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Fußball

 

Mannschaftsfoto des FC Bayern von 1944, Sauter befindet sich ganz hinten links (Copyright: Privatarchiv)

Bayerns letzter „Vereinsführer“ Josef Sauter und der Umgang mit der eigenen Geschichte

von Dietrich Schulze-Marmeling – Josef Sauter, der letzte „Vereinsführer“ des FC Bayern in der NS- Zeit, war viele Jahre ein Unbekannter. Sogar über seinen Beruf gab es unterschiedliche Angaben. Nun liegen einige Dokumente aus seinem Nachlass vor, die etwas mehr Licht ins Dunkel werfen.

Die besondere Bedeutung der Personalie Sauter liegt darin, dass er der einzige „Vereinsführer“ in der NS-Zeit war, zu dem die „Alten“ im Verein, die Gefolgschaft des ehemaligen jüdischen Präsidenten Kurt Landauer und seines langjährigen Mitstreiters Siegfried Herrmann, nach 1945 deutlich auf Distanz gingen. Regimenähe im Klub wurde auf die Person Sauter reduziert.

Entwicklungen ab 1933

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme verfolgte den FC Bayern nicht nur das „Handicap“, dass er in den Jahren der Weimarer Republik eine Adresse für Münchens fußballbegeisterte Juden gewesen war. Der FC Bayern war auch dem Oberbürgermeister Karl Scharnagl (BVP) sehr verbunden (und umgekehrt), der am 20. März 1933 der nationalsozialistischen Gewalt weichen musste. Fortan geriet der Klub hinsichtlich seiner Beziehungen zur Stadtführung gegenüber dem TSV 1860 ins Hintertreffen, der aus Sicht der braunen Herrscher über das überzeugendere Personal verfügte. Die Geschichte des FC Bayern in den NS-Jahren war daher für einige Jahre auch eine der Suche nach einem „akzeptablen ‚Vereinsführer‘“. Einem „Vereinsführer“, der den Klub nicht der Partei unterwarf, aber trotzdem bei der braunen Stadtführung ein gewisses Maß an Anerkennung genoss.

Erster „Vereinsführer“ des FC Bayern wurde Siegfried Herrmann, der erwähnte langjährige Mitstreiter des am 22. März 1933 zurückgetretenen jüdischen Präsidenten Kurt Landauer. Wie der im Stadtarchiv München tätige Archivar, Historiker und Experte der Münchner Stadtgeschichte Anton Löffelmeier schreibt, gelangte Herrmann jedoch „bei dem neuen Münchner Polizeipräsidenten Heinrich Himmler in Misskredit, weil er in der Zeit vor 1933 bei Saalschlachten gegen Nationalsozialisten eingeschritten war.“ In einer Auskunft des Personalamts der Stadt München vom 31. August 1946 heißt es: „Herrmann ist als Gegner des Nationalsozialismus bekannt. Als Leiter des Vereins- und Versammlungswesens vor 1933 stand er immer im Gegensatz zur NSDAP. Er musste 1933 diesen Platz verlassen und wurde von jeder Beförderung ausgeschlossen.“

Der erste „Vereinsführer“ der „Sechzger“ hingegen war mit Fritz Ebenböck ein etwas anderes Kaliber als sein Bayern-Pendant; ein politisch deutlich kompatiblerer Mann. Denn Ebenböck war kein „Neu-Nazi“ oder Opportunist, sondern ein Hitler-Follower der ersten Stunde. 1923 hatte er am gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch teilgenommen. Im November 1933 gehörten bereits 150 Mitglieder des TSV 1860 der SA, SS oder dem „Stahlhelm“ an, dem bis 1934 aufgelösten, de facto der Deutschnationalen Volkspartei zuzuordnenden Wehrverband. Ebenfalls 1933 übernahmen die „Sechzger“ den „Arierparagrafen“ der Turner.

