Am 1. Januar dieses Jahres meldete der westfälische Oberligist FC Gütersloh 2000 Insolvenz an. Für viele war dies ein Beleg dafür, was im Verhältnis des „großen Fußballs“ zum „Amateurfußball“ falschläuft. So heißt es in einer Erklärung des FC Eintracht Rheine, der ebenfalls in der Oberliga Westfalen spielt: „Der FC Gütersloh ist leider nicht der erste Oberligist, der diesen bitteren Schritt in der jüngeren Vergangenheit gehen muss: 2015 meldete der VfB Hüls die Zahlungsunfähigkeit an und zog sich aus der Oberliga Westfalen zurück. Mitte des letzten Jahres ging der TuS Lingen in der Oberliga Niedersachsen den gleichen Weg. Es ist zu befürchten, dass zukünftig weitere Vereine auf der Strecke bleiben und unter der finanziellen Last eines ambitionierten Amateurvereins kollabieren. Während im internationalen Profifußball hohe Millionenbeträge für durchschnittliche Fußballer (Julian Draxlers Transfer zu Paris als aktueller Gipfel des Wahnsinns) gezahlt werden, TV-Gelder in schwindelerregende Höhen steigen, Millionen von Zuschauern in die Multi-Funktionsarenen pilgern, bleibt der Amateursport brutal auf der Strecke. Der Zuschauerrückgang in der gesamten Oberliga ist erschreckend, im Schnitt kommen gerade mal 271 Zuschauer zu einer Oberliga-Begegnung (Fupa). Dazu tragen auch die Anstoßzeiten in der ersten Bundesliga bei, in der kommenden Spielzeit gibt es neben dem 17:30, 15:30 nun auch ein 13:30 Uhr-Spiel am Sonntag – Es gab mal Zeiten, da gehörte der Sonntag dem Amateursport. Hinzu kommen Verbandsabgaben und Auflagen, die viele Vereine kaum noch schultern können, denn auch ehrenamtliches Personal (nicht nur in der Vorstandstätigkeit) zu finden, gestaltet sich zunehmend schwierig. Wenn sich diese Entwicklung weiter fortsetzt, dann werden wir uns wohl oder übel an solche Meldungen wie aus Gütersloh gewöhnen müssen. Jeder kann für sich selbst entscheiden, ob er das gut findet oder nicht.“
An dieser Erklärung ist wenig auszusetzen. Sie gibt die Tendenz korrekt wieder. Und die Klagen sind berechtigt. (Im Übrigen könnte man auch noch die Anstoßzeiten der 3. Liga hinzufügen, die unter der Obhut des DFB kickt. 14:00 Uhr, für einen Verein wie Preußen Münster, aber auch für die Amateurvereine in Münster und Umgebung ganz schlecht, denn rund um diese Zeit sind noch viele Jugendtrainer und Jugendmannschaften selber im Spielbetrieb involviert.) Trotzdem taugt der FC Gütersloh nur eingeschränkt für die Erörterung der Probleme des Amateurfußballs im Allgemeinen und der „ambitionierten Amateurvereine“ im Besonderen. Wobei der Begriff „ambitionierte Amateurvereine“ ja schon andeutet, dass man eigentlich mehr als nur ein Amateurverein sein will. Und dies ist vermutlich ein Teil des Problems.
Gütersloh ist eine Stadt mit Fußballtradition, die mit der DJK und dem SVA sogar zeitweise gleich zwei Regionalligisten (damals 2. Liga) stellte. 1978 fusionierten die beiden Klubs zum FC Gütersloh, der dann in den 1980ern mit einem „Amateurskandal“ für Schlagzeilen sorgte, als er in der damals höchsten Amateurliga (Oberliga) einigen Akteuren bundesligataugliche Gehälter zahlte. Der FCG wurde zum Zwangsabstieg verurteilt, der dann aber in einen Punktabzug umgewandelt wurde. 2000 war der Klub restlos pleite, wurde aufgelöst und als FC Gütersloh 2000 neu gegründet. 2014 stand auch der neue FCG vor der Insolvenz, weil man die Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt hatte. Finanzielle Probleme wie ein gewisser finanzieller und sportlicher Übermut ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Gütersloher Fußballs.
