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Fußball

 

von Dietrich Schulze-Marmeling – Mit Niko Kovac wird im Sommer 2018 eine C-Lösung neuer Trainer des FC Bayern. Ob der ehemalige Bayern-Spieler tatsächlich nur Trainer wurde, weil Heynckes nicht mehr wollte, Klopp vertraglich gebunden war und Tuchel keine Lust auf Uli Hoeneß hatte, sei dahingestellt.

Sicher ist, dass der deutsche Markt nicht wirklich viel hergab. Und für nicht-deutsche Toptrainer hat die Bundesliga möglicherweise an Attraktivität verloren. Real Madrid und der FC Barcelona sowieso, aber auch die Topadressen der Premier League ziehen mehr als der FC Bayern. Vielleicht sogar Paris St. Germain.

Aber der Kandidatenkreis war von vorneherein eingeschränkt, weil die Bayern einen Trainer wollten, der die deutsche Sprache beherrscht.


Kovac und die Eintracht

Kovacs Amtszeit bei Eintracht Frankfurt begann am 8. März 2016. Der Deutsch-Kroate trat die Nachfolge von Armin Veh an. Vorausgegangen waren sieben sieglose Spiele. Die Eintracht steckte tief im Abstiegskampf, lag nach 25 Spielen auf Platz 16, dem Relegationsplatz. Auch nach 34 Spielen war die Situation nicht besser. Unter Kovac holte die Eintracht aus den neun noch verbleibenden Spielen zwölf Punkte (von 27 möglichen), neun davon in den letzten vier Begegnungen. Die Eintracht befand sich also zunächst weiterhin im freien Fall, wenngleich am 27. Spieltag mit einem 1:0 über Hannover 96 endlich wieder ein Sieg gelang. In den neun Spielen unter Kovac traf die Eintracht nur sechsmal ins gegnerische Tor. In fünf Spielen blieb sie ohne Torerfolg. Die Relegationsspiele gegen den 1.FC Nürnberg wurden allerdings erfolgreich bewältigt.

In die Saison 2016/17 ging Kovac mit einem „extrem multikulturellen“ und – jedenfalls von außen betrachtet – ziemlich wild wirkenden Kader. Die Spieler kamen aus 17 Nationen. Kovac: „Jeder Spieler bringt etwas aus seiner Kultur ins Kollektiv mit. So ist es eine Bereicherung für uns alle.“ Außerdem dockte eine Reihe von Spielern nur auf Leihbasis in Frankfurt an. Der Kader war also alles andere als einfach. Nicht wenige hielten diesen Kader für kaum regierbar und prophezeiten den Frankfurtern eine schwere Saison. Umso überraschender war es, wie schnell es Kovac gelang, eine schlagkräftige Truppe zu formen. Die Eintracht belegte in dieser Saison Platz elf. Mit 43 Gegentoren war die Mannschaft auf Platz sieben, mit 36 geschossenen Toren auf Platz 13. Ihre Stärke lag somit in der Defensive. Der Beinahe-Absteiger der Vorsaison spielte eine starke Hinrunde (29 Punkte) und war nach 19 Spieltagen sogar Dritter. In den folgenden 15 Spielen ging die Eintracht allerdings nur noch zweimal als Sieger vom Platz. Zehnmal zog sie den Kürzeren, siebenmal ohne ein Tor zu erzielen. Aus den letzten fünf Bundesligaspielen holte die Mannschaft nur einen Punkt. Mit nur 13 Punkten fiel die Rückrunde deutlich schwächer aus als die Hinrunde. Allerdings erreichte sie das Pokalfinale, wo die Eintracht dem BVB nach einem guten Auftritt mit 1:2 unterlag.