Siegfried Hermann trat am 19. September 1934 aus beruflichen Gründen zurück. 1935 wurde mit dem Mediziner Dr. Richard Amesmeier erstmals ein NSDAP-Mitglied „Vereinsführer“ des FC Bayern. Wie Markwart Herzog anhand des 1. FC Kaiserslautern ausgeführt hat, akzeptierten Vereine „NS-Lokalpolitiker als ‚Vereinsführer‘, weil dies zugleich Schutz vor den Begehrlichkeiten der Sport treibenden Organisationen der NSDAP bietet.“ (Markwart Herzog: „Unpolitische Mobilisierung“: Der FCK in der NS-Zeit, in: Dominic Bold (Hg.): 1. FC Kaiserslautern. Die Chronik, Göttingen 2013, S. 49).

Amesmaier war allerdings – anders als sein von 1938 bis 1941 amtierender Lauterer Kollege Carl Allbrecht und die „Vereinsführer“ der „Sechzger“ – keine lokale Nazi-Größe. Der FC Bayern hatte damit also noch immer keinen Vorsitzenden, der sich guter Beziehungen zur braunen Stadtführung rühmen konnte. So ganz nach den Vorstellungen der Machthaber war Amesmeier nämlich wohl nicht, zumindest konnte er nicht mit dem Führungspersonal der „Sechzger“ konkurrieren. Im April 1939 meldete er sich von der SA ab und begründete dies mit familiären Problemen, der Abwicklung eines Nachlassgeschäftes und „schmerzhaften Neuralgien, die mich oft über mehrere Stunden vollkommen arbeitsunfähig machen“.

Schon zuvor war einem SA-Standartenführer aufgefallen, dass Amesmeier „trotz wiederholter Aufforderung weder an einem sonstigen Einsatzdienst der SA noch an einem Kameradschaftsabend der Standarte teilgenommen“ hatte. Da Amesmeiers SA-Austritt einige Monate nach der Inhaftierung Landauers erfolgte (dem er zudem bei dessen Emigration half), kommt der Historiker Nils Havemann zu der Einschätzung, dass „das Erleben der nationalsozialistischen Verbrechen an dem beliebten Landauer bei einem exponierten Bayern-Mitglied trotz anfänglicher Sympathie für die Nationalsozialisten zu einer erkennbaren Distanzierung vom Hitler-Regime“ geführt habe (Nils Havemann: Fußball unterm Hakenkreuz, Frankfurt 2005, S. 279).

Beim FC Bayern waren die Jahre 1935 ff. vom Rückzug der „Alten“ geprägt. Die „Alten“, das waren vor allem die Gefolgsleute von Hermann und Landauer. Die Jahreshauptversammlungen wurden zusehends weniger besucht, was auch in den „Klubnachrichten“ beklagt wurde. Als der FC Bayern 1935 seine „Arierparagrafen“ verabschiedete, waren weniger als 10 Prozent seiner Mitglieder anwesend. Die an den Paragrafen gekoppelte „Arier-Erklärung“ geriet zum Rohrkrepierer. Mitglieder zahlten ihre Beiträge nicht und wurden ausgeschlossen. Andere zogen sich aus dem aktiven Vereinsleben zurück oder versammelten sich an einem Stammtisch, an dem genörgelt wurde.

„Vereinsführer“ ab 1943: Josef Sauter

Josef Sauter (links) mit dem Verleger Schuler (Copyright: Privatarchiv)
Josef Sauter (links) mit dem Verleger Schuler (Copyright: Privatarchiv)

Nach den – für diesen Beitrag nicht weiter wichtigen – „Vereinsführern“ Nußhardt und Kellner bekleidete ab 1943 der Kaufmann Josef Sauter dieses Amt. Von Sauter erhofften sich insbesondere die Anti-Landauer- und Anti-Herrmann-Kräfte bessere Beziehungen zur braunen Stadtführung. Der Sohn eines Gutsbesitzer-Ehepaares stammte aus Rieden im Landkreis Günzburg. Im Ersten Weltkrieg brachte Sauter es bis zum Leutnant der Reserve und Kompaniechef. Im Mai / Juni 1919 war er aktiv an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligt. Ebenfalls 1919 verweigerte er bei der Reichswehr den Eid auf die junge Republik, da er bereits den Eid auf den Kaiser geleistet habe. Sauter wurde aus der Reichswehr entlassen. Die gesamten Weimarer Jahre hindurch gehörte er dem „Stahlhelm“ an. Mitglied der NSDAP ist er laut Auskunft des Bundesarchivs jedoch nicht geworden. Auch eine Mitgliedschaft in einer Untergliederung der Partei ist nicht registriert.