Der FCG ist in einem Raum zuhause, der zwar nicht besonders dicht bevölkert ist (die unten aufgelisteten Städte und Gemeinden ergeben unterm Strich eine Bevölkerung von ca. 1,1 Mio.), in dem sich aber eine hohe Zahl von Vereinen der 6. Liga (Westfalenliga) bis 2. Bundesliga konzentriert. Vermutlich eine zu hohe Zahl, denn bereits in der Westfalenliga sind Jahres-Budgets von deutlich über 100.000 Euro keine Seltenheit. Bei einem Zuschauerzuspruch, der bei vielen Klubs die 100 kaum überschreitet.
Auf eine Bevölkerung von ca. 1,1 Mio. kommen ein Zweitligist (Arminia Bielefeld), ein Drittligist (SC Paderborn), vier Regionalligisten (RW Ahlen, SV Rödinghausen, SC Verl, SC Wiedenbrück), sechs Oberligisten (Bielefeld II, FC Gütersloh, Hammer SV, SV Lippstadt 08, Paderborn II, Westfalia Rhynern) und sechs Westfalenligisten (Viktoria Clarholz, SC Delbrück, SC Herford, SC Spexard, Rödinghausen II, Westerkotten).
Betrachtet man die Größe ihrer Standorte, dann spielen, salopp gesagt, einige Vereine einige Klassen zu hoch: Clarholz (6.000), Spexard (9.000), Rödinghausen (10.000), Verl (25.000), Rhynern (18.000), Westerkotten (4.200). Wobei Rhynern zu Hamm gehört, vom Stadtkern aber relativ weit entfernt liegt und ein starkes Eigenleben führt. Im Falle der Hammer SV (180.000) könnte es ein, zwei Ligen höher sein, im Falle von Gütersloh (98.000) vielleicht eine. Dass sich das kleine Rödinghausen eine Regionalliga- und eine Westfalenligamannschaft leisten kann, ist einem extrem spendablen Mäzen geschuldet. Hier spielt man schon heute Bundesliga. Seinen VIPs bietet er „78 Business-Seats im Außenbereich der neuen Tribüne“ an, wo sie die „einzigartige Stimmung hautnah im Herzen des Häcker Wiehenstadions erleben“. Weiter lesen wir auf der Homepage: „Mit unserem VIP-Angebot haben Sie die Möglichkeit in exklusiver Atmosphäre nicht nur schönen Fußball, sondern auch bestes Catering zu genießen. Fußball – Live dabei und fast mittendrin! UNSER INDIVIDUELLER SERVICE FÜR SIE: 78 Komfort-Sitzplätze mit bester Sicht auf das Spielfeld, Zugang zur VIP-Lounge im Häcker Wiehenstadion 1h vor dem Spiel bis 1h nach Spielende, Reservierter Sitzplatz in der VIP-Lounge, Hochwertiges kalt-warmes Buffet inklusive Getränke, Informationen rund ums Spiel auf den Monitoren, Übertragung von Fußballsendungen (Pay- und Free-TV) auf den Monitoren, Limitierte Parkplätze.“ Nein, wir befinden uns nicht auf der Homepage eines Bundesligisten, sondern eines Viertligisten.
Wir haben es also mit einem Raum zu tun, der auf mittlerem Niveau (Westfalenliga bis Regionalliga) überfüllt ist, weshalb man in Gütersloh und Wiedenbrück schon mal über eine Fusion nachdachte (und eine solche 1985 in Paderborn vollzog, s.u.). Unterhalb der 3. Liga ist es sehr schwierig, sich von der Konkurrenz abzusetzen. Zumal in der Regionalliga, wo neben der Nachbarschaft auch noch Vereine wie Rot-Weiss Essen, Alemannia Aachen, Rot-Weiß Oberhausen und der Wuppertaler SV mitreden, die sich hier deutlich unterbewertet fühlen. Das Risiko, viel zu investieren, aber am Ende der Saison trotzdem mit leeren Hände dazustehen, ist also extrem hoch. Man könnte auch sagen: In der Region wird zu viel geträumt – und dies auch noch zu dicht nebeneinander. Als Gütersloh in der 2. Liga spielte, gab es die Konkurrenz aus Verl, Rödinghausen, Wiedenbrück und Paderborn noch nicht. Das Problem des FCG sind nicht nur die Sonntagsspiele, sondern auch neue Player, die über bessere finanzielle Möglichkeiten verfügen. So wie einst der FC Gütersloh mal mehr Kohle hatte als der Rest der Region, ausgenommen Arminia Bielefeld. Dann kam der TuS Schloss-Neuhaus mit seinem Mäzen Josef Peitz (der TuS fusionierte 1985 mit dem SC Paderborn zum TuS Paderborn-Neuhaus, aus dem 1997 der SC Paderborn 07 wurde), als nächstes der SC Verl usw.
