Ob Marcel Reif, „Loddar“, „Effe“ oder Mehmet Scholl: Alte ehemalige Fußballer, Funktionäre und Reporter motzen gerne über die Jungen. Warum das so ist, was sie damit erreichen wollen – und wie es besser geht.
Dass die „Alten“ und „Ehemaligen“ herummäkeln, findet man auch in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Im Fußball aber ist das oft besonders penetrant und lautstark. Was auch mit einigen Medien (vornehmlich dem Boulevard) zu tun hat, die es lieben, wenn „die Alten“ und „Ehemaligen“ auf „die Jungen“ eindreschen. Bringt Klicks. Außerdem ist man derselben Meinung: Fußball muss so bleiben, wie er mal war. Einschließlich der Allgemeinplätze, Sprüche etc. Man stützt sich gegenseitig.
Weiterbildung? Nein, danke! Eigene Schwächen lassen sich immer noch am besten kaschieren, indem man frontal und lautstark angreift. Das war auch vor der WM 2014 so, als Béla Réthy (ZDF) und Marcel Reif damit prahlten, dass ihnen Diskussionen über taktische Weiterentwicklungen und Spielanlagen völlig schnuppe seien. Réthy damals: „Ich schaue immer nach abkippenden Sechsen oder anderen taktischen Volten, aber entdecke sie meistens nicht.“ Wäre es dann nicht sinnvoll, das Mikrofon weiterzureichen?
„Ich war besser als du!“
Im „Doppelpass“ wird über den Abstieg von Werder Bremen diskutiert. Im Studio sitzen: Olaf Thon, Alfred Draxler, Marcel Reif (also zweimal „Bild“), Stefan Effenberg und Peter Neururer. Entsprechend bescheiden sind meine Erwartungen.
Aus Bremen wird Frank Baumann zugeschaltet, Werders Sportdirektor. Baumann zu Effenberg: „Du warst ja auch mal ein ganz ordentlicher Spieler. Du weißt auch – auch wenn du immer vor Selbstvertrauen gestrotzt hast – dass es trotzdem auch Phasen gibt, wo vieles von alleine geht. Es gibt aber auch Phasen, wo es nicht funktioniert. Man hat nicht mehr das Selbstvertrauen. Das hat sich extrem verstärkt. Da haben wir keine Trendwende mehr schaffen können.“ Für Effenberg ist nur ein Satz von Bedeutung: „Du warst ja auch mal ein ganz ordentlicher Spieler.“
In seiner Eitelkeit getroffen geht „Effe“ an die Decke: „Du hast gerade gesagt: Ich war ein ordentlicher Spieler? Du warst ein ordentlicher Spieler, ich war besser.“ Ob „Effe“ nur ein ordentlicher Spieler war oder mehr, ob „Effe“ viel besser als Baumann war oder nicht – für das eigentliche Thema ist das völlig ohne Belang. Aber sofern die Medien über den Stammtisch berichten, geht es ausschließlich um diesen Zoff. Über sonstige Inhalte der Sendung erfährt man nichts. Allerdings gibt es solche auch kaum zu berichten.
Ich habe das Beispiel gewählt, weil es vortrefflich die Funktion „der Alten“ und „Ehemaligen“ im medialen Zirkus dokumentiert: Sie sollen für Schlagzeilen, Streit und Sprüche sorgen. Nicht für Substanz.
By the way: Effenberg war in der Tat mehr als nur ein ordentlicher Spieler. Aber seine Karrieren als Trainer (SC Paderborn) und Sportdirektor (KFC Uerdingen) waren kurz und erfolglos. Damit ist er nicht allein. Mario Basler war auf diesen Spielfeldern ebenfalls überfordert. Ein nicht unerheblicher Teil der Riege der „Alten“ und „Ehemaligen“ besteht aus Leuten, die im Fußball nach ihrer Spielerkarriere nicht reüssieren konnten.
Viele Menschen unter 40 interessiert nicht die Bohne, wie Effenberg, Basler, Thon oder Matthäus den heutigen Fußball kommentieren. Wer aktiver Teil des Spiels ist, beispielsweise als Trainer, kann von ihnen wenig lernen. Viele Erzählungen und Einschätzungen wirken aus der Zeit gefallen. Wer sich nicht mit Allgemeinplätzen, Anekdoten aus der Vergangenheit und Gerüchten zufrieden gibt, fühlt sich von Leuten wie Christoph Kramer oder Thomas Broich besser bedient. Jüngere Menschen amüsieren sich über diese Altherren-Runden, manchmal versehen mit einer Portion Mitleid. Denn häufig ist die Angst spürbar, die Welt vergisst die großen Leistungen. Oder man möchte sich noch einmal für einen Job in Erinnerung rufen. Und: Einige haben vielleicht das Gefühl, dass die rasante Entwicklung des Fußballs die eigenen Verdienste in Frage stellt. Auch wenn niemand diese Absicht verfolgt. Das „Alte“ wird verteidigt, indem man das „Neue“ angreift.
