Im Achtelfinale der Champions League traf RB Leipzig auf den FC Liverpool. Pandemiebedingt fanden beide Partien in Budapest statt. Ungarn hat in seinen Einreisebestimmungen festgelegt, dass nicht-ungarische Staatsbürger ins Land dürfen, wenn sie an einer internationalen Sportveranstaltung teilnehmen.
Dass die Sieben-Tage-Inzidenz in Ungarn deutlich über 300 liegt, und damit deutlich über der in Deutschland und England, störte die UEFA nicht. Und noch weniger störte sie, wie das rechts-autokratische und zutiefst korrupte Orbán-Regime den Fußball für seine politischen Absichten instrumentalisiert. Laut Kalle Rummenigge beansprucht der Profifußball keine Privilegien. Doch, er tut dies. Und bedient sich dabei der Hilfe autokratischer und korrupter Regime.
Das Orbán-Regime unterhält beste Beziehungen zur UEFA und hat diese in den letzten Jahren stetig ausgebaut. Orbán-Freund Sandor Csany ist nicht nur einer der reichsten Männer im Land, sondern auch Vizepräsident der UEFA. So wundert es nicht, dass die Budapester Puskás Aréna auch Austragungsort von drei Gruppenspielen und einem Achtelfinale im Sommer und des Europa-League-Finales 2023 sein wird.
Orbáns Fußballimperium
Wer FIFA und UEFA attestiert, sie seien Kräfte der Demokratie und politische Entwicklungshelfer, ignoriert deren traditionelle Seelenverwandtschaft mit Autokraten und Korrumpels. Der Schulterschluss von internationalen Sportführern und Autokraten ist so alt wie die internationalen Wettbewerbe. FIFA und UEFA profitieren von der politischen Instrumentalisierung des Spiels. Autokraten sind bereit, den Verbänden jeden Wunsch zu erfüllen. Sie rollen deren Funktionären den roten Teppich aus und investieren erhebliche Summen in das Spiel. Autokraten machen das Spiel groß.Orbáns Regierung investierte mehr Geld in den Fußball als in die Bildung. Im Guardian schrieb Dan Nolan: „Die einzige Infrastruktur-Veränderung der letzten zehn Jahre ist der Fußball. Nichts wurde im Land neu gebaut: nichts außer Fußballstadien, Fußballakademien und Fußballkomplexen."
Die ungarischen Soziologen Viktor Karády und Miklós Hadas konstatierten: „Im Osten Europas ist Fußball Sache des Staates; und zwar die Sache von Kleinstaaten, die unter einem Unterordnungs- und Marginalitätskomplex leiden."
Finanzspritzen von Privatfirmen für Orbáns Fußball-Imperium wurden großzügig belohnt. Seit 2011 können Unternehmen ihre Steuern radikal senken, wenn sie in den ungarischen Sport investieren. Der ungarische Journalist János Botond Csepregi: „Lange war die Parteispitze der Kommunisten die Elite des Landes. Orbán möchte ein neues Macht-Netzwerk erschaffen. Die Firmen kaufen sich in den Fußball ein, weil sie sonst Wut und Revanche der Regierung befürchten. (…) Die Firmen, die schmutzige Geschäfte mit der Regierung machen, erkennt man daran, dass sie den Fußball finanzieren."
Fidesz und Faschos
Viele Top-Klubs werden von der Regierungspartei Fidesz kontrolliert. Ein Mitarbeiter der deutschsprachigen Budapester Onlinezeitung Pester Lloyd schrieb dem Autor: „Praktisch alle maßgeblichen - und auch etliche unmaßgebliche - Fußballklubs wurden von Fidesz-Günstlingen übernommen, indem man die verarmten Klubs vor die Alternative stellte: Pleite oder staatliche Förderung. So schneiden die Fidesz-Klubs nun bei der 'Sondersteuer für beliebte Sportarten' mit, vor allem aber die Padrones bei der Vergabe von Bauaufträgen für Stadien etc.“
Auch Rekordmeister Ferencváros Budapest (offiziell: Ferencvárosi Torna Club / FTC) ist fest in den Händen der Fidesz. FTC-Boss ist Gábor Kubatov, Vizepräsident der Partei. FTC-Fans fallen permanent durch rassistische und antisemitische Schmähungen auf. Auf Transparenten lässt man SS-Kriegsverbrecher hochleben, gegnerische Spieler werden als „Judenschweine“ beschimpft. Als Demonstranten einmal die Fidesz-Parteizentrale belagerten, ließ Kubatov den Sicherheitsdienst von FTC von der Leine, zu dem auch gerichtlich verurteilte Gewalttäter – darunter ein Mörder – zählten. Seine Schläger hatte Kubatov aus dem Milieu der FTC-Ultras rekrutiert. Anschließend dachte Kubatov über die Gründung einer paramilitärischen Fidesz-Garde nach.