Vor einigen Jahren hatte ich familiär bedingt das Vergnügen, ein wenig die Westfalenliga zu bereisen. Damals gab es hier noch einen weiteren ambitionierten Player, den in einem Vorort von Bielefeld beheimateten TuS Dornberg. An einem Mittwochabend spielte hier der 1. FC Gievenbeck vor, ein Stadtteilverein aus Münster mit vorzüglicher Jugendarbeit und einer ersten Mannschaft, deren Kader zu einem erheblichen Teil bereits in der Jugend dort gekickt hat. Der Haushalt der Gastgeber betrug in etwa das Zehnfache des Gievenbeckers. Dornberg konnte an diesem Abend sein Meisterstück bauen und damit den Aufstieg in die Oberliga perfekt machen. Weniger als 80 Zuschauer wollten dabei sein, obwohl es keine Konkurrenz durch Champions-League-Spiele gab. Gespielt wurde auf einem Kunstrasen. Werbebanden gab es nicht, nur zwei Werbetransparente der örtlichen Sparkasse am Fangzaun hinter einem der Tore. Während der Sportplatz eher dem eines B- oder C-Ligisten ähnelte, war die Players Lounge (sie hieß wirklich so) vom Feinsten: Ledersesseln, riesige Fernseher etc. Möglich gemacht hatte diesen sportlichen und sonstigen Luxus Hartmut Ostrowski, Ex-Vorstandschef der Bertelsmann AG. Ostrowski zog sich später zurück, in der Saison 2016/17 tritt Dornberg in der Bezirksliga an.
Einige Monate zuvor spielte Gievenbeck in Gütersloh. Das Spiel fand an einem Freitagabend statt, und mir wurde empfohlen, unbedingt dorthin zu fahren. Dies sei der absolute Auswärtshöhepunkt der Saison. Ein richtiges Stadion mit großen Flutlichtmästen und so. Man hatte mir nicht zu viel versprochen. Die Gastgeber hatten mächtig aufgefahren. Für die ca. 800 Zuschauer wurde ein Security-Unternehmen engagiert, das mich kontrollierte, als würde ich ein Bundesligastadion betreten. Und dann noch Hamm. Während des Spiels flitzten ständig in Schwarz und mit weißer Schürze bekleidete Servierinnen an mir vorbei, auf ihren Tabletts frisch gezapfte Pils. Ich dachte zunächst, hier würde irgendwo noch eine andere Veranstaltung stattfinden. Aber nein, das Ziel der fleißigen Damen war der VIP-Raum unter der mächtigen Haupttribüne, auf der sich u.a. Laurenz Meyer, der Ex-Generalsekretär der CDU, auf einem gepolsterten Sitz lümmelte. Das Spiel sahen ca. 250, die auch hier von einer professionellen Security betreut wurden.
Warum ich das hier schreibe? Weil vielleicht ein Problem des „Amateurfußballs“ ist, dass er ständig den „großen Fußball“ kopieren will, einschließlich dessen Begleitmusik, ohne hierfür die Voraussetzungen zu besitzen. Wir beklagen (zu Recht) das Auseinanderreißen des Fußballs, die immer größere Kluft zwischen dem „großen“, „mittleren“ und „kleinen“ Fußball, aber wir ziehen daraus keine Konsequenzen.
In meinem Heimatklub in einem Ort von 10.000 Einwohnern haben wir vor 15 Jahren, da gab es noch keine Sonntagsspiele, die Parole ausgegeben: „Lieber professionelle Amateure als amateurhafte Profis.“ Wir hatten erkannt, dass sich das Freizeitverhalten verändert hatte, dass die Zeiten, in denen 1.000 Zuschauer zu einem Nachbarschaftsderby in der Kreisliga kamen, Vergangenheit waren. Der Fokus wurde nun auf die Nachwuchsarbeit gelegt. Mit dem Ziel, so gut auszubilden, dass auch beim Weggang von Spielern zu größeren Vereinen, was heute bereits ab der D-Jugend stattfindet, genügend Potenzial übrig bleibt, um eine schlagkräftige Mannschaft zu stellen. Der Verein aus unserer Kreisstadt hat uns dafür ausgelacht und prahlte gerne mit den Summen, die er seinen Spielern zahlte. Tolle Stories kursierten, etwa die von dem Funktionär, von Beruf Zahnarzt, der mit dem Bohrer in der Hand unter seinen Patienten um Sponsoren warb. Oder von dem Restaurant, in dessen Separee hinter zugezogenem Vorhang Verhandlungen mit Spielern geführt wurden. Oh, was sind wir wichtig!