In der aktuellen Saison 2017/18 steht die Eintracht nach 30 Spieltagen auf Platz sieben. Auch bei den erzielten Toren liegt man auf Platz sieben, bei den Gegentoren auf Platz sechs. Rein statistisch agiert die Mannschaft etwas offensiver als im Vorjahr. In der Hinrunde fuhr man 26 Punkten ein, also drei Punkte weniger als im Vorjahr. In der Rückrunde sind es nach 13 Spielen 20, also sieben mehr als in der Saison 2016/17 nach 17. Das Verhältnis Hinrunde zur Rückrunde gestaltet sich also deutlich ausgeglichener als noch im Jahr zuvor. Trotzdem gibt es erneut Anzeichen dafür, dass die Mannschaft in der Schlussphase der Saison auf den Felgen läuft. Aus den letzten drei Spielen holte die Eintracht nur einen Punkt, was Kovacs hartem Training zugeschrieben wird. Aber dass die Mannschaft noch vier Spieltage vor Saisonschluss von einem Platz in Europa träumen darf, ist möglicherweise genau diesem Training geschuldet. Außerdem wurde im Anschluss an diese drei Begegnungen mit einem 1:0-Sieg „auf Schalke“ erneut das Pokalfinale erreicht – wenn auch glücklich. Das Siegtor schoss der 20-jährige Serbe Luka Jovic, den die Eintracht aus der 2. Mannschaft von Benfica Lissabon geholt hatte.

 

Kovac entwickelte sich und die Eintracht weiter

Dass die Eintracht mehr Luft hat als im Vorjahr, mag auch einer etwas veränderten Spielweise geschuldet ein. Womit wir zum vielleicht interessantesten Aspekt der Personalie Kovac kommen. Viele glaubten, der Fußball, den die Eintracht 2016/17 in der Saison spielte, sei der Kovac-Fußball gewesen. Tatsächlich entsprach dieser Fußball nicht wirklich seinem Geschmack. Kovac ließ den Fußball spielen, den er für diesen Kader und seine Qualitäten angemessen hielt. Aber den Anspruch, die Spielweise zu verbessern – weg vom reinen Kampf, hin zum Spiel, hatte er damit nicht aufgegeben.

Am 28. Spieltag verlor die Eintracht bei Werder Bremen zwar knapp und etwas unglücklich mit 1:2, zeigte aber einen der besten Auftritte in dieser Saison. Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass die Frankfurter im Weserstadion mehr Pässe spielte (519:425), eine bessere Passquote besaß (82% zu 75%) und höheren Ballbesitz verzeichnete (55% zu 45%) als der Sieger der Partie. Spiegel online schrieb anschließend: „In seinen zwei Jahren im Klub hat Kovac das Team erst vor dem Abstieg bewahrt und dann in einen Champions-League-Kandidaten verwandelt. Gegen Werder spielt die Mannschaft mit einer klar erkennbaren Idee. Sie verteidigt mal mit Dreier – mal mit Viererkette, auch die Offensivformation ist variabel, wie fast immer in dieser Saison. Was die Eintracht vom Großteil der Bundesligisten abhebt, die aus Vorsicht vor möglichen Ballverlusten im Aufbau lange Bälle in die Spitze bevorzugen: Sie will Fußball spielen, nicht bloß Fußball kämpfen.“

Interessant ist auch ein Vergleich der Frankfurter Auftritte bei Borussia Dortmund in der Saison 2016/17 und 2017/18. Beide Begegnungen gingen verloren, aber hinsichtlich der Spieldaten gab es erhebliche Unterschiede. 2016/17 unterlag man dem von Thomas Tuchel trainierten BVB mit 1:3. Die Borussen spielten 572 Pässe, die Eintracht nur 302. Die schwarz-gelbe Passquote betrug 77%, die schwarz-rote nur 62%. Beim Ballbesitz war der BVB mit 62% zu 38% ebenfalls klar überlegen. 2017/18 unterlag man dem BVB mit 2:3, das Siegtor fiel erst in der Nachspielzeit. Die Borussen wurden nun von Peter Stöger trainiert und waren dem Verlierer in allen drei Bereichen unterlegen. Die Eintracht spielte mehr Pässe als der Gegner (416:355), besaß die bessere Passquote (76:70) und hatte mehr Ballbesitz (54:46).

Was die Eintracht in dieser Saison vorzugsweise spielt, kann man als robusten Umschaltfußball mit einer guten Organisation der Defensive beschreiben. Wird ein Mittelfeldspieler aus der Tiefe der eigenen Hälfte angespielt, dreht sich dieser und spielt den Ball in die Tiefe des gegnerischen Raums, in den die Stürmer hineinsprinten. Nahe der Grundlinie wird dann quer gespielt. Ähnlich verhält es sich nach einer Balleroberung im Mittelfeld. Für den FC Bayern ist dies vielleicht gegen europäische Topteams ein geeigneter Plan, nicht aber in der Bundesliga, wo sich die Gegner hinten reinstellen. Gegen einen defensiv orientierten Gegner hat die Kovac-Elf Probleme beim HerausSPIELEN von Torchancen.

