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Nach der EM hatte ich ein bisschen den Eindruck, als würden manche den Finalsieg der Squadra Azurra über die Three Lions als Schlag gegen eine „unkultivierte“ Nation und deren Rassismus feiern. Beim Elfmeterschießen hatten drei schwarze englische Spieler „versagt“ – Rashford, Sancho, Sako. Anschließend wurden sie im Netz mit rassistischen Schmähungen überschüttet.

 

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Mario Balotelli, inzwischen für AC Monza aktiv,
wurde in Italien regelmäßig Opfer rassistischer
Beleidigungen. (Foto: Imago)

Aber leider ist es so, dass Rassismus im Fußball aller europäischen Länder ein Problem ist. Italien ist hier keine Ausnahme. Im Gegenteil. Vermutlich ergeht es dort schwarzen Spielern noch erheblich schlechter als in England.

Die pandemiebedingt leeren Ränge in den italienischen Stadien waren ein Segen für schwarze Spieler. The Economist berichtete über eine Studie von Fabrizio Collela, Doktorand der Wirtschaftswissenschaft an der Universität Lausanne. Diese kam zu dem Ergebnis, dass weiße Spieler in den leeren Stadien etwas schlechter performten als in vollen. Im Gegensatz dazu verbesserten sich die Leistungen ihrer nicht-weißen Kollegen signifikant, wenn keine Fans dabei waren und mit ihnen auch die rassistischen Schmähungen entfielen. Collela erstellte ein mathematisches Modell, das versuchte, diese Unterschiede unter Verwendung anderer Variablen zu bewerten – wie beispielsweise der Nationalität der Spieler und der Gesamtqualität ihres Teams. Aber keine dieser Variablen beseitigte den Einfluss der Hautfarbe. Der Effekt war abhängig davon, wie dunkel die Hautfarbe des Spielers war.

Auch gab es Stimmen, die den Europameister Italien als Team „alter weißer Männer“ feierten. Die Squadra Azurra spielte großen Fußball, bediente aber auch eine weniger nette Gesinnung.

Entsprechend gespalten war ich vor dem EM-Finale. Hier England mit einem Team, das stark von der Einwanderungsgeschichte des Landes geprägt war – aber mit einem Premier Boris Johnson und rassistischen Fans. Dort Italien mit wunderbarem Fußball und Mitglied der EU – aber mit einem komplett „weißen Team“. Und einem Trainer, der seinen Vorgänger Antonio Conte dafür gescholten hatte, dass dieser Spieler mit „Migrationshintergrund“ nominiert hatte. Für Roberto Mancini hatten im Ausland geborene Spieler in der Sqadra Azurra nichts zu suchen: „Die italienische Nationalelf muss italienisch sein. Ich denke, dass es ein italienischer Spieler verdient, in der Nationalelf zu spielen, während derjenige, der nicht in Italien geboren ist, auch wenn er italienische Verwandte hat, es nicht verdient.“ Conte verteidigte seine Politik: „Die besten Spieler müssen in der Nationalmannschaft spielen. Ich bin nicht der erste und ich werde auch nicht der letzte Nationaltrainer sein, der im Ausland geborene Profis nominiert.“ Stimmt: 2006 wurde Italien mit dem in Argentinien geborenen Mauro Camoranesi Weltmeister. Und als Italien 2021 Europameister wurde, standen mit Jorginho und Emerson zwei Spieler auf dem Rasen, die das Licht der Welt in Brasilien erblickt hatten. Dritter im Bunde war Rafael Tolói, der bei der EM viermal auflief. Zum Glück für Italien war Mancini sich nicht treu geblieben …
 

„Diesen Neger und Juden wollen wir nicht“

Rassismus und Antisemitismus haben im italienischen Fußball eine lange Tradition. Im Folgenden eine unvollständige Liste rassistischer und antisemitischer Vorfälle:

1986 kommt der Israeli und Jude Ronnie Rosenthal von Maccabi Haifa nach Europa, wo er zunächst für Brügge und Lüttich spielt. Anschließend nimmt ihn Udinese Calcio unter Vertrag. Gespielt hat Rosenthal für Udinese nie. Nach der Verkündigung seiner Verpflichtung erhält der Vorstand Anrufe von Fans, in welchen diese unmissverständlich ihre Ablehnung des Juden bekunden. Nachdem Rechtsextremisten nächstens das Stadion mit antisemitischen Parolen wie „Juden raus!“ und „Ab in den Ofen!“ beschmiert hatten, annulliert die Klub-Führung am drauffolgenden Tag Rosenthals Vertrag. Als offizielle Begründung muss „mangelnde Fitness“ herhalten. Rosenthal geht zum FC Liverpool, mit dem er 1990 Meister wird.