Heute spielt dieser Verein genau eine Liga höher (Landesliga) als unser Verein, ist allerdings vom Abstieg bedroht, während wir in Richtung Landesliga schielen. Der Zuschauerzuspruch ist in etwa identisch. Während in unserem Verein – trotz regelmäßiger Abgänge zu größeren Vereinen – C- bis A-Jugend in der Bezirksliga spielen, ist der Verein aus der Kreisstadt mit keiner Nachwuchsmannschaft überkreislich vertreten. Nun lese ich in der Zeitung, dass man sich dem einst belächelten Modell meines Vereins annähern will…
Natürlich stieß diese Politik auch in unseren eigenen Reihen auf Widerspruch. Ich erinnere mich noch an den Obmann, der Spielern Geld geben wollte, die gar nicht danach gefragt hatten. Das gehöre doch einfach dazu… Das Gequatsche über Ablösesummen, Prämien und sonstige Zuwendungen ist bis in die C-Liga hinein schick. Dann sollte ein Spieler geholt werden, der gefühlt bei bereits 23 Vereinen gekickt hatte, zeitweise sogar richtig gut, aber das war schon Jahre her. Aber der Spieler hatte immer noch einen Namen, die Zeitungen hätten wohl berichtet, hätte er bei uns angedockt. Der Spieler wurde uns wie Sauerbier angeboten, weil sein bisheriger Finanzier, der wenig später mal wieder in den Knast wanderte, ihn nicht mehr bezahlen konnte. Ich habe im Amateurfußball so viele lächerliche Stories erlebt, mit ihnen könnte man problemlos ein Buch füllen. Und häufig ging es darum, mal am großen Rad zu drehen, so zu ticken wie die Großen, wie Reiner Calmund oder Uli Hoeneß.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin kein Anhänger einer Amateur-Ideologie. Ich habe keine prinzipiellen Einwände gegen Zahlungen auch im „Amateurfußball“. Aber man sollte nicht permanent versuchen, den „großen Fußball“ zu kopieren. Denn eine Kopie ist halt nur eine Kopie. Und manchmal mutet das, was da veranstaltet wird, ziemlich skurril und lächerlich an. Und anstatt immer nur eine Entwicklung zu beklagen, die sich bereits seit Dekaden abzeichnet und nicht aufzuhalten ist, sollte man stärker an einer Identität arbeiten, die auch einem ambitionierten Amateurverein von den Dingen, die auf der großen Bühne passieren, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit sichert.
Im Übrigen gehe ich nicht davon aus, dass der DFB dem „Amateurfußball“ in irgendeiner Weise helfen wird. Der wird nicht einmal der 3. Liga helfen, obwohl sie in seine Zuständigkeit fällt. Die Milchkuh des Verbands ist die Nationalelf, und hier spielen keine Akteure vom FC Gütersloh. Hier ist der DFB auf ein gutes Verhältnis zu den Lieferanten angewiesen, ansonsten machen diese sich irgendwann vom Acker. Der Verband wird seit einigen Jahren selber abgehängt und reagiert darauf mit Opportunismus: siehe Reform des DFB-Pokals, wettbewerbsmäßig die letzte Klammer zwischen Oben und Unten. Die Grindels und Co. möchten aber beim großen Spiel weiterhin dabei sein, als Advokat des Amateurfußballs schaffst du es bestenfalls ins Regionalfernsehen. (Grindels Vorgänger Niersbach hat kaum einen Hehl daraus gemacht, dass ihn nur die Nationalmannschaft und der Franz interessieren.) Mehr als nette, aber letztlich substanzlose Imagekampagnen kann man nicht erwarten. Die Richtung des Balles wird nicht in der DFB-Zentrale bestimmt.