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Handballer sind intelligenter, Handballer sind bodenständiger, beim Handball herrscht weniger Rassismus als beim Fußball. Ich kann es nicht mehr hören. Verdankt der Handballsport seine vermeintliche Unschuld nicht einfach der Tatsache, dass er weniger Aufmerksamkeit genießt? Dass sich Autokraten, Investoren, Korrumpels und Medien halt mehr für den Fußball interessieren, weil dieser deutlich populärer ist als Handball? Beispiel Katar: Dass die Fußball-WM 2022 in Katar stattfindet, gilt gemeinhin als ultimativer Beleg dafür, wie korrupt der Fußball geworden ist, wie stark er sich von kommerziellen Interessen leiten lässt, in welchem Ausmaß er von Autokraten regiert wird. Alles richtig! Bevor unsere Funktionäre und Kicker in den Wüstenstaat aufbrechen, erwarten wir von ihnen selbstverständlich ein glasklares Bekenntnis zu den Menschenrechten, die in Katar tagtäglich mit den Füßen getreten werden. Am liebsten wäre uns, sie würden die WM boykottieren. Alles richtig!

Die Handballer waren bereits 2015 in Katar, wo damals die 24. Handball-Weltmeisterschaft der Männer ausgetragen wurde. NTV berichtete über das Ereignis: „Perfekte Bedingungen für Spieler und Fans, drei protzige neue Hallen und US-Superstar Beyoncé zur Eröffnung: Die Weltmeisterschaft in Katar stellt alles in den Schatten, was der Handball bislang gesehen hat. Mit einem Rekordbudget von über 200 Millionen Euro überließen die Scheichs nichts dem Zufall. Nie waren die Bedingungen für die 24 Teams besser, nie waren die Ausgaben höher. (…) Die neue Sport-Großmacht will sich empfehlen.“ Die sportinteressiere Öffentlichkeit nahm an der Reise unserer Helden kaum Anstoß. Kaum jemand malträtierte sie mit der politischen Situation in Katar, obwohl eine Sprecherin von amnesty international die Befürchtung äußerte, „dass wegen der Weltmeisterschaften noch mehr Arbeitsmigranten unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen." Mir ist auch nicht bekannt, dass sich einer der Spieler hierzu kritisch äußerte. Obwohl ich jetzt in einer Zeitung lese, sie seien intelligenter als die Fußballer. Vielleicht sind Handballer für kritische Statements etwas zu bodenständig… (Abgesehen von Stefan Kretzschmar, der so schwer tätowiert ist, dass man glaube könnte, er sei ein Fußballprofi.) Anders als Kevin Prince Boateng, der in Sachen Rassismus ständig sein Maul aufreißen muss. DHB-Präsident Bob Hanning versprach vor der Abreise, man werde sich mit öffentlichen Äußerungen zum WM-Ausrichter Katar zurückhalten. Seine Begründung: „Das heißt nicht, dass wir politisch uninteressiert sind, aber unser Kerngeschäft ist Sport. Um Politik zu machen, haben wir eine Regierung gewählt." Spiegel. Online kommentierte: „So hört sie sich an, die immer wieder geäußerte Standardargumentation der Sportfunktionäre. Sie ist ebenso frustrierend wie falsch. Denn selbstverständlich wird mit Sport knallhart Politik gemacht, bei der Handball-WM war das gerade zu beobachten, mit umstrittenen Absagen und Nachnominierungen. Und selbstverständlich hätte jeder einzelne Funktionär die Möglichkeit, falsche Entscheidungen zu kritisieren. Wenn er es denn wollte.“
Handballer sind bodenständig und verdienen keine Millionen. Stimmt. Aber dass sie keine Millionen kassieren, beruht nicht auf einer freiwilligen Entscheidung der Spieler. Es wird aber so getan, als würden die Handballer solche Gehälter brüsk ablehnen, um ihren bodenständigen Lebensstil nicht zu gefährden. Wenn der DHB morgen eine WM-Prämie von einer Millionen Euro pro Spieler für den WM-Titel auslobt, dürfte kaum einer der Spieler rufen: „Nein Danke! Ich spiele nicht für Geld. Ich spiele nur fürs Vaterland!“ Und das ist gut so. Hat die angebliche Bodenständigkeit eventuell auch damit zu tun, dass Handball ein Sport der Provinz ist? (Von seinen Ursprüngen her ist Handball ein ideologisch motivierter Gegenentwurf zum „städtischen“ und „englischen“ Fußball, promoted von der stramm nationalistischen und militaristischen Deutschen Turnerschaft. Handball machte sich auf dem Land breit, da die Städte bereits von den Fußballern erobert wurden. Und die Stadt ist in der Regel etwas moderner und liberaler als das Land.)

