Von Dietrich Schulze-Marmeling – Ich wundere mich immer wieder, dass Fans nicht wahrhaben wollen, dass Profifußballer tatsächlich Profifußballer sind.
Der Arbeitsplatz wird auch in anderen Berufen gewechselt – wegen eines höheren Gehalts, mehr Verantwortung und Macht, einer netteren Arbeitsatmosphäre, einer attraktiveren Stadt, dem Lebenspartner.
Wenn wir die mangelhafte Vertragstreue und Loyalität von Spielern beklagen (und dies manchmal berechtigterweise), dann sollten wir die anderen Akteure im Spiel (genauer: im Geschäft) nicht vergessen. Ein Spieler, der den Fans zu schwach ist oder ihnen auf Grund seiner Spielweise auf die Nerven geht, wird schon mal von den Rängen herunter aus der Mannschaft gemobbt. Der Spieler wird mehr oder weniger dazu gezwungen, das Weite zu suchen. Schließlich soll der Beruf auch ein bisschen Spaß bereiten. Aber es macht keinen Spaß, wenn bereits bei der Einwechselung das Murren und Pfeifen beginnt, wenn die Zuschauer deutlich demonstrieren: „Wir wollen nicht, dass du hier spielst.“ Manchmal wollen Fans sogar fast eine komplette Mannschaft wegschicken. (Im normalen Berufsleben würde dies folgender Situation entsprechen: Auf dem Flur vor dem Büro stehen 300 Leute, die lautstark fordern: „Hau ab!“ Und dabei vielleicht auch noch mit Gegenständen schmeißen.)
Auch Spieler werden ausgetauscht
Die Vereine schauen ständig nach Alternativen für einzelne Positionen. Eine ganze Armee von Scouts wird dafür beschäftigt. Und wenn sie die Alternative für die Position des linken Verteidigers gefunden haben, rückt der Spieler, der bislang die Position bekleidet hat, ins zweite Glied. Dabei spielt keine Rolle, dass er seit frühester Kindheit Fan des Vereins ist, seit dem 16. Lebensjahr in dessen Farben spielt und mit diesem zweimal Meister geworden ist. Der Verein hat jetzt höhere Ansprüche. Für Europa reicht es mit diesem Spieler nicht mehr. Will man ihn komplett von der Lohnliste haben, verbannt man ihn in die Trainingsgruppe B oder in die 2. Mannschaft. In der Hoffnung, dass dem Spieler restlos der Spaß vergeht, er einer vorzeitigen Auflösung seines Vertrags und einem Vereinswechsel zustimmt. Ist der Spieler bei den Fans sehr beliebt, werden diese aufbegehren. Aber gleichzeitig wollen sie auch, dass ihre Mannschaft erfolgreich spielt.
Ein Beispiel hierfür ist Michael Zorc, der Sportdirektor des BVB. Als ihn Ottmar Hitzfeld in der Saison 1996/97 aufs Abstellgleis schob, fanden das der 34-jährige Spieler, Teile der Fans und vielleicht auch einige Mitspieler gar nicht gut. Hitzfeld hatte für Zorcs Position den 26-jährigen Paulo Sousa geholt, der besser war als Zorc und dazu beitrug, dass die Borussen die Champions League gewannen.
Am liebsten mögen Fans natürlich Spieler, die viele Jahre für ihren Verein kicken – sofern sie dies auf einem akzeptablen Niveau tun. Ob diese Spieler tatsächlich vereinstreuer sind als andere, ist nicht klar. Vielleicht fehlt ihnen einfach eine attraktive Alternative. Vielleicht haben sie einen Vertrag, den sie in dieser Form bei einem neuen Arbeitgeber nicht mehr bekommen würden. Vielleicht sind sie einfach nur zu bequem für einen Vereins- und Ortswechsel.
Erfahrungen sammeln
Kommen wir zu Aubameyang. Ja, er ist ein Kasper. Bei manchen Menschen ist das Gehirn auch mit 28 noch eine Großbaustelle. (Dies ist ein grundsätzliches Problem des Berufs Fußballprofi. Die meisten Menschen sind erst so richtig reif, was immer man jetzt darunter verstehen mag, wenn sie 30 und älter sind. Dann neigt sich die Karriere des Profis aber bereits ihrem Ende zu. Und bei manchem Profi bleibt das Gehirn auch anschließend eine Baustelle, weil er nun zehn bis 15 Jahre in einer manchmal ziemlich absurden Welt gelebt hat.)