Beruflich schlug Sauter sich zunächst mit wechselnden Beschäftigungen durch. Anfänglich war er Filmstatist in München und lernte dabei u.a. den bayerischen Volksschauspieler Beppo Brem kennen, danach verdingte er sich als Gelegenheitsarbeiter sowie als Wein- und Lederwarenverkäufer, hauptsächlich in Ulm und Umgebung. In den 1930er Jahren absolvierte er eine Ausbildung zum Werbefachmann. Mitte der 1930er erhielt er in diesem Beruf eine Anstellung beim Stuttgarter Kunstverlag Schuler KGH, wo er als „Verlagsdirektor“ tätig und häufig auf Geschäftsreisen war. In den Jahren 1933 bis 1938 lebte er in Köln und Frankfurt, anschließend zog er nach München.

Josef Sauter war Kaufmann durch und durch. Ein umtriebiger Mensch und ein Lebenskünstler. Einer, der schnell Beziehungen knüpfte und ein gutes Näschen für die politischen Wetterlagen besaß. Und einer, der groß dachte. Für viele der „Alten“ zu groß, zumal er sie in seine Pläne nicht einbezog. So verfolgte Sauter den Plan einer neuen, großzügigen Sportanlage im Norden Münchens und des Aufgehens des FC Bayern in einen neuen städtischen Großverein.

Sauters Wirken 1943–1945

Mannschaftsfoto des FC Bayern von 1944, Sauter befindet sich ganz hinten links (Copyright: Privatarchiv)
Mannschaftsfoto des FC Bayern von 1944, Sauter befindet sich ganz hinten links (Copyright: Privatarchiv)

Josef Sauter verfügte zwar über gute Kontakte zu einigen lokalen NS-Größen, aber mit dem TSV 1860 konnte der FC Bayern trotzdem nicht gleichziehen. Es blieb der „Makel“ der Geschichte vor 1933. Als der FC Bayern im März 1944 die südbayerische Meisterschaft gewann, schlug Ludwig Behr, Leiter des Stadtamts für Leibesübungen, dem Oberbürgermeister Fiehler eine Ehrung der Meisterelf vor – ähnlich der, die der TSV 1860 ein Jahr zuvor erhalten hatte. Doch das Stadtoberhaupt lehnte dies mit der Begründung ab, „dass bei 1860 andere Beziehungen zur Stadt bestehen durch die Ratsherrn Gleixner und Dr. Ketterer, (und) dass der FC Bayern bis zur Machtübernahme von einem Juden geführt worden ist“.

Laut seinen Erinnerungen wurde Sauter im Juni 1943 vom Arbeitsamt München dienstverpflichtet. „Es bedurfte großer Geschicklichkeit meinerseits, um nicht sofort nach Russland zur Anwerbung von Zivilarbeitern geschickt zu werden.“ Als die Luftangriffe auf München immer heftiger wurden, entschloss sich Sauter, „meine Familie auf dem Lande in Sicherheit zu bringen. Am 13. August 1943 … erfolgte der Transport der notwendigsten Möbel, Wäsche, Kleidung auf einem Lastwagen nach meinem Geburtsort Rieden.“ Fortan sei er zwischen Rieden und München gependelt, „was mit der längeren Dauer des Krieges immer umständlicher und beschwerlicher wurde“.

