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Fußball

 

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Niko Kovac und Julian Nagesmann sind meine Trainer der Saison. Es ist schon irre, wie das, was Kovac in Frankfurt seit seinem Amtsantritt im März 2016 geleistet hat, in den letzten Wochen kleingeredet wurde. Der achte Platz in der Bundesliga ist mehr, als ich von der Mannschaft vor der Saison erwartet hatte. Klar, zwischendurch lag man sogar mal auf einem Champions-League-Platz. Aber niemand konnte ernsthaft glauben, dass es dabei bis zum letzten Spieltag bleiben würde.

Es ist jedes Jahr das gleiche Spiel: Eine Mannschaft, die irgendwo zwischen Platz acht und 14 einzuordnen ist, erlebt zwischenzeitlich einen Höhenflug. Drei Siege in Folge können die Tabelle ziemlich durcheinanderwirbeln – aber die wahren Verhältnisse repräsentiert diese erst nach Ablauf von 34 Spieltagen. Doch schon küren einige Medien das Team zu einem ernsthaften Champions-League-Kandidaten, obwohl wir es nur mit einer Momentaufnahme ohne große Bedeutung zu tun haben. Die Europa League wird nun zum Minimalziel. Nicht für Verein und Trainer, sondern für die Medien. Wenn dann am Ende „nur“ das Maximum des bei realistischer Betrachtung Möglichen erreicht wird, heißt es: Da war mehr drin! Es wurde behauptet, die Eintracht habe in den letzten Wochen geschwächelt, weil Kovac seine Spieler „platt trainierte“. Wie bereits in der Saison 2016/17. Aber hätte Kovac die Eintracht nicht so trainiert, wie es nun kritisiert wurde, hätte diese möglicherweise deutlich weniger Punkte eingefahren. Vielleicht drei, vier Punkte mehr zum Ende der Saison, aber vielleicht auch fünf, sechs Punkte weniger davor. Wann die Punkte eingefahren werden, ist ja eigentlich nebensächlich. Wichtig ist, dass sie eingefahren werden. Am Ende waren es immerhin 49.

Trainingssteuerung geändert

Kovac hat die Trainingssteuerung rechtzeitig vor dem Pokalfinale geändert – auch auf Bitten von einigen Spielern. Wie die Eintracht NACH dem Ausgleich der Bayern gespielt hat, spricht allerdings nicht für die Behauptung, Kovac habe die Mannschaft vorher restlos „platt trainiert“. Ohnehin lässt sich ein deutlicher Unterschied zur Saison 2016/17 konstatieren. Damals holte die Eintracht in der Hinrunde 29 Punkte (Platz 5), in der Rückrunde aber nur 13 (Platz 18). 2017/18 gestaltet sich das Verhältnis von Hin- zur Rückrunde deutlich ausgeglichener: 26 Punkte in der Hinrunde (Platz 8), 23 Punkte in der Rückrunde (Platz 9). Der „Einbruch“ kam deutlich später. Und auch in dieser Phase reichte es immerhin noch zu Siegen im Halbfinale und Finale des DFB-Pokals sowie einem 3:0-Sieg am 33. Spieltag gegen einen wiedererstarkten Hamburger SV.

In beiden Spielzeiten hat die Eintracht längere Phasen über ihren Möglichkeiten gespielt, aber das geht nicht ewig. Irgendwann werden Kopf und Beine müde. Es gibt Mannschaften, die spielen eine komplette Saison über ihren Möglichkeiten und brechen dann in der folgenden Spielzeit ein. Bei der Eintracht spielte sich dies innerhalb einer Spielzeit ab. Erstaunlich ist, und das spricht nun eher für Kovac, dass der schwachen Rückrunde 2016/17 eine gute Hinrunde 2017/18 folgte.

