und punktereichere Ballsportarten geprägt war.
Leitbild Italien
Trotz allem wurde die WM 1990 zum Auftakt eines neuen Fußballbooms, wofür in erster Linie die mediengerechte Präsentation sowie das einmalige Ambiente, das Italien als Gastgeberland bot, verantwortlich waren. Das WM-Turnier 1990 wurde zum Markstein eines Imagewandels. Das Halbfinale England-Deutschland wurde in England von 26 Mio. Menschen gesehen. Das waren 12 Mio. mehr, als bei den Unterhauswahlen 1992 für die regierende Tory-Party votierten. Der Fußball war zurück in der ersten Reihe, und so mancher stellte nun die Frage: Wer regiert das Land?
Bemerkenswert war auch, dass die Halbfinalbegegnung weltweit von mehr Frauen als Männern verfolgt wurde. Die Beteiligung von Frauen am politischen, kulturellen, vor allem aber ökonomischen Leben war zwischenzeitlich enorm gestiegen. Für den Fußball lag dieser neue, riesige Markt zunächst jedoch – selbst verschuldet – brach. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander hatte sich verändert, vor allem innerhalb der Mittelschichten. Die Zeiten, als die Männer das Wochenende familienlos zwischen Fußballplatz und Kneipe verbrachten, während sich die bessere Hälfte ganz dem Haushalt und dem Nachwuchs widmete, gehörten in vielen Familien der Vergangenheit an. Folglich musste sich der Fußball um die Frauen kümmern, wollte er mehr Männer in die Stadien mobilisieren. Bereits 1989 äußerte FC-Bayern-Manager Uli Hoeneß: „Die Situation in den Familien hat sich geändert. Keiner kann mehr die Frauen zum Kaffeetrinken schicken und sagen: ‚Ich gehe zum Fußball.‘ Dem muss ich Rechnung tragen, auf Dauer der ganzen Familie etwas bieten.“
In Italien wurde der Fußball nie naserümpfend als minderwertige Populär- und Unterschichtskultur abgetan, sondern mobilisierte schon früh das Interesse von Industriekapitänen und Kulturschaffenden. Fußball wurde hier in einem Atemzug mit Oper, Architektur und Literatur erörtert.
Auch die Politik stand nicht abseits. Italiens Regierungschef Andreotti erklärte die WM zu einer Aufgabe von nationaler Bedeutung. 1986 hatte der Medienmogul Silvio Berlusconi den AC Mailand übernommen. Eine von ihm ins Leben gerufene rechtspopulistische Partei taufte der PR-Profi nach dem Schlachtruf der Tifosi: „Forza Italia“. Berlusconi verkörperte perfekt eine neue Stufe der Symbiose zwischen Wirtschaft, Medien, Politik und Fußball.
Das finanzielle Niveau der italienischen Liga überstieg zum Zeitpunkt der WM das der englischen First Division und der deutschen Bundesliga um Längen. Die hier gezahlten Summen waren möglich, weil „nur in Italien Fußball so ungehemmt gesellschaftsfähig ist“ und „wie selbstverständlich zum erweiterten Bereich der Kultur gehört. (…) Deshalb regen sich auch nicht viele über die verrückten Gehälter und Ablösesummen für Fußballspieler auf, die sich vernünftig so wenig begründen lassen wie die exzentrischen Honorare für andere Kulturschaffende: für Joseph Beuys, Mick Jagger oder Herbert von Karajan“, schrieb der Journalist Niels Kadritzke. Inter-Mailand-Stürmer Jürgen Klinsmann: „Fußball ist hier mehr als Fußball, er ist Teil einer lebendigen Volkskultur. (…) Wenn bei uns jemand fünf Millionen in einen Klub reinbuttert, heißt es überall: ‚Der Typ spinnt.‘ Doch hier gibt es Präsidenten, die 60 Millionen und mehr reinschießen – das ist eine Ehrensache, das sind wahre Volkshelden.“
Die italienischen Verhältnisse wurden zum Leitbild anderer europäischer Fußballnationen und deren Großklubs. Italien war die geeignete Bühne, um den Fußball in einer neuen Form zu präsentieren. Die Stadien waren modern und komfortabel, fürs kulturelle Begleitprogramm sorgten keine Blaskapellen, sondern die „Drei Tenöre“. Und die Spieler gaben ebenfalls ihr Bestes, wenn auch nicht immer sportlich: Zu den Bildern, die von diesem Turnier im Gedächtnis haften blieben, gehörten die Tränen des englischen Nationalspielers Paul Gascoigne nach dem unglücklichen Ausscheiden seines Teams gegen Deutschland. Die Message lautete: Wenn es um Fußball geht, weinen selbst harte Männer aus Newcastle. „Italien zeigte eine Seite des Fußballs, die viele Frauen zuvor noch nie gesehen hatten“, schrieb die britische Journalistin Anne Coddington.