Neuanfang nach 1945: Sauters Werben bei den Alliierten

Nur eine Woche nach der Kapitulation schickte der FC Bayern einen Brief an den auf den Oberbürgermeister-Sessel zurückgekehrten Karl Scharnagl (zu ihm siehe Anm. 1 im Anschluss an diesen Beitrag). Mit Scharnagls Rückkehr und dem demokratischen Neuanfang witterte der Klub seine Chance und schrieb nun dem neuen Stadtoberhaupt: „Wir sind bereit, Ihnen bedingungslos und treu Gefolgschaft zu leisten, hat doch mit Ihrer Amtsübernahme auch für uns ‚Bayern‘ wieder eine Zeit neuen Aufbau’s begonnen, nachdem wir bislang als ‚Juden-Club‘, der es ablehnte, sich eine nationalsozialistische Vereinsführung aufzwingen zu lassen, mit allen Mitteln gedrückt wurden.“ Das Schreiben war aber nicht von Josef Sauter unterzeichnet, sondern von Willy Plank, dem Geschäftsführer des Klubs.

Am 18. September 1945 schrieb auch Sauter einen Brief, der an die amerikanische Militärregierung adressiert war und in dem er als „Präsident des FC Bayern“ seine Gedanken über „Sport und seine Beziehungen zur Demokratie“ niederlegt. Den vordergründigen Anlass lieferte „eine Radiomeldung, wonach im Jahre 1948 wieder die ersten Olympischen Spiele und zwar in London stattfinden würden“. Sauter unterbreitete den Vorschlag und die Bitte, „den sportlichen Geist freizugeben und ein Sportamt zu errichten, damit unverzüglich mit den Vorbereitungen für 1948 begonnen werden darf“. Aber auch im Falle der Nichtzulassung für Olympia sei es wünschenswert, „den Sport in Deutschland in seinem vollen Umfang wieder aufzunehmen. (…) Wer auf dem Sportfeld seinen Körper pflegt, wird auf keine dummen Gedanken kommen, die für ihn und die Allgemeinheit wenig zuträglich wären.“

Sauter sprach auch auf das von Mythen umrankte Spiel von Zürich 1943 an (2), bei dem er persönlich zugegen gewesen war. Dieses habe ein Nachspiel gehabt: „Kurz nach unserer Rückkehr lief beim Auswärtigen Amt in Berlin die Beschwerde eines fanatischen deutschen Zuschauers ein, dass 1. Die Deutsche Flagge nicht gehisst war, 2. Die Nationalhymne nicht gespielt wurde und 3. Der FC Bayern aus München gegen eine Mannschaft gekämpft habe, in der ein Jude (Friedländer) mitgewirkt hat.“ Die Reise nach Zürich sei „außerordentlich lehrreich“ gewesen, „und typisch für das, was ich mit meinen Zeilen sagen will: Denn hier sprechen nur der Sport und seine ethischen Eigenschaften und alle diplomatischen Meinungen und aller Chauvinismus mussten schweigen.“ Sauter präsentierte sich nunmehr also als überzeugter Demokrat, entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und Fan des amerikanischen Sportgedankens.

Neuanfang – ohne Sauter

Sauter schrieb seinen Brief von Rieden aus. In München aber gaben längst andere den Ton an, namentlich Xaver Heilmannseder, Karl Hötzl und Wilhelm Plank. Und bald mischte auch Siegfried Hermann wieder mit. Herrmann war im Mai 1945 aus Wien zurückgekehrt und betrieb nun die „Rückeroberung“ des Klubs. Hermann galt als „politisch unbescholten“. Bereits am 18. August 1945 wurde er mit Zustimmung der amerikanischen Militärregierung in seinem alten Beruf als Kriminalkommissar wiedereingestellt. Oberbürgermeister Scharnagl ernannte ihn kurz darauf zum „Sicherheitsdirektor auf Lebenszeit“.

Am 1. Oktober 1945 schaltete Heilmannseder „interimistisch“ den prominenten Münchner Bankier Josef Bayer ein, bereits seit vielen Jahren Mitglied des Klubs. Bayer war seit den 1920er Jahren im jüdischen Bankhaus H. Aufhäuser tätig, schon damals und bis 2002 Hausbank des FC Bayern. Ab 1932 diente Bayer dem Institut als Prokurist. Seine Frau war Jüdin, die zum Katholizismus konvertierte. Als das Bankhaus H. Aufhäuser 1938 nach der Reichspogromnacht als eine der letzten und bedeutendsten Privatbanken arisiert wurde, behielt Bayer seine Position – trotz der jüdischen Gattin, einer engen Freundschaft mit der Familie Aufhäuser und einer bekannt anti-nationalsozialistischen Haltung. Das Bankhaus hieß nun nach Friedrich Wilhelm Seiler als dem neuen persönlich haftenden Gesellschafter „Seiler und Co.“ Die Geschäfte führte hauptsächlich Josef Bayer.

