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„Wir wollen den Kern unserer Kabine und der Mannschaft deutsch haben. Wir wollen die Tugenden des deutschen Fußballs hier haben und den deutschen Fußball auch in der Welt repräsentieren.“ So Hasan Salihamidzic, Hoeneß-Ziehkind und Sportdirektor des FC Bayern, zur künftigen Kaderpolitik des Rekordmeisters.

Was Salihamidzic unter „deutschen Tugenden“ versteht, bleibt unklar. Möglicherweise das, was schon immer darunter verstanden wurde: Leistungs- und Kampfbereitschaft, worauf „sich jeder Fußballprofi einigen kann“, wie Johannes Dudziak in der „Zeit“ schreibt. Eigentlich auch jeder Amateurfußballer. Auch ist mir nicht bekannt, dass es anderen Völkern an Leistungs- und Kampfbereitschaft mangelt. Leider ist das Gerede von „deutschen Tugenden“ häufig ein Hinweis auf eine etwas schlichte Vorstellung vom Spiel. Und dass man eine ansehnliche Spielkultur für nebensächlich hält.

Plant der FC Bayern nun eine Zeitgeistelf, oder verfolgen Hoeneß / Salihamidzic mit ihrer in ihrem Kern „deutschen Kabine“ ein sportliches Kalkül? Ich gehe mal davon aus, dass Letzteres der Fall ist. Natürlich erleichtert eine sprachlich homogene Kabine die Kommunikation. Allerdings hat gerade Bayerns neuer Trainer Niko Kovac demonstriert, dass man auch mit einer extrem multilingualen Truppe Erfolg haben kann. Bei seinem letzten Arbeitgeber Eintracht Frankfurt war es ihm gelungen, dass Spieler aus 18 Nationen an einem Strang zogen.

Man hat den Eindruck, dass bei den Bayern ziemlich alte Ideen en vogue sind. Denn diese Geschichte mit der „deutschen Kabine“ hört man nicht zum ersten Mal. Was aber für den Fußball typisch ist. Hier dreht sich immer vieles im Kreis – auch und gerade bei den Bayern. Mal muss der Trainer unbedingt deutsch sprechen, dann ist es wieder nicht so wichtig, weil ein attraktiver Name auf dem Markt ist. Anschließend muss er wieder deutsch sprechen – und so weiter und so fort. Mal muss ein Magath ran, dann ein Guardiola, am liebsten aber ein Heynckes, wenn der will und kann. Aber auch nicht immer, wenn beispielsweise gerade ein Guardiola verfügbar ist. Vielleicht hätte Salihamidzic lieber sagen sollen: „Wir wollen den deutschen LIGA-Fußball auch in der Welt repräsentieren.“ Das ist realistisch, alles andere könnte sich mit den sportlichen Ambitionen beißen. Am 2. Juli betrug der Anteil der Ausländer im Kader des FC Bayern 44,8 Prozent, was ein relativ niedriger Wert ist. Auf dem Spielfeld sieht dies aber anders aus (s.u.). RB Leipzig hatte mit 71,8 Prozent den höchsten Wert.

Jenseits der Abwehr keine Deutschen

Für den Rekordmeister hat die Champions League eine größere Bedeutung als für die Klubs der englischen Premier League, was vor allem in der unterschiedlichen Qualität und Attraktivität von Bundesliga und englischer Eliteklasse begründet liegt. Wenn Karl-Heinz Rummenigge die Meisterschaft als „ehrlichsten Titel“ feiert, klingt das ein wenig nach Pfeifen im Walde. Manchester City, Manchester United, Chelsea, Arsenal und Liverpool nimmt man das noch mehr oder weniger ab, aber nicht den Bayern. In der vergangenen Saison war der Jubel über die 28. Meisterschaft ziemlich verhalten. Der sechste Titel in Folge wurde vom Ausscheiden in der Champions League und der Niederlage im Pokalfinale überschattet. Dass man in der europäischen „Königsklasse“ überhaupt bis ins Halbfinale vordrang, war auch Losglück zu verdanken. Im Achtelfinale hieß der Gegner Istanbul, im Viertelfinale FC Sevilla. Die Andalusier wurden in der heimischen Meisterschaft Siebter, 35 Punkte hinter Meister FC Barcelona. Die einzigen Topadressen, gegen die der FC Bayern antreten musste, waren Paris Saint-Germain und Real Madrid. Die Bilanz aus diesen vier Begegnungen: ein Sieg, ein Unentschieden und zwei Niederlagen.

Ob der FC Bayern mit einer „deutschen Kabine“ in Europa reüssieren kann, hängt auch davon ab, welche Deutschen dort sitzen. An Nationalspielern sind das derzeit Manuel Neuer (32), Thomas Müller (bald 29), Mats Hummels (im Dezember 30), Sebastian Rudy (28), Joshua Kimmich (23), Niklas Süle (22), Serge Gnabry (23) und Neuzugang Leon Goretzka (23). Der „Kicker“ hat in seinem Sonderheft zur Saison 2018/19 eine mögliche Startelf aufgeschrieben. In dieser stehen nur vier Deutsche – der Torwart und drei Abwehrspieler. Jenseits der Abwehr gibt es keinen Deutschen mehr. Dies spiegelt auch der Kader wider. Torhüter: alle deutsch. Abwehr: vier Deutsche, zwei Ausländer. Mittelfeld und Angriff: fünf Deutsche, zehn Ausländer … Von ihrer „in ihrem Kern deutschen Kabine“ sind Hoeneß / Salihamidzic also noch ein gutes Stück entfernt. Oder die beiden meinen mit der Kabine wirklich nur die Kabine – nicht das Spielfeld.