Was sich gegenüber der Vorsaison nicht geändert hat, ist die hohe Zahl von Fouls. In der Saison 2016/17 war die Eintracht mit 543 Fouls auf Platz 18 in der Fairnesstabelle. Auch in der aktuellen Saison belegt die Kovac-Truppe den letzten Platz. Nach 30 Spieltagen hat man 478-mal zugelangt. Bayern München, auch in dieser Wertung aktuell auf Platz eins, kam bislang mit 317 Vergehen aus.

Trotzdem: In der aktuellen Saison gehört die Eintracht in der Liga des Pressings (genauer: Zerstörens des generischen Spielaufbaues), der langen Bälle und der Gegen-den-Ball-Philosophie zu den positiveren Erscheinungen. Kovac gehört zu den Kritikern des Verlusts an Spielkultur: „Es gibt wenige Mannschaften in der Liga, die einen gepflegten, technisch guten Fußball spielen.“ Zugleich ist er aber auch mehr Pragmatiker als Reformer: „Es hat nicht jeder das Portemonnaie, um sich die weltbesten Fußballer und Individualisten zu kaufen. Man muss mit den Mitteln, die man zur Verfügung hat, etwas Schlagkräftiges aufbauen. Wenn der Gegner sehr hoch angreift, sehr früh ins Angriffspressing geht, sehr aggressiv verteidigt, ist es schwierig, locker herauszuspielen.“ (Als Nachfolger von Kovac bei der Eintracht wird mit dem Ex-Leverkusener Roger Schmidt ein Trainer gehandelt, den nicht wenige als Mit-Verursacher des Gegen-den-Ball-Gepöhle betrachten. Bayer-Keeper Bernd Leno: „Wir hatten hier drei Jahre keinen Spielaufbau.“)

Zwei Jahre nach dem Fastabstieg muss man also einräumen, dass Bobic, Hübner, Kovac und Co. eine für die finanziellen Verhältnisse der Frankfurter außerordentlich kluge und erfolgreiche Personalpolitik betrieben.
 

Ausbildung: Mehr Technik statt Taktik

Als Kovac im September 2015 als Nationaltrainer Kroatiens entlassen wurde, beklagte Luka Modric das Fehlen eines Konzepts. Kovac wurden Aussagen wie „Taktik ist unwichtig“, das Herz würde Spiele entscheiden, zu Last gelegt. Auch diesbezüglich hat sich Kovac fraglos weiterentwickelt. Kevin Prince Boateng: „Ich hatte noch nie einen Trainer, der dich so gut auf den Gegner vorbereitet.“ Ein Anti-Taktiker ist er nicht. Aber auch kein Guardiola.

Kovac will Technik und Taktik in ein Verhältnis zueinander bringen, in dem die Technik dominiert. Wenn es um die Ausbildung von Fußballern geht, ist sein Vorbild Spanien. „Im Nachwuchs müssen die besten Ausbilder arbeiten, weil dort die Grundlage gelegt wird. Nageln Sie mich nicht fest, aber in Spanien wird bis zur C-Jugend acht gegen acht auf Kleinfeldern gespielt. Kleine Räume mit vielen Kontakten. Wie viele Kontakte hat ein Spieler bei elf gegen elf? Und wie viele Minuten hat er den Ball? Wenn wir auf ein- oder eineinhalb Minuten kommen, ist das schon viel. Das Ziel muss sein, den Kindern den Ball zu geben, damit sie sich etwas zutrauen und versuchen, einen auszuspielen. (…) Die technische Ausbildung muss perfektioniert werden. Die Technik ist die Grundvoraussetzung für alles andere. (…) In Spanien wird viel mit dem Ball gemacht, bei uns taktisch viel verschoben. Okay, auch das muss irgendwann dazukommen, die Technik muss jedoch die Basis für alles andere sein.“

Der aus einem Berliner Arbeiterbezirk stammende Kovac gilt als akribischer und fleißiger Arbeiter. Heynckes verweist darauf, dass dies in seiner Branche nicht selbstverständlich sei. Wohl ein Seitenhieb auf seinen gemütlichen Vorgänger Carlo Ancelotti. Kovac ist extrem wissbegierig, bildet sich laufend fort. Roland Zorn wusste in der FAS zu berichten, dass Kovac gleich zweimal die Wintercamps von Klopps BVB besuchte. Anschließend hospitierte er auch bei dessen Nachfolger Thomas Tuchel.