Die Nazis und die Stadt München konnten nicht auf die enorme Kompetenz des Fachmanns verzichten, insbesondere Auslandsgeschäfte betreffend. Unter Bayers Führung konnte das Bankhaus bis 1944 Gewinne erwirtschaften, ohne sich an Rüstungsgeschäften und Ähnlichem zu beteiligen. Josef Bayer wurde im Kontext des Attentats auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 festgenommen und verbrachte zwei Monate in Lagerhaft. Am 20. Dezember 1945 setzte die US-Militärregierung Bayer – auf Empfehlung der Familie Aufhäuser – als Treuhänder für das Bankhaus ein. Bayer vertrat die Aufhäusers auch in ihren Wiedergutmachungsangelegenheiten.

Die amerikanische Besatzungsbehörde beauftragte Josef Bayer mit der Ausarbeitung einer neuen Satzung und der provisorischen Leitung des Klubs. Spätestens jetzt war Josef Sauter aus dem Rennen. Am 1. Januar 1946 berief der stellvertretende Vereinsführer Heilmannseder eine neue Vereinsführung (Bezeichnungen hier wie im Bericht des FC Bayern an das Registeramt). Die Leitung des Klubs übernahm Josef Bayer, stellvertretender Vorsitzender wurde Franz Xaver Heilmannseder, Wilhelm Plank wurde Kassierer. Am 27. März 1946 fand die erste ordnungsgemäße Mitgliederversammlung statt, die folgenden Vorstand wählte: Präsident: Josef Bayer, 1. Vorsitzender: Siegfried Hermann, 2. Vorsitzender: Konrad Heidkamp, Kassierer: Wilhelm Plank.

Josef Sauter erlitt bald darauf eine Angina pectoris und starb am 5. Oktober 1946. Damit wurde zugleich die Bahn frei, um so ziemlich alles, was beim FC Bayern in der NS-Zeit schieflief, auf seiner Person abzuladen.

Landauers Rückkehr

Ende Juni 1947 meldete das Sport-Magazin: „Kurt Landauer, süddeutscher Fußballpionier, ist zurück aus der Emigration.“ Nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr, am 19. August 1947, wurde Landauer zum vierten Mal zum Präsidenten des FC Bayern gewählt. Siegfried Herrmann wurde sein Vizepräsident, Josef Bayer rückte auf die Position des Beisitzers. Als ob zwölf Jahre NS-Regime nur ein böser Traum gewesen wären, führte nun wieder jenes Duo den FC Bayern, das den Klub 1932 zur Deutschen Meisterschaft geleitet hatte. Und oberster Repräsentant der Stadt war – ebenfalls wie im Meisterjahr 1932 – Dr. Karl Scharnagl.

Noch am Tag seiner Wahl verfasste Landauer ein Schreiben an die Stadt, in dem er mitteilte, dass er „wieder die Leitung des FC Bayern übernommen“ habe. „Getreu der Traditionen unseres Clubs werden wir auch fernerhin Ihre Bestrebungen zu fördern helfen. Ich werde mir gestatten, Ihnen in der nächsten Zeit meine persönliche Aufwartung zu machen, um so den notwendigen Kontakt zwischen Ihnen und mir herzustellen. Ich ersuche Sie schon heute, das bisher den Bayern gezeigte Wohlwollen auch auf meine Person übertragen zu wollen.“ Anders als der Lokalrivale musste der FC Bayern weder Abbitte leisten noch den Bittsteller spielen, sondern präsentierte sich selbstbewusst als Partner im Prozess der Entnazifizierung und Redemokratisierung. Der Münchner Stadthistoriker Ingo Schwab: „Landauer räumt mit diplomatischem Geschick wie auch mit energischem, gelegentlich rücksichtslosem Vorgehen seinem Verein die Steine aus dem Weg. Statt um Hilfe zu bitten, bietet Landauer Hilfe an.“