Aber vielleicht muss man es auch mal wie folgt sehen: Der Mann wird im Juni 29, kann vielleicht noch drei, vier Jahre auf höchstem Niveau kicken. Aubameyang ist kein Andrea Pirlo. Seine hauptsächliche Qualität ist das Tempo, weshalb man bei ihm sein Alter vielleicht eher spüren wird. Vier Jahre stand er beim AC Mailand unter Vertrag, wurde von dort aber wiederholt ausgeliehen (Dijon, Lille, Monaco). In Italien blieb er ohne ein Ligaspiel. Zum Wandervogel hat ihn auch der AC Mailand erzogen. Es folgten fünf Jahre in der französischen Liga. 2013 dann der Aufstieg in die Bundesliga und zum BVB.
Aber es gibt in Europa noch größere Vereine als den BVB, bessere und attraktivere Ligen als die Bundesliga, schönere Städte als Dortmund – das sage ich alles als Mitglied der Borussia. Beim BVB hat Aubameyang nun viereinhalb Jahr gekickt. Das ist im heutigen Geschäft fast schon lange. In dieser Zeit hat er 141 Tore in 213 Spielen geschossen und mitgeholfen, dass der BVB dreimal die Champions League erreichte und einmal den DFB-Pokal gewann. Der BVB (und seine Fans) haben also für ihr Geld etwas bekommen.
Nun eröffnet sich für Aubameyang die Möglichkeit, noch einige Jahre in der Premier League zu kicken, wo aktuell ein besserer Fußball als hierzulande gespielt wird. Mehr Geld gibt es da auch. Und London hat schon einiges zu bieten. Ein Profi hat vielleicht zehn, zwölf gute Jahre. Seine Berufszeit ist deutlich kürzer als die der meisten Leser dieses Beitrags. Dass man in diesen Jahren versucht, so viel wie möglich mitzunehmen, nicht nur Geld, sondern auch große Vereine, tolle Städte, neue Länder, ist für mich verständlich. So wie auch in den Fällen von Mats Hummels und Mario Götze: Nicht nur beim BVB spielen, sondern auch noch den anderen großen deutschen Verein in die eigene Biografie einfügen. Nicht nur Jürgen Klopp erleben, sondern auch Pep Guardiola (Götze). Oder Christoph Metzelder: Der war zwar in seinen drei Jahren bei Real Madrid nur Einwechselspieler, was er möglicherweise schon bei Vertragsunterzeichnung ahnte. Trotzdem war es vermutlich eine tolle Zeit: mit Spielern wie Ronaldo trainieren, einen Verein wie Real erleben, eine neue Sprache lernen, in eine neue Kultur eintauchen. Der Mann hat alles richtig gemacht.
Man empört sich darüber, dass Aubameyang einen Wechsel erzwingt, obwohl er doch noch im Sommer beim BVB bis 2021 verlängert hat. Und dies auch noch zu verbesserten Konditionen. Ja, glaubt denn irgendwer ernsthaft, dass die BVB-Führung damals davon ausging, der Spieler würde noch vier Jahre für den BVB kicken? Im Sommer 2021 ist Aubameyang 33 … Für den BVB ging es um eine möglichst hohe Ablöse im Falle eines Wechsels. Und Aubameyang ließ sich dies mit einer Gehaltserhöhung dotieren. Wenn der BVB nun 63,75 Mio. Euro für den Spieler kassiert, dann haben beide Parteien gewonnen. Transferüberschüsse zu erzielen gehört ja erklärtermaßen zur Politik des BVB. Bei Aubameyang beträgt er etwa 48 Mio., bei Dembélé waren es etwa 90 Mio. Euro (nach transfermarkt.de).