Von der Relegation zum Pokalsieg

In der Saison 2015/16 gelang der Eintracht der Klassenerhalt erst in der Relegation. 2016/17 wurde sie Elfter – mit einer Mannschaft, der man vor der Saison, auch wegen ihres zusammengewürfelten und stark „multikulturellen“ Charakters, wenig zugetraut hatte. Außerdem wurde das Pokalfinale erreicht. 2017/18 nun Achter und Pokalsieger. Mit einer Truppe, die nicht nur „extrem multikulturell“ ist, sondern auch eine Reihe von Spielern versammelt, die gemeinhin als schwer erziehbar galten. Wie Kevin-Prince Boateng und Ante Rebic, der Mann des Finales, der von Kovac öffentlich so scharf kritisiert wurde wie kein anderer Akteur – aber der nach seinem zweiten Treffer auf seinen Coach zurannte ihn herzte und zu Boden riss. Ein Hertha-BSC-Fan wird sich vielleicht fragen: Was wäre aus meinem Klub geworden, wenn in den Jahren, in denen die hochbegabten aber nicht gerade einfachen Berliner Jungs Kevin-Prince und Jerome Boateng, Ashkan Dejagah und Co. die Bühne betraten, der Trainer ein Typ wie Kovac und der Manager ein Typ wie Bobic gewesen wäre…

Platz acht bedeutet im Übrigen: nur sechs Punkte weniger als der BVB, der mit einer deutlich teureren Truppe in die Saison ging. Beim durchschnittlichen Spielergehalt lag die Eintracht auf Platz zwölf. Mehr zahlten u.a. die Absteiger Hamburg und Köln, der Drittletzte Wolfsburg und die ein bzw. zwei Plätze hinter den Frankfurter liegenden Gladbacher und Berliner aus. Nicht nur Kovac, auch Fredi Bobic (den ja viele für eine Pfeife hielten, als sich der VfB Stuttgart im September 2014 von ihm trennte) und Bruno Hübner haben starke Arbeit geleistet. Kovac: „Ich weiß, wo wir angefangen haben. (…) Ich weiß, was diese Mannschaft kann. Das war im Prinzip das Maximum – und das weiß ich. Deswegen freut es mich, dass wir es denjenigen, die versucht haben, uns das schlecht zu reden, gezeigt haben.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Etwas Glück gehört dazu

Natürlich hatte Eintracht im Finale auch Glück. Aber ohne Glück kommt man an den Bayern heute nicht mehr vorbei. Man kann eigentlich nur darauf hoffen, dass der BVB, RB Leipzig oder Schalke die Bayern aus dem Pokal kegeln, bevor man ihnen begegnet. Aber dann bleiben als Hürden immer noch der BVB, RB Leipzig oder Schalke.

Die manchmal etwas zu negative Bewertung von Kovac’ Leistung hat ihre Wurzeln in den Umständen seines Wechsels zum FC Bayern. Ganz abgesehen, dass Wechsel zum Rekordmeister nie populär sind, da sie das eigene Konstrukt schwächen. Und stets vom Verdacht begleitet sind, dem Abtrünnigen gehe es nur um Geld und Titel. Da hätte von Seiten des Trainers einiges anders laufen können. Die Hauptschuld liegt aber beim FC Bayern, der es nicht für nötig hielt, die Eintracht über sein Interesse an dem Trainer mit der Ausstiegsklausel vorab zu informieren. Die „Frankfurter Rundschau“ wirft Kovac in einem (ansonsten sehr lesenswerten Artikel) vor, er habe sich „in einer entscheidenden Phase der Meisterschaft um seine persönliche Zukunft gekümmert“ und damit das Gegenteil von dem getan, „was er von anderen verlangte.“ Nun sitzt die „FR“ näher dran als ich. Aber dass Kovac seine Arbeit für die Eintracht in den letzten Wochen vernachlässigt hat, kann ich nicht so richtig glauben. Außerdem ist es fast immer so, dass die Zukunftsgestaltung von Trainern und Spielern in die entscheidende Phase der Saison fällt, in der sich Trainer und Spieler um ihre Zukunft kümmern. Jeder Jugendtrainer kennt dies. Ab Anfang April wird es unruhig im Kader – und das nervt.