Der Klub begab sich anschließend auf die Suche nach dem Schicksal seiner jüdischen Mitglieder, wobei die Worte „Jude“ und „jüdisch“ tunlichst vermieden wurden – wohl mit Rücksicht auf die immer noch antisemitische Stimmung im Lande (und wohl auch in Teilen des Klubs). Stattdessen war von „Nicht-Ariern“ die Rede. Das Duo Landauer / Herrmann, das bereits vor 1933 die Geschicke des Klubs leitete – häufig in autokratischer Manier –, beanspruchte nun die Deutungshoheit über die Bayern-Geschichte. Josef Sauter galt fortan als absolute persona non grata.

Umdeutungen: die Festschrift von 1950

Das 50. Jubiläum bot Landauer und Hermann dann den geeigneten Anlass, um ihre Geschichte des Klubs zu präsentieren. In Landauers Rückblick auf die NS-Jahre liest man: „Nur ein einziges Mal glaubte einer aus der Reihe tanzen zu müssen, es war der letzte Vorsitzende vor dem Wiederaufbau des Sports im Jahre 1945.“

Landauer-Biograf Dirk Kämper schreibt hierzu: „Will heißen, erst mit Gausportwart Josef Sauter, von 1943 bis 1945 Präsident, befand sich der FC Bayern tatsächlich – für gerade mal zwei Jahre – auf braunen Abwegen. Dies entspricht ganz sicherlich nicht der Realität des Vereins, schon gar nicht auf allen anderen Ebenen unterhalb des Vorstands. Landauer weiß das. Aber sein Verhalten bietet vielen Mitgliedern eine Art Ablass, die Möglichkeit zur Besinnung und Rückkehr.“ Denn für den Rest des Klubs sprach Landauer den Satz: „Wir wollen die letzten Jahre vergessen und Gnade walten lassen.“ In der fast 250 Seiten starken Festschrift „50 Jahre FC Bayern“ wird Josef Sauter zudem nie beim Vornamen genannt – auch eine Methode, um Verachtung gegenüber einer Person zu artikulieren.

Schenkt man diesem Werk Glauben, dann wäre Sauter der erste „Vereinsführer“ gewesen, der mit dem Führerprinzip wirklich ernst machte. „Als Vereinsführer ernannte er nun seine Mitarbeiter, die er jederzeit wieder abberufen kann. (…) Sauter stützte sich tatsächlich auf das ihm kraft seiner Eigenschaft als Vereinsführer zustehende Führerprinzip. Nur gelegentlich gnädige Auslassungen des Vereinsführers erfuhren die aufhorchenden Stammtischler im Verein.“ Sauter, der sich eines innigen Kontakts mit Gauleiter Paul Giesler gerühmt habe, habe dem Klub eine aus staatlichen Mitteln finanzierte, große neue Sportanlage versprochen, aus der aber nichts geworden sei. Mit der neuen Anlage wäre der „in Parteikreisen ausgebrütete Plan, einen Großverein unter Einbeziehung des FC Bayern zu schaffen“, verbunden gewesen. Hinter diesen Plänen hätten finanzkräftige Mäzene gestanden, aber auch „der inzwischen von 1860 ausgebootete Oberhuber“, zugleich Adjutant des General-Baurats Giesler. (2) Sauters Vorgänger Franz Nußhart habe dem Plan hingegen immer skeptisch gegenübergestanden. Es habe „aber auch [im Klub genug] Einsichtige“ gegeben, die in diesen Ideen „nur billige Phantastereien sehen mußten.“