Viktor Orbán ist nicht nur ein Rechtspopulist, sondern auch ein Kleptomane, der sich und einer neuen Generation von Oligarchen, die seine wirtschaftliche Basis sind, mit Staatsaufträgen und EU-Geldern die Taschen vollstopft. Für Transparency International zählt Ungarn zu den korruptesten Ländern Europas. Laut Edda Müller, von 2010 bis 2019 Vorsitzende von Transparency International Deutschland, gedeiht die Korruption besonders gut, wenn Rechtsstaat und demokratische Institutionen geschwächt werden und die Freiräume für Zivilgesellschaft und unabhängige Medien schrumpfen. Als europäische Beispiele nennt sie Ungarn und die Türkei.
Aber mit Korruption haben FIFA und UEFA traditionell kein Problem. Mit einem Mangel an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ebenfalls nicht – im Gegenteil. Jerome Valcke, von 2007 bis 2016 Generalsekretär der FIFA, fand WM-Gastgeber wie Deutschland und Brasilien zu demokratisch. „Es gibt verschiedene Personen, Bewegungen und Interessen, und es ist durchaus schwierig, in diesem Rahmen eine WM zu organisieren. Das mag jetzt ein wenig verrückt klingen, aber manchmal ist weniger Demokratie bei der Planung einer WM besser. Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt, ist es für uns Organisatoren leichter.“
FIFA, UEFA und die „illiberale Demokratie“
Vielleicht ist das politische Ideal von UEFA und FIFA die von Putin und Orbán propagierte „illiberale Demokratie“. Keine Diktatur im südamerikanischen Sinne. Die amerikanische Journalistin und Historikerin Anne Applebaum spricht von einer „Quasi-Diktatur“. Häufig würde man einen Denkfehler begehen: „In unser Vorstellung rollen Panzer auf den Straßen, wenn eine Diktatur errichtet wird. So wie wir es jetzt in Myanmar gesehen haben. Aber moderne Autokraten versuchen ihr Regime auf mehr oder weniger legale Weise zu errichten. Ohne Staatsstreich, ohne Soldaten, die ein Parlament stürmen. Orbán musste in Ungarn niemanden umbringen, um eine Quasi-Diktatur zu errichten. Den Leuten wird zu spät bewusst, dass sie irgendwann in einer Diktatur leben. Gegenwehr bleibt aus.“
Der Vorteil einer „illiberalen Demokratie“: Sie mobilisiert weniger internationalen Protest als Militärdiktaturen. Für die Verbände wirkt die Zusammenarbeit mit ihnen weniger diskreditierend.
Vor einige Tagen hat Viktor Orbáns Fidesz die Fraktion EVP verlassen. Orbán arbeitet nun am Aufbau einer neuen europäischen Rechten. Mit dieser will er in die Schlacht gegen Multikulturalismus, Homosexuelle und Migrant:innen ziehen. Mit den von der UEFA proklamierten Werten, mit ihrem Engagement gegen Rassismus und Homophobie ist das nicht vereinbar. Vermutlich geht es aber auch hierbei nur ums Geschäft. Rassismus ist geschäftsschädigend. Was die einzelnen Länder und Verbände hinter ihren Türen treiben, ist der UEFA egal. Es gibt Wichtigeres als den Kampf gegen Rassismus und Homophobie: Das Orbán-Regime sorgt dafür, dass die Champions League-Show ungestört weitergeht. Wenn’s um die Durchsetzung der wirklich wichtigen Dinge geht, ist der UEFA kein Partner zu schmuddelig.