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Fußball

 

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Gibt es eigentlich noch eine Unterscheidung zwischen Senioren- und Juniorenfußball? Oder wird der Nachwuchsfußball immer mehr zum Seniorenfußball? In der U19-Bundesliga genügen manchmal schon drei Niederlagen in Folge, damit sich auch hier das Trainerkarussell dreht. Die U19 des Profiklubs XY gewinnt in dieser Saison nicht die Meisterschaft. Aber im Gegensatz zur Meisterelf vom Vorjahr sind drei Spieler dabei, die es in die 1. Mannschaft bzw. in den Profibereich schaffen – dank guter Ausbildungsarbeit. Wovon der Klub eigentlich mehr hat als von einem Junioren-Meistertitel, der lediglich der Imagepflege dient. Aber häufig wird nur das Mannschaftsergebnis gesehen – nicht die individuelle Entwicklung von Spielern. Bereits im Nachwuchsfußball werden Trainer danach beurteilt, wie viele Titel sie eingefahren haben. Leute, die eigentlich primär ausbilden sollen, werden zu Titeltrainern, betreiben primär Titelarbeit.

Wenn es aber in erster Linie um die Mannschaftsleistung, Ligazugehörigkeit und den Tabellenplatz geht, muss man sich nicht wundern, wenn sich auch in den Juniorenklassen ein Fußball ausbreiten kann, wie er derzeit in der Bundesliga beklagt wird. Ein von Angst geprägter Fußball, der übermäßig das Spiel „gegen den Ball“ betont (anstatt das Spiel mit dem Ball), auf lange Bälle und die „zweiten Bälle“ setzt.

Sogar Trainer in den Altersklassen U11 und U13 bilden häufig nicht individuell aus, sondern betreiben in erster Linie Titeljagd. Für die Spieler aus aller Herren Länder geholt werden. Nach Möglichkeit solche, die über eine für ihr Alter beeindruckende Physis verfügen. Schließlich will man später mal die U17 oder U19 des Klubs übernehmen. Und die Empfehlung für diesen Job läuft über Titel. Den U11- und U13-Trainer kennen lediglich die Eltern und noch einige Insider. Die „großen Trainer“ sind die, die in der Junioren-Bundesliga in der Coaching-Zone stehen. Hinzu kommt, dass es für junge Trainer leichter geworden ist, in den Profibereich aufzusteigen. Siehe Julian Nagelsmann, siehe Domenico Tedesco. Was im Prinzip eine erfreuliche Entwicklung ist. Aber gemessen an der Gesamtzahl hochgradig qualifizierter Trainer handelt es sich um einen sehr geringen Prozentsatz. Heute möchte jeder Profitrainer werden. Aber auf dem Weg dorthin wird manchmal vernachlässigt, was die eigentliche Aufgabe eines Nachwuchstrainers ist.

An der Basis, die gerne den großen Fußball kopiert, sieht es nicht anders aus. Auch im Nachwuchs eines Amateurvereins gibt es Trainer, die schon in der U7 selektieren und bei ihren Schülern keine Fehler dulden; die nur auf das Ergebnis schauen und dabei ihre eigentliche Aufgabe, die (vor allem technische) Ausbildung, vernachlässigen. Talent und Mut werden domestiziert. Wodurch viele potentiell gute Fußballer verloren gehen. Diese Trainer werden nicht nur vom eigenen Ehrgeiz angetrieben, sondern auch dem der Eltern der Spieler (die Mütter mischen heute auch noch mit), die in ihren Kleinen bereits künftige Profis sehen. Fußball ist vielleicht zu groß und zu sexy geworden.

Das Ganze geht auf Kosten der Xavis, Iniestas und Co., weil sie zunächst „zu schmächtig“ sind und in den Altersklassen D- und C-Junioren weniger Erfolg garantieren als die physisch starken (aber perspektivisch manchmal schlechteren) Fußballer. Kinder und Jugendliche werden Opfer des Selbstverwirklichungsdrangs ihrer Trainer, die an der Basis häufig auch Spielervater sind. Denn der Trainer weiß: Fußball ist groß und sexy – und kann Trainer groß und sexy machen. Und sei es auch nur im Dorfverein.

In manchen Klubs gibt es einen regelrechten Wettbewerb zwischen den Trainern: Wer fährt am Wochenende die besten Ergebnisse ein? Der U19-Trainer hofft, dass der U17-Trainer verliert – damit er ihm in einer Phase gewisser eigener Erfolgslosigkeit nicht zu sehr auf die Pelle rückt. Der U11-Trainer hofft, dass der U13-Trainer erfolglos ist – denn er will ihn in der nächsten Saison beerben.