Eines habe Josef Sauter allerdings bewirkt: „In der Presse hatte man sich bisher zum FC Bayern wegen seiner missbetonenden Parteieinstellung recht gegnerisch, zumindest aber ignorierend gestellt. Auf Grund der nunmehr von Sauter, der in den Club erst verhältnismäßig spät als ein Neuling hereingeschneit war, mit den Parteigrößen der Stadt vorgenommenen Fühlungnahme erfolgte prompt eine völlige Schwenkung. Der F.C. Bayern wurde plötzlich groß gemacht. Wichtige Spiele wurden zu förmlichen Volksfesten umgestaltet: SA-Kapellen zogen um die Aschenbahn usw.“

Feige sei der Herr Sauter auch gewesen: Als 1944 der Luftkrieg gegen München eskalierte, habe sich „Vereinsführer“ Sauter in ein schwäbisches Landstädtchen verzogen. „Vereinsführer Sauter war nicht gewillt, für den Club sein Leben aufs Spiel zu setzen. (…) Bei seinen immer seltener werdenden Besuchen in München residierte er im Hotel ‚Vier Jahreszeiten‘, von wo aus der Herr ‚Präsident‘ geruhte, seine Befehle zu erteilen. Die tatsächlich notwendige Vereinsarbeit mußten die Treuesten der Bayern allein machen. Sie mußten ohne Vereinsführer mit den brennendsten Tagesfragen selbst fertig werden.“ Das habe wenigstens zur Folge gehabt, dass selbst die Parteimitglieder im Klub „jetzt zur Überzeugung (kamen), dass das ‚Führerprinzip‘ doch recht arge Schattenseiten haben kann“. Auf Seite 119 der „Festschrift“ befindet sich ein Foto der Ligaelf von 1944, auf dem auch Sauter abgebildet ist und in der Bildunterschrift genannt wird. 1953 erscheint dieses Foto noch einmal in den „Club-Nachrichten“ (Nr. 3, Seite 13), dieses Mal jedoch ohne Sauter, der wegretuschiert wurde.

Fazit

Es war wohl nicht nur Sauters Nähe zu einigen NS-Politikern wie Paul und Hermann Giesler sowie Oberhuber, die ihn bei Landauer und Herrmann in Misskredit brachten, sondern auch, dass er mit seinen ambitionierten Plänen aus dem Klub etwas machen wollte, was nicht den Vorstellungen der „Alten“ entsprach – wo dies doch immer noch „ihr Club“ war.

Die Festschrift „50 Jahre FC Bayern“ wurde gleichwohl nie stilbildend für den Verein und die Wahrnehmung seiner eigenen Vergangenheit. Spätestens mit dem Aufstieg in die Bundesliga 1965 war die politische Geschichte komplett vergessen. Dies galt sowohl für ihre positiven als auch ihre negativen Kapitel.

Anmerkungen:

(1) Karl Scharnagl (1881 – 1963), der seit 1918 der Bayerischen Volkspartei (BVP) angehörte, schloss sich später dem sogenannten „Sperr-Kreis“ an, einem Widerstandskreis von Politikern, die im politischen Spektrum der Weimarer Republik die „politische Mitte“ repräsentierten. Nach 1945 gehörte Scharnagl zu den Motoren der Gründung der Christlich-Sozialen Union (CSU), in der er dem christlich-liberalen Flügel zuzurechnen war. 1948 war er einer der Gründer der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
(2) Karl Oberhuber war 1937 zum Fachwart Fußball im Gau Bayern bestellt worden. Der Regierungsrat zählte zu jenen, „die durch die Verfolgung und Denunziation von Oppositionellen den Terror der Diktatur verkörperten und sich darüber hinaus persönlich bereicherten“ (Anton Löffelmeier). Hermann Giesler, ein Bruder des seit 1942 amtierenden bayerischen Ministerpräsidenten und Gauleiters von München-Oberbayern Paul Giesler, war 1938 von Hitler zum Generalbaurat Münchens ernannt und mit der Neugestaltung der „Hauptstadt der Bewegung“ beauftragt worden. Seit 1941 war Hermann Giesler auch für die Organisation Todt tätig. 1947 verurteilte ihn ein US-amerikanisches Militärgericht wegen Tötungsverbrechen zu einer lebenslangen Haftstrafe. Allerdings befand sich Hermann Giesler bereits am 18. Oktober 1952 wieder auf freiem Fuß.

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