(Kein) Fußball in Corona-Zeiten (7)
Im europäischen Fußball drängen aktuell vor allem die Bundesliga und die Premier League auf eine Fortsetzung des Spielbetriebs – natürlich nur in der Form von „Geisterspielen“. Belgien, die Niederlande und Frankreich haben die Saison abgebrochen. Italien diskutiert noch.
In England drückt u.a. Oliver Dowden, Staatssekretär für Kultur und Sport, auf die Tube. Anfang März hatte Dowden die Menschen dazu animiert, das Cheltenham Festival und auch die folgenden Fußballspiele zu besuchen. Cheltenham wurde zur Virenschleuder. Wäre es nach Dowden gegangen, hätte auch noch der 30. Spieltag der Premier League stattgefunden. Es war die Liga, die am 13. März die Notbremse zog.
Am 1. Mai votierte die Premier League geschlossen für die Fortsetzung des Betriebs. Anders als in Deutschland soll an acht bis zehn neutralen Orten gespielt werden. Die Geschlossenheit ist aber eher vordergründig. Hinter den Kulissen äußern einige Offizielle Unbehagen. Die (angeschlagene) Regierung benötige wohl gute Nachrichten.
Die DFL kämpft für den Spielbetrieb
Deutschland hat bei der Corona-Bekämpfung deutlich besser abgeschnitten als die meisten anderen europäischen Länder. Die DFL hat für die Fortsetzung des Spielbetriebs ein aufwendiges Hygienekonzept vorgelegt. Der finanzielle Druck ist enorm. Würde die DFL einen Saisonabbruch beschließen, stünden ihr Schadensersatzansprüche von Sponsoren und TV-Partnern ins Haus. Anders sieht es aus, wenn die Politik den Profiklubs eine Fortsetzung des Spielbetriebs untersagt. Ich will nicht ausschließen, dass einige Klubs insgeheim darauf spekulieren. Dann wäre man in Sachen Haftung aus dem Schneider.
Dass man sich einem fragwürdigen Geschäftsmodel verschrieben hat, steht auf einem anderen Papier und möchte ich HIER nicht weiter erörtern. Kevin Kühnert kritisiert zu recht: „Mir hat das Signal gefehlt, dass der Fußball im Bündnis mit der Öffentlichkeit Druck auf die Rechteinhaber macht. Es gab kaum Diskussionen darüber, wie ein geordneter Saisonabbruch abgewickelt werden könnte. Stattdessen wurde von Anfang an versucht, die Fortsetzung durchzuboxen, komme, was wolle. Dadurch hat man die Rechteinhaber in eine gute Verhandlungsposition gerückt.“
Dass sich die DFL Gedanken um die Fortsetzung ihres Spielbetriebs macht, ist völlig legitim. Dies gilt auch für alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Auch wenn der Fußball nicht annähernd so wichtig ist, wie Hans-Joachim Watzke und Karl-Heinz Rummenigge aus ihrer Blase heraus behaupten. Sagen wir es so: Der Fußball ist vielleicht wirklich wichtig, aber der Profifußball ist nur ein kleiner Teil des Spiels.
Ich werde häufig gefragt, ob ich den Fußball vermisse. Nicht wirklich, nicht zur Gänze. Das höre ich auch von Kollegen, und das sollte den Watzkes und Rummenigges zu denken geben. Ich vermisse ihn eigentlich nur beim Blick auf unser verwaistes Sportzentrum. Mit tun vor allem die vielen Jugendspieler leid.
