Ende der 1970er sollte ich einen frischgebackenen grünen Kommunalparlamentarier auf eine politische Diskussionsveranstaltung vorbereiten. Es ging um den Bundestagswahlkampf Schmidt gegen Strauß. Mein Klient war von der ersten „grünen Welle“ ins Parlament gespült worden und ziemlich ahnungslos, wenn es um die „große Politik“ ging.
Die Beratung gestaltete sich zäh. Er wusste und verstand vieles nicht. Vom etwa einstündigen Briefing behielt er nur, dass ich an einem Punkt von einem „geistig-moralischen Vakuum“ in der politischen Kultur unseres Landes gesprochen hatte. Was ich nicht ahnte: Mein Lokalpolitiker war nun wild entschlossen, mit diesem „geistig-moralischen Vakuum“ auf dem Podium aufzutrumpfen. Das Problem war, dass er überhaupt nicht verstanden hatte, was ich meinte. Und dass in den zwei, drei Stunden bis zu seinem öffentlichen Auftritt daraus ein „großes geistiges Vakuum“ wurde.
Natürlich ging die Sache furchtbar in die Hose. Innerhalb von zehn Minuten rief er gefühlt 20-mal in den Saal: „Es gibt in unserem Land ein großes geistiges Vakuum!“ Fragen des Moderators wurden ebenfalls mit Verweis auf das „große geistige Vakuum“ beantwortet. Das Publikum wurde unruhig. In der Reihe hinter mir murmelte jemand: „Mensch, halt endlich die Fresse, das größte geistige Vakuum herrscht in deinem Kopf!“
Es war zum Fremdschämen. So ähnlich muss es dem Menschen aus der Medienabteilung des FC Bayern ergangen sein, der Karl-Heinz Rummenigge vor der Pressekonferenz beraten hatte. Bei seinem Klienten war wohl einiges durcheinandergeraten. Rummenigge beklagte eine „faktische Berichterstattung“, also eine Berichterstattung, die auf Fakten beruht. Dann sprach er von „unwahren“ und „falschen Fakten“. Es war zum Fremdschämen.
Bayern gegen n-tv
Noch mehr zum Fremdschämen war allerdings, dass Rummenigge den Artikel 1 des Grundgesetzes strapazierte, in dem es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Die Würde des Menschen wird in diesem Land tagtäglich mit den Füßen getreten. Beispielsweise, wenn Migranten durch die Straßen gejagt werden, Judenhetze betrieben und Obdachlosen der Schädel eingeschlagen wird. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Rummenigge sieht die Würde des Menschen bereits verletzt, wenn Olaf Thon, für dessen Aussagen sich kaum jemand interessiert, Bayern-Stars als „Altherrenfußballer“ bezeichnet. (Mir war dies völlig entgangen.) Auch so kann man das Grundgesetz lächerlich machen.
Derweil führte Wutbürger Hoeneß dem Publikum vor, wie eine „anti-faktische Berichterstattung“ aussieht. Hoeneß behauptete, n-tv habe vor dem Spiel der DFB-Elf gegen Frankreich ein Team mit Fernsehkameras zu einem Jugendtraining geschickt und zehn- bis zwölfjährige Jungs befragt, ob sie der Meinung seien, man müsse Jogi Löw jetzt entlassen. Hoeneß: „Was war natürlich die Antwort? Ja!“ Er las dann noch die Namen der drei verantwortlichen Journalisten vor. Die Geschichte war frei erfunden. Im von Hoeneß angeprangerten Bericht wird nicht einem der Jungs die Frage nach der Zukunft des Bundestrainers gestellt. Während Rummenigge und Hoeneß Journalisten mit Unterlassungsklagen drohten, könnte n-tv nun seinerseits eine solche gegen Hoeneß anstrengen.
Bayern gegen Bernat
Ausgerechnet Hoeneß forderte mehr Respekt im Umgang mit Spielern. Diese Forderung ist nicht falsch, ich erinnere nur an den „Fall Kruse“. Aber war es nicht Hoeneß gewesen, der behauptet hatte, Mesut Özil habe „seit Jahren einen Dreck gespielt“ und Karim Bellarabi ein „geisteskrankes Foul“ begangen? Auf Özil angesprochen, relativierte Hoeneß seine Aussage in einer Weise, wie wir sie von AfD-Politikern kennen. Er hätte lieber „Mist“ anstatt „Dreck“ sagen sollen.