Kovac nennt als seine Tugenden: Transparenz, Einfühlungsvermögen („Ohne Empathie geht nichts. Der liebe Gott hat uns die Zunge gegeben, damit wir miteinander reden“), Geradlinigkeit.

Als Aktiver war Kovac im Mittelfeld zu Hause. Laut Hitzfeld haben es diese Spieler einfacher, Trainer zu werden. „Sie sind die besten Organisatoren einer Mannschaft.“


Die Bayern und ihre Trainer

Bei den Bayern haben in den letzten Jahren Reformer wie Pragmatiker gewirkt. Reformer waren Klinsmann, van Gaal (dessen Bedeutung häufig unterschätzt wird) und Guardiola. Pragmatiker waren Heynckes, Ancelotti und jetzt Kovac. Weiterentwickelt hat sich die Mannschaft vor allem unter den Reformern van Gaal und Guardiola.

Im November 2009 sorgten kritische Äußerungen von Philip Lahm zur Einkaufs- und Gesamtstrategie des FC Bayern für Wirbel. Hintergrund war das drohende vorzeitig Aus in der Champions League. Klubs wie Barcelona oder Manchester United hätten ein klares System, an dem sie ihr Personal ausrichten würden. Beim FC Bayern, so der implizite Vorwurf, liefe es umgekehrt. Lahm nahm dies zum Anlass, noch einmal die Bedeutung einer Spielphilosophie zu betonen, die Transferpolitik seines Arbeitgebers zu kritisieren und den in die Kritik geratenen van Gaal zu loben. Lahm: „Wenn man unsere Mannschaft mit anderen Topteams aus der Champions League vergleicht, dann sind diese eben auf sieben, acht Positionen strategisch klasse besetzt – und das fehlt uns. Wenn man sich mit Barcelona, mit Chelsea, mit Manchester United messen will – dann braucht man als FC Bayern eine Spielphilosophie. Das muss auch das Ziel des Vereins sein.“ In der Vergangenheit sei die Transferpolitik nicht immer glücklich verlaufen: „Sicher lag es auch daran, dass wir in den letzten Jahren verschiedene Trainer mit verschiedenen Vorstellungen hatten. Aber man muss auch ganz klar feststellen: Vereine wie Manchester und Barcelona geben ein System vor – und dann kauft man Personal für dieses System. Man holt gezielt Spieler – und dann steht die Mannschaft.“

Ob es beim FC Bayern seither einen roten Faden in der Trainerauswahl gab, ob eine Verpflichtung auf die andere aufbaute, ob es wirklich um die Entwicklung und Implementierung einer Bayern-Philosophie ging, muss man bezweifeln. Es scheint so, als hätten die Verpflichtungen eher auf Zufällen beruht und Aspekte wie Verfügbarkeit, Prominenz und Image eine größere Rolle gespielt.

Als Pragmatiker bewegt sich Kovac in den Bahnen von Jupp Heynckes. Er kommt zu einem Verein, der immer siegen will. Und in dem schon eine einzige Niederlage die Bosse nervös werden lässt. Da ist es hilfreich, dass er die „Bayern Familie“ bestens kennt.

Eines der wichtigsten Kriterien bei der Einstellung eines Trainers ist immer noch, auch wenn dies ziemlich unprofessionell ist: Der Mann muss mit Uli Hoeneß klarkommen. Am besten so wie Jupp Heynckes – ein absoluter Glückfall, weil dieser dazu auch noch ein sehr guter Trainer ist. Die Gefahr, dass Kovac den Patriarchen nicht an seinen Ideen teilhaben lässt, oder Hoeneß sogar unverblümt zu verstehen gibt, dass er vom Fußball nichts verstehen würde, wie es van Gaal getan hat, tendiert gegen null. Bei Tuchel war sie gegeben.

 

celticDietrich Schulze-Marmeling schreibt aktuell an einem Buch über den FC Bayern und seine Trainer – von Klinsmann bis Kovac. In den kommenden Tagen erscheinen von ihm „Celtic. Ein ‚irischer‘ Verein in Glasgow“ sowie „Trainer, wann spielen wir? Spielformen für den Fußball von heute und morgen“ (zusammen mit Peter Hyballa und Hans-Dieter te Poel).

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