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Abstiege sind grausam. Aber die militante Aufregung, die manchmal bei Abstiegen grassiert, bis hin zur physischen Bedrohung der Verantwortlichen, ist für mich etwas übertrieben. Das Wutbürgertum tobt sich leider auch im Fußball aus. Köpfe müssen rollen – unabhängig vom tatsächlichen Ausmaß der Verantwortung für das sportliche Scheitern.

Hört sich jetzt blöd an. Aber ein Abstieg ist Teil des Sports. Jedes Jahr müssen zwei bis drei Klubs absteigen. Zwei bis drei steigen auf. Und nicht nur die Absteiger verfehlen ihr Saisonziel.

Es gibt Momente, in denen ich der geschlossenen Gesellschaft des US-Sports etwas abgewinnen kann. Etwas weniger Dramatik, etwas weniger Existenzängste, etwas mehr nachhaltiges Denken und Handeln.

Ein Abstieg bedeutet auch nicht immer, dass du alles falsch gemacht hast. 2011/12 stieg die SpVgg Greuther Fürth in die Bundesliga auf – und gleich wieder ab. Nicht weil man miserabel gearbeitet hatte. Es war von vorneherein klar, dass bei den Fürthern alles, aber auch wirklich alles passen musste, um mehr als eine Spielzeit in der Liga zu überleben. (Zum „alles passen“ hätten auch zwei, drei überraschend furchtbar schwache Konkurrenten gehört, die so ziemlich alles falsch machen. So wie Schalke in der aktuellen Saison.) Der Abstieg änderte nichts daran, dass in Fürth seit vielen Jahren ziemlich gute Arbeit geleistet wurde und wird – auch und gerade im Nachwuchsbereich. Die 1. Bundesliga war für die Franken ein Bonus-Jahr. Sollten sie in dieser Saison aufsteigen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Saison 2012/13 wiederholt. Der Verein wird es überleben.

Tim Borowsky & Thomas Schaaf
Können Thomas Schaaf und sein Co-Trainer Tim Borowski den Abstieg am letzten Spieltag noch verhindern? (Foto: imago images)

 

Wie eine Entscheidung alles ändern kann …

Du kannst alles tun, was im Bereich deiner Möglichkeiten steht – und trotzdem absteigen. Weil andere Klubs ganz andere Möglichkeiten haben, du von einem besonders großen Verletzungspech verfolgt wirst, dein Team häufiger als andere nur den Pfosten trifft …

Eine Geschichte aus dem eigenen Verein. Wir setzten stark auf die eigene Jugend. Mit diesem Konzept stiegen wir in die Bezirksliga auf – trotz des Abgangs vieler Jugendspieler zu größeren Vereinen. Dass wir im zweiten Jahr mit einer blutjungen Mannschaft nicht wieder abstiegen, war auch dem Umstand zu verdanken, dass der Schiedsrichter im letzten Meisterschaftsspiel nicht sah, dass der Ball einen halben Meter hinter der Torlinie aufschlug. Glücklicherweise reagierte unser Torwart so wie Manuel Neuer bei der WM 2010 gegen England. Drei Jahre später waren wir mit einer Mannschaft, die zu 90 Prozent aus Eigengewächsen bestand, in die Landesliga aufgestiegen, wo sie bis zur Pandemie die Plätze vier und fünf belegte. Aber dieser Ball hinter der Torlinie hätte den gesamten Prozess beenden können. 2017 wurde das Konzept gefeiert. Aber nur wenige Jahre zuvor hätte man uns, die Verantwortlichen, an die Wand genagelt, hätte der Schiedstrichter genauer hingeschaut.
 

Werder Bremen: kein Topklub mehr

Doch zu Werder Bremen: Die Probleme des Vereins sind nicht neu. 2010/11 war Werders letzte Champions-League-Saison. In der Gruppenphase wurden die Bremer Letzter. In der Bundesliga reichte es nur zu Platz 13. Vom Relegationsplatz trennten die Grün-Weißen lediglich fünf Punkte. Die Platzierungen in den folgenden neun Spielzeiten: 9, 14, 12, 10, 13, 8, 11, 8, 16. Einschließlich der aktuellen Saison reichte es in den letzten elf Saisons also nur dreimal zu einem einstelligen Tabellenplatz.

Klaus Allofs, seit 1999 Manager, löste im November 2012 seinen Vertrag auf – also in jener Saison, die Werder nur als 14. beendete. Drei Punkte vor dem Relegationsplatz. Allofs wusste, wo die Zukunft lag. Unabhängig vom eigenen Agieren. Er wechselte zum VW-Klub VfL Wolfsburg, mit dem er in der Saison 2014/15 Vizemeister und Pokalsieger wurde und die Champions League erreichte.

Ein Teil der Fans sieht im Geschäftsführer Sport, Frank Baumann, den Schuldigen für die aktuelle Misere. Allerdings trat Baumann das Amt erst im Sommer 2016 an. Zwei der drei einstelligen Platzierungen fallen in seine Amtszeit. Bis zum Sommer 2019 sah es eher danach aus, als würden die Zeiten besser.