Doch kaum hatte Hoeneß Besserung gelobt, nagelte er den nächsten Spieler an die Wand. Über Juan Bernat, den man im Sommer an Paris Saint-Germain abgeben hatte, urteilte Hoeneß: „Als wir in Sevilla gespielt haben, war Juan Bernat fast alleine dafür verantwortlich, dass wir aus der Champions League beinahe ausgeschieden sind. Da wurde entschieden, dass er verkauft wird.“ (Sehr menschlich dieser Klub: Spieler macht schlechtes Spiel – ab in den Shop mit ihm!)Bernat habe damals „einen Scheißdreck“ gespielt. Vermutlich wird Hoeneß dies demnächst korrigieren: Er hätte lieber Scheiß-Mist sagen sollen …
Bernats Berater retournierten in einer Weise, die Uli Hoeneß komplett abgeht – ruhig, souverän, mit Stil: „Die Aussagen von Herrn Hoeneß sind überaus unglücklich. Allerdings würde ich Herrn Hoeneß fragen, was er sich bei solchen Aussagen denkt. Vor wenigen Monaten war er nämlich noch derjenige, der mit dem Spieler um fünf weitere Jahre verlängern wollte. Wir haben stets gedacht und denken immer noch, dass Bayern ein großer Klub ist, in dem alle handelnden Personen professionell agieren. Ich denke, dass wir alle – aber vor allem der Präsident Hoeneß – darauf achten müssen, dass wir, wenn wir über Fußballer sprechen, dies mit Respekt tun. Ich denke, das ist das mindeste, was man verlangen kann.“
Auch der Spieler selbst, 41 Jahre jünger als Hoeneß, demonstrierte ein Ausmaß an Reife und Souveränität, das Hoeneß wohl niemals erlangen wird: „Ja, ich habe davon gehört, aber ich habe darüber nichts zu sagen. Mir wurde schon als Kind beigebracht, dankbar zu sein.“Die Zeit in der Haft hat Hoeneß offenbar nicht demütiger werden lassen. Im Gegenteil: Sie hat ihn radikalisiert. Nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich gänzlich ungeniert. Vielleicht will Hoeneß auch gar nicht von der Mannschaft ablenken, sondern von sich und seiner Geschichte. Je mehr Schlagzeilen man produziert, desto mehr wird das Steuervergehen unter diesen begraben. Und die Fehler als Vereinsboss ebenfalls.
Comedy-Einlage mit ernstem Hintergrund
Als Bayern-Fan wäre ich stinksauer auf meine Bosse, die das Klub-Image mit dieser Pressekonferenz schädigten und keine Chance zum Eigentor ausließen. Viele Beobachter sind der Meinung, dass Hasan Salihamidzic nur der Dackel der Bosse sei. Dass „Brazzo“ den Job nur bekam, weil Hoeneß und Rummenigge keine meinungsstarken Männer wie Matthias Sammer, Oliver Kahn oder Philip Lahm neben sich dulden. (Umgekehrt haben kompetente Leute keine Lust, in einem Klub zu arbeiten, in dem ein Uli Hoeneß das Sagen hat: siehe Philipp Lahm, siehe Thomas Tuchel.) Rummenigge bestätigte nun eindrucksvoll, dass diese Einschätzung richtig ist. Eine an „Brazzo“ gerichtete Frage beantwortete Rummenigge lieber selbst und schnitt seinem Sportdirektor das Wort ab.
Man kann nun über die Pressekonferenz lachen, und die Fußball-Community tut es auch. Wohl niemals zuvor haben sich Vereinsverantwortliche dermaßen blamiert. Das Ganze hat aber auch einen sehr ernsten Aspekt. Offensichtlich schwebt dem FC Bayern (und nicht nur ihm!) eine Berichterstattung vor, die vom Klub diktiert wird und in der Kritik nicht vorkommt. In der die Geschichte vom vereinseigenen Medienimperium nur noch so erzählt wird, wie es sich die Kluboberen wünschen. Wenn es um die Rolle und Aufgaben der Medien geht, ticken die Bayern-Chefs nicht anders als Donald Trump, Viktor Orban oder Herbert Kickl, Österreichs FPÖ-Innenminister.
Das alles ist nicht neu. Dem FC Bayern war eine kritische und unabhängige Berichterstattung schon immer ein Dorn im Auge. War in den 1980er Jahren im politischen Bereich die CSU die treibende Kraft der Privatisierung der TV-Berichterstattung, weil die ARD ihr „zu rot“ war, so wurde dieses Ansinnen in der Bundesliga vor allem vom FC Bayern und Hoeneß verfolgt. Dabei ging es nicht nur um Geld. Hoeneß warf den öffentlich-rechtlichen Anstalten vor, den Fußball permanent schlechtzureden. Seine Überlegung dahinter: Die Privaten sind von Werbeeinahmen und Einschaltquoten abhängig, also müssen sie das Produkt beschönigen. Und nebenbei übt man mit den Privaten Druck auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten aus, damit sich auch deren Berichterstattung ändert.
Auch mir geht die hysterische Berichterstattung einiger Medien tierisch auf den Geist. Zuletzt die komplette Überhöhung des deutschen Ausscheidens in Russland. (Aktuell scheinen einige richtig enttäuscht darüber zu sein, dass der Jogi Löw in Paris nicht wieder nur die „Alten“ auflaufen ließ und eine Klatsche bekam, wo man doch schon den Nachruf geschrieben hatte. Ein Fußball, in dem nicht ständig jemand abgeschossen wird, ist doch irgendwie langweilig.) Auch das Strapazieren vermeintlicher Quellen riecht nicht nach Seriosität: „Ein ehemaliger Bundesligatrainer, der nicht genannt werden will, kommt zu dem Ergebnis …“, „einige Spieler, die nicht genannt werden wollen, berichten …“. Die totalitären Fantasien von Verbänden und Klubs sind allerdings das weitaus größere Problem für eine kritische Medienlandschaft, zu deren Aufgaben auch gehört, den Mächtigen auf die Finger zu schauen und ihre Politik zu hinterfragen.