1992 wechselt der Niederländer Aron Winter von Ajax Amsterdam zu Lazio Rom. Als die Verpflichtung des schwarzen Nationalspielers bekannt wird, gehen Lazio-Fans auf die Barrikaden und schreiben an Mauern und Hauswänden: „Winter raus“ (in deutscher Sprache), „Diesen Neger und Juden wollen wir nicht“, „Wir werden ihn verfolgen, bis er von hier abhaut.“ Winter damals: „Ich vermute, dass die Skinheads etwas gegen meine schwarze Hautfarbe haben und wegen meines Vornamens annehmen, dass ich Jude bin – letzteres stimmt gar nicht.“ Roms Bürgermeister schickt Winter einen Brief ins schwedische EM-Quartier, in dem er sein Bedauern über die Vorfälle mitteilt. Es sei nur eine Minderheit Unbelehrbarer gewesen, die gegen die Verpflichtung des Niederländers surinamischer Abstammung protestiert habe. Hier ist der Wunsch Vater des Gedankens. Denn die Proteste gegen Winter sind nur der Auftakt einer neuen Welle von Rassismus und Antisemitismus in der Hauptstadt. Winter wird auch weiterhin belästigt. Im November 1992 veröffentlicht das Magazin Espresso eine Umfrage, der zufolge für ein gutes Drittel der Italiener Juden „keine richtigen Italiener“ sind. 41,8 % meinen, die Juden sollten endlich aufhören, „die Holocaust-Opfer zu spielen“. 56,9 % unterstellen ihnen „ein besonderes Verhältnis zum Geld“, 10,5 % wollen sie des Landes verweisen.

In der Saison 1992/93 prangert auch Ruud Gullit, Europas Fußballer des Jahres 1987 und beim AC Mailand unter Vertrag, den Rassismus in der Serie A an. Wie sein Landsmann Winter war auch Gullit, dessen Vater aus Surinam stammt, wiederholt Zielscheibe rassistischer Attacken geworden. Gullit spricht sich für Spielabbrüche bei diskriminierenden Beleidigungen aus.

Einige Jahre später thematisiert auch Paul Ince, der erste schwarze Kapitän der englischen Nationalmannschaft und von 1995 bis 1997 für Inter Mailand am Ball, den Rassismus in den italienischen Stadien.
 

Immer wieder Lazio

1998 zeigen Fans von Lazio Rom beim Stadtderby gegen AS Rom ein Banner, auf dem geschrieben steht: „Auschwitz ist euer Land. Die Öfen sind eure Heimat.“ Im Januar 2005, erneut beim Stadtderby, zeigt Paolo Di Canio, Kapitän von Lazio Rom, den faschistischen „römischen Gruß“. Für die zahlreichen rechtsextremen Fans des Klubs ist AS „jüdisch“. Von 1928 bis 1934 und 1951 bis 1958 war der Präsident der Roma mit Renato Sacerdoti ein italienischer Jude. Di Canio bezeichnet sich selbst als Neofaschist und rechtsradikal. Der italienische Verband verurteilt Di Canio zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro. Der Lazio-Kapitän akzeptiert das Urteil der Disziplinarkommission nicht und wiederholt den Faschisten-Gruß bei den folgenden Begegnungen gegen AS Livorno und Juventus Turin. Die rechtsradikale Ultra-Gruppierung Irriducibili Lazio organisiert eine Demo vor dem Sitz des Verbands, drei Fan-Vereinigungen sammeln Geld für die Begleichung der Geldstrafe. Der Faschist durfte bis September 2016 bei Sky Sport kommentieren. Er wurde entlassen, nachdem im Internet Bilder auftauchten, die ein Tattoo auf seinem rechten Oberarm zeigten. Dort stand „Dux“ geschrieben, die lateinische Form für „Duce“ („Führer“), wie Benito Mussolini genannt wurde.