Im Fußball wird viel über die Notwendigkeit zur „Individualisierung“ in der Ausbildung geredet. Die Realität ist aber eine andere. Es geht häufig primär um das Mannschaftsergebnis – nicht um die individuelle Entwicklung von Spielern. Trainer Heinz-Rüdiger gewinnt mit seiner U11 jedes Turnier und wird ständig Meister. Aber wie viele Spieler aus seiner Truppe bringen es im Seniorenalter auf ein höheres Niveau? Wie viele Spieler entwickelt er wirklich?

Der Druck, dem die Trainer ausgesetzt sind (und dem sie sich selber aussetzen), hat zur Folge, dass sich auch im Nachwuchsfußball an der Basis, also im Amateurverein, eine Form von „Ausbildung“ verbreiten kann, die mittelfristig auf allen Ebenen die Qualität des Spiels beeinträchtigt. Und dass auch hier Trainer schon mal Spieler zerstören – weil sie für den unmittelbaren Erfolg nicht taugen. Aber mit dem Fußball ist es wie mit der Kultur: Gutes wächst von unten.

Bleibt noch die Frage nach der Bedeutung der Ligazugehörigkeit. Ist es für einen Erstligisten tatsächlich ein Drama, wenn seine U19 oder seine U17 mal eine Spielzeit nicht in der Bundesliga verbringen? Entwickeln sich die Spieler eine Klasse tiefer wirklich immer schlechter? Oder ist die Saison ohne den Druck der Bundesliga für die Entwicklung des einen und anderen Spielers nicht sogar eher hilfreich? Zumal ja die Möglichkeit von Testspielen gegen Bundesligisten bleibt. Und der Trainer auch eine Etage tiefer ausbilden darf. Niemand hindert ihn daran, auch hier gute Arbeit zu leisten. Und der Trainer ist nun mal für die Entwicklung junger Spieler enorm wichtig. Wichtiger als die Spielklasse.

Welche Funktion hat eine Jugendabteilung? Soll sie vornehmlich Titel einfahren, oder soll sie vornehmlich durch gute Ausbildung dafür sorgen, dass eine möglichst große Zahl von Spielern das für sie mögliche höchste Niveau erreicht?

Ein Beispiel aus dem Amateurbereich: Ein münsterländischer Dorfverein spielt in der Landesliga. U15 bis U19 dieses Vereins in der Bezirksliga, der „Bundesliga“ der Dorfvereine. Einige meinen nun, die Bezirksliga müsse um jeden Preis gehalten werden. Mit Blick auf die „Erste“ des Vereins, die zu 90 % aus heimischen Kräften besteht. Die Bezirksligazugehörigkeit der Juniorenmannschaften basiert aber teilweise (in einem Fall sogar zum großen Teil) auf auswärtigen Kräften, die dem Verein in der Regel bei Erreichen des Seniorenalters den Rücken kehren. Und beim Abstieg einer Juniorenmannschaft sowieso. Was bedeutet, dass es weniger um eine Gesamtperspektive geht, sondern um einzelne Mannschaften und deren Status. Und: Etwa 70 Prozent der Eigengewächse in der „Ersten“ haben in der Jugend nie in der Bezirksliga gespielt… Sie wurden einfach gut ausgebildet. Und der Trainer der „Ersten“ verwaltet diese Spieler nicht, sondern setzt deren Ausbildung fort.

 

Peter Hyballa
Peter Hyballa gibt Anweisungen.

Peter Hyballa ist DFB-Fußballlehrer (Pro Licence) und Magister der Sportwissenschaften, Pädagogik und Psychologie. Der Deutsch-Niederländer ist seit über 20 Jahren Fulltime-Coach und trainierte erfolgreich u.a. im Zukunftsbereich Borussia Dortmund U19, Bayer Leverkusen U19, VfL Wolfsburg U19, Arminia Bielefeld U19, Preußen Münster U17, 1. FC Bocholt U17 und Red Bull Salzburg U23. Im Profifußball trainierte er als Cheftrainer im In- und Ausland Alemannia Aachen, NEC Nijmegen/Niederlande, Sturm Graz/Österreich und Ramblers Windhoek/Namibia.

Des Weiteren gibt Hyballa weltweit innovative Trainerfortbildungen für Vereine und Verbände, ist Speaker in der Privatwirtschaft sowie TV-Experte. Hyballa ist Mitglied im deutschen (BDFL) und niederländischen (CBV) Profi-Trainerverband. Zudem ist er freier Autor bei der DFB-Fachzeitschrift Fußballtraining und beim niederländischen Fachjournal De Voetbaltrainer und Co-Kommentator für die Premier League, Eredivisie und Scottish Premiership beim Live-Streamer Dazn.

www.peterhyballa.org

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