Von daher greift es zu kurz, Baumann dafür anzuklagen, dass Werder heute nicht mehr in der Champions League spielt, ja nicht einmal die Zugehörigkeit zur Bundesliga eine Selbstverständlichkeit ist. Letzteres ist bereits seit einer Dekade der Fall. Was Werder in der Tat nicht geschafft hat: Die ersten Plätze hinter den ersten vier, fünf Teams zu besetzen.
 

Die eigene Größe neu definieren

Auch in den Jahren, als Werder ein ernsthafter Herausforderer der Bayern war, hatte der Verein überperformt. Spätestens ab der Saison 2010/11 war auch das nicht mehr möglich. Werder fehlten die europäischen Gelder. In den sieben Spielzeiten von 2004/05 bis 2010/11 war Werder sechsmal in der Champions League dabei. Bayern und Dortmund konnten eine Saison ohne Europa verkraften. Für einen Klub wie Werder war dadurch aber auch national das Spiel mit den Großen beendet.

Werders aktuelle Situation hat natürlich auch mit Fehlentscheidungen zu tun. Aber sie ist noch mehr der allgemeinen Entwicklung des Profifußballs geschuldet. Die Champions-League-Vereine haben die Bremer weit abgehängt. Gleichzeitig hat die Zahl der Klubs, die nicht kleiner sind als Werder, zugenommen. Und einige dieser haben einen großen Vorteil: Sie müssen sich nicht mit einer glorreichen Vergangenheit herumschlagen. Mit Stimmen, die ihre Klubs (wieder) in Europa (und dort nach Möglichkeit in der Champions League) sehen wollen. Jakob Böllhoff schreibt in der Frankfurter Rundschau, dass "die Freiburger und Augsburger und Mainzer schlau und vorsichtig gehaushaltet [haben], paranoid beinahe, denn die guten Zeiten sind für sie die Vorboten der schlechten, wegen der höheren Belastung in Kombination mit dem Verkauf von Leistungsträgern; wo sollen wir spielen im nächsten Jahr? Europapokal?? Ohgottogott, das ist der Untergang."

Was Werder in der aktuellen Krise am wenigsten benötigt sind Leute, die der Auffassung sind, Jörg Wontorra und Co. könnten den Klub zurück in die Champions League katapultieren. Das würde geradewegs ins HSV-Desaster führen. Sollten neben Schalke auch noch Köln und Bremen absteigen, wird die die kommende Bundesliga ein echtes Problem für die Vermarkter: Leipzig, Wolfsburg, Leverkusen, Freiburg, Hoffenheim, Augsburg, Mainz, Bielefeld, Kiel, Bochum, Fürth … Die 2. Liga dagegen: Bremen, Köln, Schalke, Düsseldorf, HSV, Karlsruhe, St. Pauli, Hannover, Nürnberg … Sie wäre die Liga der „Traditionsvereine“ mit großem Zuschauerpotenzial. Man mag das bedauern, aber es ist gerecht. Mainz, Augsburg und Freiburg haben einfach vieles richtig gemacht. Abstiege bedeuten an diesen Standorten nicht den Untergang, weshalb ihnen auch nicht das Schicksal des 1. FC Kaiserslautern drohen würde. Der SC Freiburg will stets zu den 25 besten Klubs gehören – das schließt die ersten sieben Plätze in der zweiten Liga mit ein.

Dieses  „Richtigmachen“ fällt vielen Traditionsvereinen schwer, weil es mit Ansprüchen kollidiert, die zumindest kurz- und mittelfristig die falschen sind. Böllhoff spricht von einer „wahnhaften Mixtur aus Anspruch, Realitätsverweigerung und Missmanagement". Von daher sind Forderungen, Werder müsse wieder zu alter Größe finden und ein Champions-League-Klub werden wenig zielführend. Diese Zeiten sind vorbei. Es sei denn, 50 plus 1 fällt und ein arabischer, amerikanischer oder russischer Investor pumpt ordentlich Geld in den Verein.

Vereine wie Werder müssen also neu definieren, was Größe ist. Für Traditionsklubs mit vielen Fans, die viele Titel gewonnen haben, aber unter den herrschenden Verhältnissen nie wieder Meister werden können, stellen sich folgende Fragen: Welchen Sinn gebe ich meinem Klub? Wie schaffe ich es, positive Aufmerksamkeit und Identifikation zu mobilisieren, auch wenn es nicht mehr um Titel geht? Was unterscheidet mich von anderen Vereinen? Warum soll sich der Fan, der Sponsor, der Investor für mich entscheiden, wenn die Grenzen des sportlichen Spielraums, in dem ich mich bewege, Platz sieben in der ersten und Platz acht in der zweiten Liga lauten.

Das kann eine besondere Form von Ausbildungs- und Nachwuchsarbeit sein, aber auch ein herausragendes gesellschaftspolitisches Engagement. (Hier bietet sich das Thema Bildung an.) Es muss etwas sein, was auch dann noch strahlt, wenn die Mannschaft auf dem Rasen mal nicht so strahlt. Es muss etwas sein, was den Wert von Verein und Profifußball für die Gesellschaft demonstriert.