Wie fragil die Geschichte bleibt, dokumentierte in den letzten Tagen der Fall der drei positiv getesteten Akteure des 1. FC Köln. SPD-Politiker Karl Lauterbach twitterte noch am Freitagabend: „Wer mit Covid-19 trainiert, riskiert Schäden an Lunge, Herz und Nieren. Ich wundere mich, dass Spieler das mit sich machen lassen. Fußball soll Vorbild sein, nicht ‚Brot und Spiele‘.“
Auch der Kölner Profi Birger Verstraete äußerte Bedenken. Die Wiederaufnahme der Saison sei „naiv“. Seine Freundin sei herzkrank und einige Spieler hätten Kinder zu Hause. Er könne sich vorstellen, dass viele Spieler bei einer anonymen Befragung für einen Saison-Abbruch votieren würden. Der Klub pfiff den Belgier zurück. In Zeiten von Corona leidet auch die Meinungsfreiheit von Spielern. Hardy Grüne schreibt: „Die Kölner Reaktion passt ins Bild, das viele Protagonisten des Profifußballs derzeit abgeben: Scheuklappen auf, die Pläne verteidigen, die Saison irgendwie noch bis Ende Juni durchboxen. Die Spieler sind dabei schwächere Glieder. Laut Taskforce soll die Teilnahme am Trainings- und Spielbetrieb freiwillig sein. Aber auch für die Profis sind die Zeiten ungewiss, wohl niemand will als Querulant gelten und seinen Marktwert schmälern.“
Situation der 3. Liga
Auch die 3. Liga soll ihren Spielbetrieb wieder aufnehmen, was ein bisschen abenteuerlich wirkt. Hier geht es nicht um die Rettung von gigantischen TV-Einnahmen. Die Drittligisten sind finanziell anders aufgestellt. Zuschauereinnahmen spielen hier eine größere Rolle als in den DFL-Ligen. Durch die Wiederaufnahme des Spielbetriebs in der Form von Geisterspielen werden keine Verluste reduziert. Eher schon ist das Gegenteil der Fall.
Jan-Christian Müller schreibt in der „Frankfurter Rundschau“ (FR): „Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) sieht sich organisatorisch in der Lage, die Saison ab Freitag, 15. Mai, fortzusetzen. Die Mannschaften hätten dann allerdings weniger als die von den meisten Trainern auch zur Verletzungsprophylaxe verlangten zwei Wochen Teamtraining zur Vorbereitung. Laut ‚Spiegel‘ ist das medizinische DFL-Konzept auf Betreiben der Behörden nochmals überarbeitet worden. Nicht nur Spieler, Trainer und Betreuer sollen demnach regelmäßig getestet werden, sondern auch deren Familienmitglieder. Zudem sollen alle Beteiligten bis Saisonende in eine ‚Quasi-Quarantäne‘ geschickt werden und sich ausnahmslos nur noch zwischen Wohnort und Trainingsplatz/Stadion bewegen. Die ‚Bild‘-Zeitung berichtet zudem von Maskenpflicht auf den Ersatzbänken. Zum DFL-Konzept gehört nach FR-Informationen ein verpflichtend vorgeschaltetes Quarantäne-Trainingslager aller Kader. Seit Donnerstag werden zudem nacheinander Spieler und Staff sämtlicher Klubs erstmals flächendeckend auf das Coronavirus getestet.“
Das sind die Bedingungen für die DFL-Vereine. Für die Klubs der 3. Liga können keine anderen gelten. Es sei denn, man ist der Meinung, dass deren Spieler – aufgrund geringerer „Werthaltigkeit“ – nicht desselben Schutzes bedürfen wie ihre Kollegen in der 1. und 2. Liga. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass alle Drittligisten personell und infrastrukturell dazu in der Lage sind, die Vorgaben des Hygienekonzepts umzusetzen. Zumindest bedürfte es hierzu einer längeren Anlaufzeit.
Der Oberbürgermeister der Stadt Halle hat bereits erklärt, dass man für die Ausrichtung von Geisterspielen das Stadion des HFC sanieren müsste. Die vorhandene Hygiene- und Sanitätsausstattung würde die Anforderungen nicht erfüllen. Geschätzte Kosten: ca. 800.000 Euro. Der OB wird dem HFC keine Erlaubnis für Geisterspiele erteilen.
Äußerst fragwürdig erscheint mir auch die Genese des Beschlusses zum Weiterspielen. Manche sahen hier das „System Koch“ am Werke, das gewöhnlich mit Hilfe einer gehörigen Portion Druck operiert. Multifunktionär Rainer Koch ist Präsident des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV), des Süddeutschen Fußball-Verbandes (SFV) und Vizepräsident des DFB. Zunächst wurden die bayerischen Drittligisten mobilisiert. Deren Meinungsbild wurde an die Presse weitergereicht - verbunden mit der Aufforderung an Andersdenkende in der Liga, dieses nicht öffentlich zu kommentieren! Die Andersdenkenden wurden in Schach gehalten, indem man ihnen die Verantwortung für eine weiterhin schlechte Außendarstellung zuschob. Es folgte eine Videokonferenz aller Drittligisten mit einem knappen Votum pro Fortsetzung des Spielbetriebs. Offiziell war dies zwar ein Meinungsbild. Gegenüber der Öffentlichkeit wurde aber der Eindruck vermittelt, es handle sich um einen Beschluss, an dem niemand mehr rütteln darf. Peter Frymuth, DFB-Vizepräsident und in dieser Funktion verantwortlich für „Spielbetrieb und Fußballentwicklung“: „Das Ergebnis der Abfrage ist von allen zu respektieren und akzeptieren.“ Und das Geld, das die DFL der 3. Liga zur Verfügung stellt? Bekommt diese nur, wenn die Klubs den Spielbetrieb fortsetzen – und nach Abzug der Kosten für das Testprogramm.