Als am 27. November 2005 in der Serie A der FC Messina Inter Mailand empfängt, begleiten Inter-Fans jeden Ballkontakt von Marco Zoro mit Affengeheul, Buh-Rufen und rassistischen Beschimpfungen wie „dreckiger Neger“. Messinas Abwehrspieler stammt von der Elfenbeinküste. In der 66. Minute schnappt sich Zoro den Spielball und verlässt mit diesem das Spielfeld. Teamkollegen und gegnerische Spieler, namentlich Adriano, überreden ihn zur Rückkehr auf den Rasen. Die rassistischen Attacken gegen Zoro sind in diesen Wochen kein Einzelfall. Am folgenden Spieltag werden sämtliche Spiele der italienischen Eliteklasse mit einer fünfminütigen Verspätung angepfiffen – aus Protest gegen den Rassismus und Solidarität mit Zoro und anderen schwarzen Spielern. Außerdem wird in den Stadien ein Spruchband mit der Aufschrift „Stoppt den Rassismus“ ausgerollt. Helfen tut dies nicht. Als Messina am 2. April 2006 zum Rückrundenspiel bei Inter aufläuft, wird Marco Zoro erneut mit rassistischen Schmährufen bedacht.
 

Rassistische Beleidigungen gegen Balotelli, Boateng und andere

Als Italien 2006 Weltmeister wird, bezeichnet Roberto Calderoli, Vizepräsident des Senats, den Finalgegner Frankreich als „Mannschaft ohne Identität“. Die Equipe Tricolore habe „um der Ergebnisse willen die eigene Identität verloren, indem sie Neger, Muslime und Kommunisten aufgestellt hat“. Der Lega-Politiker und Rassist dient später noch dem Kabinett von Silvio Berlusconi als Minister für Vereinfachungen in der Gesetzgebung. 2013 behauptet Calderoli, Integrationsministerin Cécile Kyenge, die erste italienische Ministerin afrikanischer Abstammung, habe „Ähnlichkeit mit einem Orang-Utan“. Trotz dieser rassistischen Äußerung bleibt Calderoli Vizepräsident des Senats.

Im April 2009 wird dann ein Inter-Spieler Opfer rassistischer Schmähungen: Mario Balotelli, Sohn ghanaischer Immigranten, der 2008 die italienische Staatsbürgerschaft erworben hat. An dem Stürmer und italienischen Nationalspieler arbeiten sich die Fans von Juventus Turin ab. Im Trikot der Squadra Azurra wird Balotelli von den eigenen Fans wiederholt rassistisch beleidigt.

Im Januar 2013 wird der für den AC Mailand spielende Kevin-Prince Boateng bei einem Freundschaftsspiel gegen den unterklassigen Klub Pro Patria aus der lombardischen Kleinstadt Busto Arsizio von dessen Fans rassistisch beleidigt. Boateng schießt den Ball wütend auf die Rassisten und verlässt den Platz. Seine Teamkollegen gehen mit ihm.

Im Mai 2014 werden zwei schwarze Spieler des AC Mailand, Kévin Constant, Franzose mit guineischen Wurzeln, und der Niederländer Nigel de Jong von Atalanta Bergamo-Fans mit Bananen beworfen.

Ebenfalls 2014 schimpft Carlo Tavecchio, Präsident des italienischen Fußballverbands Federazione Italiana Giuoco Calcio (FIGC), nach Italien kämen Spieler, die „vorher Bananen gegessen“ hätten. Die Uefa sperrt Tavecchio für sechs Monate, aber der FIGC sitzt er noch bis Ende 2017 vor. Er tritt zurück, nachdem sich Italien nicht für die WM 2018 qualifizieren kann.

Als Mario Balotelli 2014 zum FC Liverpool wechselt, werden im Netz mehr als 8.000 beleidigende Kommentare gezählt. Über 4.000 dieser sind rassistischer Natur.
 

Affenlaute gegen Kean und Lukaku

Im Mai 2017 wird Medhi Benatia, marokkanischer Nationalspieler und Innenverteidiger von Juventus Turin, von einem Mitarbeiter des staatlichen Senders RAI als „Scheiß Marokkaner“ beschimpft. Benatia bricht daraufhin das TV-Interview ab.