Im Übrigen: So arm sind unsere Handballer auch nicht. 2015 verdienten die Nationalspieler zwischen 7.000 und 16.000 Euro brutto pro Monat. Stefan Kretzschmar kassierte 2004 monatlich mehr als der Bundeskanzler, nämlich über 20.000. Und dies sind Zahlen von gestern und vorgestern.
Im Handball gibt es keinen Rassismus. Wie auch. Der Sport ist ja hierzulande fast komplett weiß. Auf die Integrationsarbeit, die Fußballklubs tagtäglich leisten und leisten müssen, darf der Handball weitgehend verzichten. Es ist nicht auszuschließen, dass der „nicht-rassistische“ Handballsport manchem Rassisten und Rechtsextremen besser gefällt als der Multikulti-Fußball. Das ist jetzt kein Vorwurf in Richtung der Handballer, dafür können unsere Helden nichts. Aber so manche Lobhudelei läuft Gefahr in fragwürdige Gewässer zu geraten.

Vor dem Start der WM 2018 schrieb der AfD-Rassist Björn Höcke: Kommerz und Korruption hätten „dem Fußballsport und den in ihm und durch ihn gelebten Werten schweren Schaden“ zugefügt. „Er ist wie so vieles andere Opfer einer schlechten Entwicklung geworden, in deren Folge allem und jedem ein Preisschild umgehängt wurde. Ja, man kann sagen: Der Fußball ist ‚neoliberalisiert’ worden, auch weil er jenseits der ökonomischen Aspekte als Botschafter der One-World-Ideologen missbraucht wird.“ Besonders augenfällig würde dies mit Blick auf die „ehemalige deutsche Fußballnationalmannschaft: Hier spielen zwei Spieler, die Türken sind und Türken bleiben wollen. Dieses Identitätsbewusstsein finde ich auch grundsätzlich gut. Weniger gut finde ich, dass sie das wahrscheinlich nur aus dem Grund tun, weil ihr Marktwert wesentlich höher ist, als wenn sie für ihr Heimatland anträten.“ Löws Truppe sei mittlerweile genauso „bunt“ wie praktisch alle erst- und zweitklassigen europäischen Vereinsmannschaften. („Volksgenosse“ Höcke hat das gesamte Ausmaß der völkischen Katastrophe noch nicht erfasst: Die Dritt- und Viertligisten sind es auch, weil sich die arischen Weicheier nicht ausreichend vermehren.) „Diese bewusst herbeigeführte Veränderung wird nun auch dadurch unterstrichen, dass man die deutsche Nationalmannschaft begrifflich zur ‚Mannschaft‘ entkernt und sie gereinigt von jeder nationalen Symbolik auflaufen lässt. Nein, das ist nicht mehr die Nationalmannschaft der Bundesrepublik Deutschland, das ist die Mannschaft von Buntland.“ Bis der Fußball „entneoliberalisiert“ und der DFB „wieder in patriotischer Hand“ sei, erfreue er sich „an den Restbeständen meiner alten Fußballwelt, die immer noch die Heimat von Millionen Fußballanhängern in aller Welt ist.“ Höckes Sympathien galten den Isländern, vermutlich wegen ihres „arischen“ und „reinrassigen“ Erscheinungsbildes. „Die Natürlichkeit, die Unbekümmertheit, der Gemeinschaftssinn, die Fairness und der Patriotismus der Isländer scheint der neue Sehnsuchtsmix vieler fußballbegeisterter Deutscher zu sein. Wie schön!“ Sollten die deutschen Handballer Weltmeister werden, was ich ihnen ja durchaus gönne, würde es mich nicht wundern, wenn Höcke und Co. die Jungs begeistert feiern. Als Alternative zur Fußballnationalmannschaft, die nicht nur bunt ist, sondern auch noch zu Themen wie Rassismus und Homophobie Stellung bezieht. Der DFB hat einen schwarzen Integrationsbeauftragten und einen schwulen EM-Botschafter – geht gar nicht.