Die TSG unter Nagelsmann

Julian Nagelsmann wurde während der Saison 2016/17 als „übernächster“ Bayern-Trainer gehandelt. Hoffenheim wurde damals überraschend Vierter und qualifizierte sich damit für die Qualifikation zur Champions League, wo der FC Liverpool den Kraichgauern die Grenzen aufzeigte. Allerdings bestreitet das Team von Jürgen Klopp am kommenden Wochenende das Champions-League-Finale … Die Europa-League-Kampagne verlief für die Hoffenheimer mit nur fünf Punkten aus sechs Spielen und dem letzten Platz in der Gruppe enttäuschend.

Auch in der Bundesliga stotterte die TSG zwischenzeitlich. Einige taten nun so, als sei dieser erst 30 Jahre alte Trainer für die Bayern und den BVB, also die Großen der Branche, kein Thema mehr. Als ob die Wiederholung des Abschneidens von 2016/17 bzw. ein Platz unter den „Top vier“ für den Klub eine Selbstverständlichkeit sei. Nun muss man zwei Dinge bedenken: Erstens: Nagelsmann hatte vor der Saison 2017/18 mit Niklas Süle und Sebastian Rudy zwei Leistungsträger an den FC Bayern verloren. Zur Rückrunde war auch noch Sandro Wagner weg – auch der Torjäger wechselte zum Rekordmeister. Zweitens: Bundesligavereine, die sich für die Europa League qualifizieren, bekommen in der Regel auf Grund des europäischen Programms im heimischen Wettbewerb Probleme. Der Kader ist für eine Doppelbelastung nicht ausgelegt. Um den Erfolg vom Vorjahr zu wiederholen, um sich weiter zu entwickeln, muss man konzentriert trainieren. Aber die Verpflichtungen unter der Woche, verbunden mit weiten Reisen, erschweren dies. Doch Nagelsmann führte die TSG trotz der Abgänge und Champions-League- bzw. Europa-League-Belastung auf Platz drei. By the way: Die Saison 2015/16 schloss der Klub noch auf Platz 15 ab.

Tedesco, Korkut, Kohfeldt und Co.

Natürlich gab es in dieser Saison noch weitere beeindruckende Trainer: Domenico Tedesco „auf Schalke“ (wenngleich sein Fußball mich häufig anödet), Tayfun Korkut in Stuttgart (der mich völlig überrascht hat), Florian Kohfeldt bei Werder (einem Klub, der, sobald er drei Punkte vom Europa-League-Platz entfernt liegt, an seiner Zeit als Bayern-Herausforderer gemessen wird), Jupp Heynckes in München, auch Christian Titz, der den HSV wieder Fußball spielen ließ.

Auf meiner Liste immer weit oben: Christian Streich. Wenn Streich mit Freiburg den Klassenerhalt schafft, ist das vielleicht eine größere Leistung als der Gewinn eines Titels mit dem FC Bayern. (Bei allem Respekt vor Heynckes’ Leistung: Den Bayern fehlte in dieser Saison noch mehr als in den Spielzeiten zuvor ein ernsthafter Herausforderer. Wozu der BVB selber stark beigetragen hat.) Womit wir noch einmal bei Niko Kovac sind: So schön wie am letzten Wochenende wird es für Kovac nie wieder werden. In München wird man keine Meisterschaft und keinen DFB-Pokalsieg so feiern wie in Frankfurt im Mai 2018. Höchstens den Gewinn der Champions League.

 

celtic Von Dietrich Schulze-Marmeling erschien vor einigen Tagen das neue Buch „Celtic. Ein ‚irischer‘ Verein in Glasgow“, Ende Juni bringt er zusammen mit Peter Hyballa und Hans-Dieter te Poel „Trainer, wann spielen wir? Spielformen für den Fußball von heute und morgen“ heraus.

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