Globalisierter Nachwuchsfußball

Der FC Bayern möchte stets die besten deutschen Akteure in seinen Reihen haben und einen möglichst hohen Grad an Deckung mit der Nationalmannschaft erzielen. Ob sich damit auch außerhalb Deutschlands Trophäen gewinnen lassen, hängt von der Qualität der Nationalspieler ab. Die besten Spieler Deutschlands müssen ja nicht auch zu den Besten der Welt gehören. Dann gibt es noch zwei weitere Probleme. Erstens: Nicht jeder deutsche Nationalspieler träumt davon, beim FC Bayern zu spielen. Leroy Sané spielt lieber für Manchester City. Toni Kroos zog es zu Real Madrid, auch weil die Bayern-Bosse seinen Wert unterschätzten. Dass Neuer und Müller noch in München sind, hat auch damit zu tun, dass beide Spieler eine gewisse Scheu vor einem Sprung ins Ausland haben. Aber warum soll man in der Bundesliga spielen, wenn’s auch ein Topverein in Spanien oder in England sein kann? Zweitens: Das Vorhaben ist auch davon abhängig, welche Spieler für welche Positionen zur Verfügung stehen. Die offensiven Außenpositionen besetzten die Bayern in den letzten Jahren mit Costa, Ribéry, Robben oder Coman, die allesamt keine Deutschen sind. Dies verweist auf Defizite in der hiesigen Ausbildung, von der der Klub also abhängig ist. Es fehlen auch spielende Außenverteidiger und Dribbler. Deshalb soll der Trend in der DFB-Ausbildung wieder dahin gehen, mehr Spezialisten auszubilden (Außenverteidiger, Neuner, Eins-gegen-eins-Spieler/Dribbler).

Bleibt noch das neue Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) des FC Bayern. Internationale Topvereine haben relativ wenige Spieler aus ihrem eigenen Nachwuchs in ihren Reihen. Nur von einer kleinen Minderheit kann man behaupten, dass sie tatsächlich in der hauseigenen Jugend groß geworden sind. (Unter „groß geworden“ verstehe ich, dass sie dort mindestens vier bis fünf Jahre verbracht haben.) Das ist mittlerweile auch bei Klubs wie Manchester United und dem FC Barcelona so. In Deutschland wechseln zukünftige Topkräfte schon mal von einem NLZ ins andere, also von einem schwächeren Profiklub zu einem stärkeren. Hier findet nichts anderes statt als bei den Senioren/Profis. Und mittlerweile kommt auch eine ziemlich große Zahl von NLZ-Spielern aus dem Ausland und verbringt nur wenige Jahre im NLZ eines deutschen Klubs. Auch hier gilt: Im Nachwuchs der Bundesligisten geht es nicht viel anders zu als bei deren Senioren/Profis. Auch der Nachwuchsfußball ist längst globalisiert. Geschichten, wie sie Manchester United mit seiner Class of ’92 schrieb, sind Vergangenheit.

Immer weniger Eigengewächse

Vom 27-köpfigen Kader der U19 des FC Bayern sind zehn Spieler „nur deutsch“, fünf Spieler sind „nur Ausländer“, zwölf Spieler werden mit zwei Nationalitäten aufgeführt. Der US-Amerikaner Chris Richards ist erst in diesem Sommer vom FC Dallas gekommen. Der Schwede Alex Timossi Andersson ist erst seit letzter Woche da, sein alter Verein war Helsingborgs IF. Der Niederländer Joshua Zirkzee kommt zwar aus der eigenen B-Jugend, zu der ist er aber erst zur Saison 2017/18 von Feyenoord Rotterdam gestoßen. Sollten es diese Spieler in die erste Mannschaft schaffen, was das Deutschtum in der Kabine allerdings nicht verstärken würde, sollte man fairerweise zugeben, dass sie die meisten Ausbildungsjahre bei einem anderen Klub verbracht haben. Paul Will wird im „Kicker“-Sonderheft (wie Joshua Zirkzee und Chris Richards) als Beispiel dafür angeführt, wie der neue Bayern-Campus junge nationale und internationale Talente anlockt. Allerdings ist der 19-jährige Mittelfeldspieler bereits Senior und wurde die letzten Juniorenjahre beim 1. FC Kaiserslautern ausgebildet.

Nachwuchsfußball ist Erwachsenen- und Titelfußball. (Häufig auch im Amateurverein.) Auch die Bayern-Jugend muss Titel gewinnen, weshalb die Suche nach neuen Spielern möglicherweise wichtiger ist, als die vorhandenen besser zu machen. Sofern es Spielern aus dem Nachwuchs gelingt, sich bei den Bayern-Profis zu behaupten, werden deren Werdegänge andere sein als bei Philipp Lahm, Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger und Mats Hummels. Müller kam im Alter von knapp elf Jahren zum FC Bayern – vom TSV Pähl. Schweinsteiger war 14 und kam vom TSV 1860 Rosenheim. Philipp Lahm war zwölf, als er vom Münchner Stadtteilklub FT Gern zur Säbener Straße wechselte. Und Mats Hummels war sieben und die Bayern sein erster Verein. Keiner dieser Spieler wechselte also von einem großen Klub zum FC Bayern. Und vermutlich war auch keiner von ihnen so früh einem so harten Selektionsprozess ausgesetzt wie die heutigen Talente. Ausländischer Konkurrenz mussten sie sich auch kaum erwehren.

 

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