Im Übrigen werde ich mich jetzt dem Faustball zuwenden. Handball ist mir zu kommerziell und zu stark TV-Sport geworden. Beim Faustball gibt es höchstens Fahrtgeld für die Spieler. Laut Wikipedia fristet dieses Spiel „ein Randgruppendasein“. Aus diesem Grunde sei auch nicht das „große Geld“ im Spiel, „weshalb Faustball bei vielen als ein sympathischer und unbeeinflusster Sport gilt, bei dem es Spielern und Fans gleichermaßen um den Sport als solchen geht und nicht Gehälter den Ausschlag für Vereinszugehörigkeit geben.“ Also: Auf zum Faustball! Bleibt noch hinzuzufügen: Faustball ist weiß und damit automatisch anti-rassistisch.

Gestern war ich beim VfL Osnabrück auf einer Veranstaltung zum Erinnerungstag im deutschen Fußball. Es war nur eine von unzähligen Veranstaltungen, die in diesen Tagen an den Ausschluss der Juden aus dem deutschen Fußball erinnern. Allein in Osnabrück finden vier Veranstaltungen statt. Ausrichter sind Vereine, Fan-Projekte, anti-rassistische Fan-Initiativen, Ultra-Gruppierungen. In der „Frankfurter Rundschau“ lese ich heute über das Engagement des FSV Mainz 05 für Obdachlose: „Weil harte Winter gerade bei Minustemperaturen für Obdachlose gar lebensgefährlich sein können, kümmern sich die Nullfünfer. Für 10000 Euro schafften sie Thermounterwäsche, Mützen, Schals, Handschuhe, Isomatten und Schlafsäcke herbei.“ Bei der Übergabe an den Verein „Armut und Gesundheit Deutschland e.V.“ waren sogar zwei dumme Fußballprofis dabei. Und wenn Mainz 05 am kommenden Dienstagabend seine Fastnachtsitzung abhält, geht der Reinerlös an das Kinderschutzzentrum Mainz. Auch das ist Fußball 2019.

PS (1): Einige Beobachter (und auch Beobachterinnen…) schwärmen von den „echten Männern“, die wir bei der Handball-WM erleben. Ein Freund und Kollege schrieb mir hierzu vor dem Halbfinale Deutschland gegen Norwegen: „Ich kann den ganzen Handball nur schwer ertragen. Alles harte Kerle, aber natürlich trotzdem ganz liebe Jungs, und singen alle brav die Nationalhymne mit...Nach jeder halbwegs gelungenen Torwartparade bzw. nach jedem der ungefähr 55 Tore wird die Brust aufgeplustert, wird martialisch geschrien und die Faust gereckt, als habe man gerade Stalingrad erobert. Das Blöde ist, die anderen sind auch nicht besser. Welche Wikinger heute Abend gewinnen, die deutschen oder das Original, ist ziemlich wurscht.“

PS (2): Während ich gestern in Osnabrück referierte, besuchte ein hessischer Freund in Darmstadt eine Veranstaltung der IG Metall zum Thema Rechtspopulismus. Er berichtet: „Mit größtem Fingerspitzengefühl warben die Redner um Verständnis für die Menschen, die ein Opfer sozialer Verwerfungen (‚heute bleibt kein Stein mehr auf dem anderen‘) seien. Ich dachte mir, so müssen linke Veranstaltungen in der Weimarer Republik ausgesehen haben. Es war sinnlos, sich mit diesem Brei auseinanderzusetzen. Also habe ich es bei einem kurzen Verweis auf den Umgang von Eintracht Frankfurt und Darmstadt 98 mit der AfD bewenden lassen. Soweit sind wir also schon: dass man Fußballvereine einer Gewerkschaft als Vorbild nennt.“ Ja, soweit sind wir.

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