Der BVB hat keinen Grund zu jammern. Der Spieler Aubameyang und dessen Umfeld waren dem Verein bekannt, So wie dem BVB bekannt war, dass Ousmane Dembélé schon in Rennes Arbeitsverweigerung praktiziert hatte. Und Henrikh Mkhitaryan bei Schachtjor Donezk streikte, um einen Wechsel zum BVB zu forcieren.
Im Übrigen gibt es die Aubameyangs nicht nur im Profifußball. Arbeitsverweigerung, um während der Saison eine Freigabe zu erzwingen, gibt es auch im Amateurfußball. Im höherklassigen Amateurfußball hat das auch mit Beratern zu tun (die gibt es schon in der Westfalen- oder Oberliga), die jungen Menschen Flöhe ins Ohr setzen. Und u.a. mit dem Argument einer kurzen Berufskarriere arbeiten.
Nicht nur Fans wollen Verbesserungen
Ich will Aubameyangs Verhalten nicht gutheißen. Wenn SPOX-Redakteur Jochen Tittmar schreibt, die Art und Weise des Abgangs sei charakterlich unwürdig gewesen, hat er Recht. Einen Wechsel während der Saison zu erzwingen, geht gar nicht bei einem Spieler, der ein gutes Gehalt empfängt und ein Leistungsträger ist. (Ich kann es ein bisschen bei einem Spieler verstehen, der sich auf dem Abstellgleis fühlt.) Ansonsten kann kein Verein und kein Trainer die Saison vernünftig planen. (Was für den Verein, vor allem aber den Trainer zur Folge hat, dass der kurzfristige Erfolg mehr denn je zählt.) Aber was kann man dagegen machen? Wenn der Spieler nicht will, ist der Verein relativ machtlos. Abgesehen vom Schwänzen des Trainings (bei den bezahlten Amateuren reicht man dann eine AU ein), lässt sich „Arbeitsverweigerung“ schlecht nachweisen. Redet der Verein den Charakter des Spielers und seine fußballerischen Qualitäten in die Tonne, senkt er die zu erzielende Ablösesumme.
Aber die Debatte wird mir etwas zu bigott geführt. Fans fordern Verstärkungen, häufig auch kostspielige. Was bedeutet, dass nun für andere Spieler kein Platz mehr im Kader ist. Aber wenn Spieler den eigenen Verein verlassen, weil ein anderer Verein ebenfalls nach Verstärkungen sucht, ist das Geschrei groß. Hätte Messi in den letzten Wochen beim FC Barcelona Arbeitsverweigerung praktiziert, um einen Wechsel zum BVB zu erzwingen, hätte sich kein BVB-Fan darüber empört. Die Vorfreude auf Messi hätte sämtliche Bedenken überstrahlt.
Uli Hoeneß behauptet, beim FC Bayern hätte es so etwas nicht gegeben. Der FC Bayern hätte einen Dembélé nicht ziehen lassen. Mag sein. Aber auch beim FC Bayern haben die Stars mehr Macht, als für den Klub gesund ist. Wenn Ribéry, Robben, Lewandowski und Müller sich über den Trainer beklagen und ihre Unzufriedenheit durch Lustlosigkeit kundtun, ist der Trainer weg. (Wenn er nicht Jupp Heynckes oder Pep Guardiola heißt, sondern nur Louis van Gaal oder Carlo Ancelotti.) Schließlich kosten diese Spieler addiert deutlich mehr als der Übungsleiter. Und diese Kosten müssen sich durch Leistung refinanzieren. Der FC Bayern mag im Umgang mit seinen Spielern vieles besser machen als andere Vereine. Aber auch beim FC Bayern verfügen einige Spieler über ein Erpressungspotenzial.
Von den Herren Profis wünsche ich mir nur, dass sie mit diesem blöden Küssen des Vereinswappens aufhören. Das weckt bei den Fans nur falsche und unberechtigte Erwartungen.
Von Dietrich Schulze-Marmeling erscheint demnächst mit Peter Hyballa und Hans-Dieter te Poel das Buch mit dem Titel „‚Trainer, wann spielen wir?‘ Spielformen für den Fußball von heute und morgen“ (Verlag Die Werkstatt, Frühjahr 2018). Mehr Infos: http://www.werkstatt-verlag.de/?q=9783730703762