Im Oktober 2017 wird die Südkurve des Olympiastadions in Rom mit hunderten von Fotos von Anne Frank beklebt. Eine Montage zeigt Anne Frank im gelb-roten Trikot. Weitere Sticker waren mit den Aufschriften "Romanista Ebreo" (Roma-Fan Jude) und "Romanista Frocio" (Schwuchtel) versehen. Die Südkurve ist traditionell die Heimat der AS-Fans, während sich die Lazio-Fans in der Nordkurve versammeln. Gegen Cagliari ist die Nordkurve allerdings gesperrt – wegen rassistischer Gesänge beim vorausgegangenen Heimspiel. Der Klub hatte daraufhin die geniale Idee, die Südkurve für die eigenen Ultras zu öffnen.

Im Dezember 2018 wird der senegalesische Nationalspieler Kalidou Koulibaly bei der Begegnung des SSC Neapel gegen Inter Mailand von den Inter-Fans mit Affenlauten und anderen Pöbeleien bedacht. In der 80. Minute sieht Koulibaly nach einem Foul die Gelbe Karte. Als er der Entscheidung des Schiedsrichters applaudiert, zieht dieser Gelb-Rot. Napoli-Coach Carlo Ancelotti verteidigt seinen Verteidiger: „Es tut mir sehr leid für Koulibaly. Wir haben dreimal nachgefragt und das Schiedsrichtergespann aufgefordert, die Partie zu unterbrechen. Beim nächsten Mal hören wir einfach auf zu spielen, auch wenn wir dadurch das Spiel verlieren. Uns wird immer wieder gesagt, dass Partien unterbrochen werden können. Aber wann? Erst nach vier- oder fünf Durchsagen?“

Im April 2019 wird der 19-jährige Moise Kean, italienischer Nationalspieler mit ivorischen Wurzeln, beim Spiel seines Teams Juventus Turin gegen US Cagliari von den Fans der Sarden laufend rassistisch beleidigt. Kean trifft für „Juve“ und jubelt anschließend demonstrativ vor der gegnerischen Kurve. Was sein Mitspieler Leonardo Bonuccio nicht gut findet. Rassisten ärgert man nicht. Kean trage zur Hälfte die Schuld an den Schmähungen. Cagliari wird vom Sportgericht freigesprochen, weil die rassistischen Beleidigungen „objektiv“ nur von „geringer Relevanz“ seien.

Das nächste Opfer der Cagliari-Fans ist Inter-Stürmer Romelu Lukaku. Im September 2019 wird Lukaku nach seinem Tor gegen die Sarden von den gegnerischen Fans mit Affenlauten beleidigt. Die Eltern des belgischen Nationalspielers stammen aus Zaire (heute DR Kongo). Anschließend fordert Lukaku ein stärkeres Engagement gegen Rassismus. Was die Inter-Ultras aus der Corva Nord nicht angemessen finden. Anstatt sich mit ihrem Stürmer zu solidarisieren, versuchen sie Lukaku zu erklären, dass Affenlaute gegen schwarze Spieler kein Rassismus seien. TV-Kommentator Luciano Passirani kennt nur ein Mittel, um den bulligen Stürmer zu stoppen: Man möge ihm zehn Bananen gegen.

Nur wenige Wochen später hat die Serie A ihren nächsten rassistischen Eklat. Beim Spiel Atalanta Bergamo gegen AC Florenz wird der aus Brasilien stammende Fiorentina-Linksverteidiger Dalbert Henrique rassistisch beleidigt. Das Spiel wird für einige Minuten unterbrochen.
 

Mit Affen gegen Rassismus

Im November 2019 wird Mario Balotelli, nun für den SC Brescia am Ball, von Verona-Fans rassistisch beleidigt. Kurz nach der Halbzeitpause drischt Balotelli den Ball voller Wut in die Fankurve von Hellas. Balotelli will das Feld verlassen. Das Spiel wird für zehn Minuten unterbrochen. Balotelli macht weiter und erzielt später den Treffer zum 2:1-Sieg von Brescia.