Einstieg der Beletage
Nicht nur die Präsentation des Fußballs durch die Medien, sondern auch die stetig steigenden Gehälter der Spieler, deren Elite in die Klasse der „Millionarios“ einzog, ihre nun häufiger bürgerliche Herkunft sowie ihr Lifestyle beförderten den Imagewandel weg vom „Proletariersport“. Der Fußball der 1990er Jahre war nur noch von seiner Tradition her ein Arbeitersport.
Mit dem Imagewandel korrespondierte die Zunahme des Sponsorentums. Das klassische Mäzenatentum wurde mehr und mehr verdrängt. Wer jetzt Geld in einen Verein steckte, begriff das nicht als einseitige Unterstützung, sondern als Geschäft auf Gegenseitigkeit: Er wollte für seine Investition etwas zurückhaben. Damit stieg nicht nur der Umfang der Gelder, sondern änderte sich auch das Profil der Geldgeber.
Auch diesbezüglich war Italien ein Vorbild, wo z.B. die Agnelli-Familie Juventus Turin bereits seit 1923 sponserte. Was in Italien also bereits seit langem üblich war, hielt nun auch in England und Deutschland Einzug: Die Granden der Wirtschaft, die sich bis dahin in Sachen Fußball eher bedeckt gehalten und elitäreren Sportarten den Vorzug gegeben hatten, entdeckten nun den Werbewert des Spiels und seiner Topadressen. In England wurde die Barclays Bank 1987 Hauptsponsor der League. Wichtiger als die Summe des Sponsorendeals – die 4,55 Mio. Pfund bedeuteten seinerzeit die höchste Zahlung in der Geschichte des britischen Sports – war der Name des Partners, der signalisierte, dass es um das Wohlbefinden und Image des Fußballs wohl doch nicht so schlecht bestellt war wie weithin unterstellt. In der Bundesrepublik gelang es dem DFB vor der WM 1990 mit Daimler-Benz einen Sponsor zu gewinnen, von dem der deutsche Fußball bis dahin nur geträumt hatte. Der FC Bayern München schloss 1989 einen Vertrag mit dem Autohersteller Opel ab, der später mit Paris Saint-Germain, Standard Lüttich, AC Mailand und Sparta Prag noch andere international bekannte Fußballadressen an sich band. Der Weltkonzern Bayer hatte lange Zeit das eigene „Werksteam“ Bayer 04 Leverkusen nur mit „Pflichtleistungen“ bedacht, die deutlich unter den Möglichkeiten des Chemiegiganten lagen. Aber Anfang der 1990er Jahre folgte Bayer dem (erfolgreichen) Beispiel des Philips-Elektronikkonzerns in Eindhoven und stattete den Klub mit Sponsoren-Geldern aus, die neben Opels Zuwendungen an den FC Bayern die höchsten in der Bundesliga waren.
Der bemerkenswerte Imagewandel des Fußballs in den 1990er Jahren wird aber auch aus der Haltung der Politik gegenüber dem Spiel ersichtlich. Ende der 1980er Jahre, als sich der Sport in England in seiner schwersten Krise befand und mehr durch verrottete Stadien, Hooligans und Katastrophen als durch fußballerische Glanztaten von sich reden machte, kam kein englischer Politiker auf den verwegenen Gedanken, sich seinem Wahlvolk als Fußballfan zu präsentieren. In mittelständisch geprägten Wahlkreisen wäre das einem politischen Selbstmord gleichgekommen. Bei den Unterhauswahlen 1997 sah die Situation dann völlig anders aus: Labour- und Tory-Kandidaten übertrafen sich geradezu gegenseitig in ihren Bekenntnissen zum „people’s game“. Ähnlich gestaltete sich die Situation auch in der Bundesrepublik. Nicht von ungefähr wählte der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder das Dortmunder Westfalenstadion als Bühne für die Eröffnung seines parteiinternen Wahlkampfes. Sein Vorgänger Kohl hatte sich mit Vorliebe und öffentlichkeitswirksam in der Kabine der Nationalelf herumgetrieben und den „väterlichen Freund“ des Bundestrainer und der Nationalspieler gespielt.
Sportlich war es ein schwaches Turnier. Aber was den Schulterschluss mit der Großindustrie und der Politik anbelangt, markierte Italien einen großen Sprung nach vorn. Der europäische Fußball wurde italienischer.