Sollte die 3. Liga ihren Spielbetrieb wieder aufnehmen, existiert keine Chancengleichheit. Die „Westfälischen Nachrichten“ berichten, dass zehn von 20 Vereinen wieder trainieren. Die anderen können noch nicht wieder auf den Platz, weil die örtlichen Behörden dies untersagen.
Die 3. Liga ist keine DFL-Liga, sie untersteht dem DFB. Meines Erachtens wäre es für die Liga sinnvoller gewesen, die Saison abzubrechen. Und mit der neuen Saison erst im September, vielleicht sogar erst im Oktober zu starten. Dies hätte allen Klubs (und ihren Gemeinden / Städten) die Chance geben, sich neu zu sortieren, sich auf die Wiederaufnahme des Spielbetriebs vernünftig / professionell vorzubereiten, sich auf die „neue Zeit" (leben und kicken mit Corona und post Corona) einzustellen. Auch hätte die „Pleite-Liga“ mal einige Dinge grundsätzlich diskutieren können.
Als Fan eines Vereins, der auf einem Abstiegsplatz steht, hätte ich sogar damit leben können, dass es im Falle eines Abbruchs nicht nur Aufsteiger, sondern auch Absteiger gibt. Auch wenn dies unfair gewesen wäre. Manche Klubs sind ja in ihren Planungen davon ausgegangen, dass ihr Kader Zeit benötigt und erst in der Rückrunde zündet. Trotzdem: Dies würde zumindest eine vernünftige Planung erleichtern.
Der Fußball als großer Verlierer?
Wie gesagt: Dass der Profifußball darüber nachdenkt, den Spielbetrieb wieder aufzunehmen, ist völlig legitim. Problematisch wird es, wenn er einen Schulterschluss mit politischen Populisten und deren Zentralorgan „Bild“ praktiziert, die auf eine weitgehende Lockerung der Anti-Corona-Maßnahmen drängen. Bei Teilen der DFL war dies in den letzten Wochen der Fall (Christian Seifert wird ein gutes Verhältnis zum „Bild“-Chef Julian Reichelt nachgesagt), was aber wohl intern auch auf Widerspruch stieß. Ganz abgesehen davon, dass das Bündnis mit einem Boulevardblatt, das vor noch gar nicht so langer Zeit ein Vergnügen daran hatte, gegen den Flüchtling und DFL-Spieler Bakery Jatta die niederen Instinkte zu mobilisieren, eine ohnehin bereits beschädigten Reputation nicht guttut.
Der Fußball könnte hier als großer Verlierer enden. Denn sollte eine „zweite Welle“ kommen, verursacht durch zu frühe und zu großzügige Lockerungen, ist Schluss mit lustig. Dann heißt es für DFL und DFB: Mitgehangen, mitgefangen.
Leider gibt es bislang nur wenige Anzeichen dafür, dass die Bundesliga die Quarantäne dazu nutzt, gewisse Entwicklungen ernsthaft zu überdenken. DFL-Chef Christian Seifert will zunächst einmal die Krise überwinden. Kann man ein bisschen nachvollziehen. Für die Zeit danach verspricht Seifert eine Reform des Profifußballs. Die Diskussion darüber sollte allerdings schon jetzt beginnen, und sie sollte sich nicht auf die DFL und den Profifußball beschränken. Je mehr Vorschläge hierzu auf den Tisch fliegen, desto besser.
Dietrich Schulze-Marmeling schreibt z. Zt. an einem Buch über den FC Liverpool unter Jürgen Klopp („Klopps Liverpool“) sowie an einer Geschichte des Trainerberufs. Zuletzt veröffentlichte er in unserem Verlag „Reds. Die Geschichte des FC Liverpool“ und (zusammen mit Hubert Dahlkamp) "Preußen & Münster. Ein Sportclub und seine Stadt".