Einen Monat später startet die Serie A eine Anti-Rassismus-Kampagne – mit einem Bild des Malers Simone Fugazzotto, das drei Affenköpfe mit unterschiedlichen Farben zeigt … Das internationale Anti-Diskriminierungsnetzwerk FARE (Football Against Racism in Europe) bezeichnet die Kampagne als „makabren Witz". In ihrem Tweet heißt es weiter: „Wieder einmal macht der italienische Fußball die Welt sprachlos. Es ist schwer zu begreifen, was sich die Serie A dabei gedacht hat. Wen haben sie konsultiert?" Piara Powar, Vorstandschef von FARE, sagt der Deutschen Welle, man könne die Serie A im Kampf gegen Rassismus nicht mehr ernst nehmen: "Wir wissen, dass einige Spieler, einige Sponsoren und immer mehr Fans und Fernsehzuschauer die Serie A bereits aufgegeben haben." Die Affen-Plakataktion werde die Situation in Italien eher verschärfen, weil eine wirkliche Kampagne, echtes Engagement und richtige Erziehung weiter fehlten. „Es ist ein Teufelskreis, der sich selbst verstärkt. Und es gibt keine internationalen Konsequenzen, niemanden, der sie zur Verantwortung zieht."
 

Italien und der Kniefall

Anfang Juni, kurz vor dem Anpfiff der EM 2021, berichtet der Corriere della Sera, dass sich der 20 Jahre alte Seid Visin, der äthiopische Wurzeln hat, das Leben genommen hat. Visin war ein ehemaliger Nachwuchsspieler des AC Mailand. 2019 hatte er an Freunde und seinen Physiotherapeuten einen Brief geschrieben, indem er sich bitterlich über den Rassismus in Italien beklagte (und der vom Corriere della Sera abgedruckt wurde):

"Es scheint, als ob auf wundersame Weise alles auf den Kopf gestellt wurde, als ob der Winter ohne Vorwarnung an einem klaren Frühlingstag mit extremer Heftigkeit und Vehemenz über mich hereingebrochen wäre. Wo auch immer ich hingehe, wo auch immer ich bin, spüre ich die Last der skeptischen, vorurteilsbehafteten, angewiderten und verängstigten Blicke der Menschen auf meinen Schultern wie einen Felsbrocken. Vor einigen Monaten habe ich einen Job gefunden, den ich aufgeben musste, weil zu viele Menschen, vor allem ältere, sich weigerten, von mir bedient zu werden. Und als ob das nicht schon genug wäre, als ob ich mich nicht schon unwohl fühlte, gaben sie mir auch noch die Schuld daran, dass viele junge (weiße) Italiener keine Arbeit finden konnten.

Nach dieser Erfahrung veränderte sich etwas in mir: Es war, als ob in meinem Kopf unbewusste Automatismen entstanden waren, durch die ich in der Öffentlichkeit, in der Gesellschaft, anders auftrat, als ich wirklich bin; als ob ich mich schämte, schwarz zu sein, als ob ich Angst hatte, mit einem Einwanderer verwechselt zu werden, als ob ich den Menschen, die mich nicht kannten, beweisen musste, dass ich wie sie war, dass ich Italiener war, dass ich weiß war. Das verleitete mich dazu, im Kreise meiner Freunde sehr geschmacklose Witze über Schwarze und Einwanderer zu machen, und ich sagte sogar mit einer überheblichen Haltung, dass ich gegenüber Schwarzen rassistisch sei, als ob ich damit sagen wollte, dass ich nicht zu ihnen gehöre, dass ich kein Einwanderer sei."

Bei der EM 2021 ist sich Italiens Nationalmannschaft zunächst nicht darüber einig, wie man sich zum Kniefall-Protest gegen Rassismus verhalten soll. Beim Gruppenspiel gegen Wales geht der Gegner geschlossen auf die Knie, bei der Squadra Azurra nur fünf Spieler. Für Matteo Salvini, Lega-Politiker, Rechtsextremist und ehemaliger Innenminister, ist dies schon zu viel des Guten. Die Kicker sollten sich auf Fußball beschränken. Enrico Letta, Vorsitzender der Partito Democratico (PD) und vom 28. April 2013 bis zum 22. Februar 2014 Ministerpräsident Italiens, hat eine andere Kritik: „Wenn sie sich in der Kabine auf einen taktischen Plan einigen können, können sie sich vielleicht auch darauf einigen, vor dem Spiel zu knien.“ Im Viertelfinale gegen Belgien kniet dann die ganze Mannschaft – aus Solidarität mit Romelu Lukaku, ihrem Kollegen aus der Serie A. Auch vor dem Finale gegen England kniet die Squadra komplett.

 

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