Klar, der Leistungsfußball steht weiterhin im Vordergrund, er ist das Kerngeschäft. Aber man könnte ihn um weitere Ideen und Projekte bereichern.
 

Neue Ideen müssen her

Der englische Klub Forest Green Rovers spielt nur in der 4. Liga. Trotzdem redet die halbe Fußballwelt darüber. Wegen seiner Politik der Nachhaltigkeit. Jüngstes Projekt: ein Stadion aus Holz. Der Viertligist zählt aktuell über 100 Fanklubs in 20 Ländern. Nicht dass Werder jetzt ein grünes Stadion bauen soll. Und die vegane Wurst ist auch nicht mein Ding. Aber Forest Green ist ein Beispiel dafür, wie man Aufmerksamkeit und Identifikation auch jenseits der Ergebnisse herstellen kann. Oder zumindest neben diesen. Ein anderes Beispiel ist Athletic Bilbao. Wenn wir über die Basken reden, geht es eigentlich nie darum, wo sich der Klub gerade in der Tabelle befindet. Es geht um seine Ausbildungs- und Rekrutierungspolitik. Manchmal auch um die Art seines Spiels – auch das weitgehend unabhängig vom Ergebnis.

Hätte ich mehr Geld auf meinem Konto, würde ich damit nicht einen dieser Klubs sponsern, die bereits jetzt sportlich extrem erfolgreich sind und sich in der Champions League tummeln. Sondern einen Klub, der etwas Besonderes darstellt, sich von anderen aus der Mittelklasse abhebt. Einen Klub, dessen Philosophie auf und neben dem Spielfeld Dinge beinhaltet, mit denen ich mich identifizieren kann. Der mich einlädt, Teil einer guten Geschichte zu werden.
 

Zu familiär?

Noch etwas zum Vorwurf, Werder sei zu „familiär“. Ganz abgesehen davon, dass dies zumindest partiell auch für den FC Bayern gilt und die Mainzer gerade dafür belohnt wurden, dass sie Christian Heidel und Martin Schmidt zurückholten und Bo Svensson zum Cheftrainer kürten. Svensson hatte sieben Jahre für Mainz 05 gespielt und von 2015 bis 2019 den Nachwuchs des Klubs trainiert (U16, U17, U19). Mehr Familie geht nicht.

Werder ist viele Jahre bestens damit gefahren, eine „Familie“ zu sein. Gegen diese Konstruktion ist auch nichts einzuwenden, sofern wir es nicht mit einem geschlossenen und selbstgefälligen Klüngel zu tun haben, der nicht bereit ist, sein Handeln periodisch auf den Prüfstand zu stellen – nicht um Köpfe rollen zu lassen, sondern um sich als Familie weiterzuentwickeln: Der familiäre Charakter beinhaltet eine Reihe von Vorteilen. Man erlebt weniger böse Überraschungen, weil man die Akteure kennt, die man mit Aufgaben und Verantwortung betraut. Die Identifikation mit dem Projekt ist hoch, der Wohlfühlfaktor ebenfalls. Bei Spielern sagt man, sie würden ihren besten Fußball dort spielen, wo sie sich am wohlsten fühlen. Die „Werder-Familie“ zu zerschlagen, würde dem Verein das Besondere nehmen – eben eines dieser Merkmale, die ihn von anderen unterscheidet. Die „Werder-Familie“ ist mit das erste, was einem bei diesem Verein einfällt. Gefolgt von Arnd Zeigler.

Dass Werder lange an Florian Kohfeldt festhielt, fand ich sympathisch. Das Problem war ja nicht der Trainer, zumindest nicht in erster Linie. Wenn der Trainer aus dem eigenen Stall kommt, sich dort hochgedient hat, ist das von Vorteil – siehe Freiburg, siehe Mainz. Aber auch Werder. Er kennt den Klub, der Klub kennt ihn. Klubs sollten daran arbeiten, ihre Trainer selber auszubilden – so wie sie es auch mit Spielern tun. Der U19-Trainer übernimmt in der nächsten Saison die U23. Der U23-Trainer wird Coach der „Ersten“. Vielleicht auch nicht. Vielleicht will er mal eine U15 trainieren. Oder sich fortbilden und hospitieren. Der nächste Werder-Coach wird ein externer sein, weil sich im eigenen Stall niemand aufdrängt.

Wichtig ist: Die Familie muss offen bleiben, attraktiv für Menschen (auch Sponsoren und Investoren), die „hineinheiraten“ möchten. So wie sich die Familie in der Gesellschaft verändert hat, muss sie sich auch im Fußball verändern. Erst gerade haben neun Frauen darauf hingewiesen.
 

Abstieg: grausam, aber keine Katastrophe

Abstiege sind grausam, müssen aber keine Katastrophe sein. Manchmal eröffnen sie die Möglichkeit, Dinge anzugehen, zu denen man im ständigen Kampf um den Klassenerhalt nicht gekommen ist – was aber nur dazu geführt hat, dass sich die Defizite aufstauen: überfällige strukturelle Reformen, die Überarbeitung einer veralteten Philosophie, mittel- bis langfristige Planungen.

 

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