Berti Vogts (74) kritisiert die Trainer-Ausbildung im DFB: „Wie wir es zurzeit machen, das ist falsch. Ich habe Oliver Bierhoff mehrfach darauf hingewiesen, dass wir mit unserer Trainerausbildung nicht auf dem richtigen Weg sind.“ Sagt Vogts der „Sport-Bild“. Da es keine Veränderung gäbe, wäre er aus dem DFB-Beirat ausgetreten. Nur: Es gibt beim DFB kein Gremium, in dem Vogts Mitglied war, er behauptet einfach, in Sachen Trainerausbildung würde sich nichts bewegen. Was so nicht stimmt. Dann er noch einen Ratschlag parat: „Holt den früheren Trainer-Chefausbilder Erich Rutemöller zurück. Er hat zahlreiche Trainer ausgebildet, die heute auf allerhöchstem Niveau arbeiten.“ Sind die jüngeren Menschen nur doof? Ist Rutemöller unsere Rettung und Zukunft? Der Mann ist 76.
Mehmet Scholl und die „Laptoptrainer“
Mehmet Scholl kritisiert BVB-Trainer Edin Terzic. Nach Terzics zweitem Auftritt als Cheftrainer des BVB weiß Scholl bereits, in welche Schublade der Novize gehört. Terzic ist ein „Laptoptrainer“! Die sachliche Analyse der schwarz-gelben Niederlage bei Union Berlin ist für Scholl „nicht greifbar“. Diese sei so, „als würde ich sagen, morgen geht die Sonne weiter“. Das ist natürlich Quatsch. Terzics Analyse hat Scholl schlicht überfordert. Jürgen Klopp stellt die berechtigte Frage: „Welche Daseinsberechtigung hat Mehmet Scholl, über Trainer zu urteilen? Das würde mich wirklich mal interessieren.“ Die Daseinsberechtigung wird Scholl von jenen Medien ausgestellt, die vom Ex-Profi genau diese Sprüche hören wollen. Auch weil Scholl sie in ihrem Konservativismus bestätigt.
Beim BVB wird Scholl glücklicherweise von niemandem ernst genommen. Man hält am Trainer fest, auch wenn die Ergebnisse zunächst nicht stimmen – und wird am Ende der Saison mit der Qualifikation für die Champions League und dem Gewinn des DFB-Pokals belohnt.
„Laptoptrainer“ ist zu einem Kampfbegriff geworden. Natürlich gibt es diese Nerds, die, was die Taktik anbelangt, analytisch perfekt sind, aber keine Mannschaft führen können. Weil es hierzu noch weiterer Qualitäten bedarf. Aber Nagelsmann, Terzic und Co. gehören nicht in diese Schublade. Mittlerweile wird jeder als „Laptoptrainer“ bezeichnet, der sich etwas tiefere Gedanken über den Fußball seiner Mannschaft macht. Möglicherweise treibt Scholl ein Minderwertigkeitskomplex. Als Trainer hat er keine Spuren hinterlassen. Der Fußball zieht weiter, aber Scholl möchte nicht zugeben, dass er den Anschluss verloren hat, weil er keine Lust auf Weiterbildung hatte, dass ein Edin Terzic, 13 Jahre jünger, mehr über Fußball weiß. Wie auch ein Julian Nagelsmann, sogar 18 Jahre jünger. Mehmet Scholl (51) ist sehr früh gealtert. Ganz anders als Jupp Heynckes oder Horst Hrubesch.
Loslassen? Nein, danke!
Nach dem Abstieg von Werder Bremen geraten Frank Baumann und Aufsichtsrat Marco Bode massiv unter Beschuss. Es feuern: Ex-Präsident Klaus-Dieter Fischer (80), Ex-Manager und Bode-Vorgänger Willi Lemke (74) und Reporter-Legende Jörg Wontorra (72), der in den Aufsichtsrat will. Werders finanzielle Probleme wurden noch unter der Regentschaft und Aufsicht von Fischer und Lemke eingeleitet und angehäuft. Und ist ein Jörg Wontorra, der von einer Rückkehr zu den großen Zeiten träumt, der richtige Mann für die Gestaltung der Zukunft? Aber es interessieren weder Fischers und Lemkes Mitverantwortung noch Wontorras Tauglichkeit für den Job. Es geht um Schlagzeilen und Stimmungsmache. Und „die Alten“ sind hier gerne behilflich.
Nur die Harten kommen in den Garten
Der Dauerbrenner jeder Generation: „Wir waren härter und mussten mehr erleiden!“ Lothar Matthäus hält die heutige Fußballer-Generation für wenig widerstandsfähig. „Ich kann das nie nachvollziehen, wenn die Spieler heute immer sagen: hohe Belastung, Hitze, englische Wochen.“ Vielleicht hätten die Spieler heute ein paar Partien mehr pro Saison, „aber dafür haben die jetzt einen Kader von mehr als 20 Leuten, und wir hatten in Mönchengladbach Anfang der Achtziger 13 oder 14 Stammspieler“.
Oral History liefert häufig nur einen Teil der Wahrheit. Picken wir mal eine Saison aus den 1980ern heraus. 1982/83 bestritt Gladbach 39 Pflichtspiele. Bei Bayern München waren es 2019/20 52 – verbunden mit strapaziösen Reisen. Der Kader der Gladbacher zählte 30 Spieler – das sind zehn mehr als 20 … Was Matthäus über die 13,14 Stammspieler erzählt, kann nicht stimmen. Von den 30 Spielern kamen 25 zum Einsatz. Nur zwei Spieler bestritten 30 und mehr Bundesligaspiele. Einer von ihnen war Matthäus, der einzige, der in allen 34 Begegnungen auf dem Platz stand. Insgesamt sechs verbuchten 25 und mehr Einsätze, elf 20 und mehr. Wenn Matthäus bei allen 39 Pflichtspielen (Bundesliga plus fünf im Pokal) dabei war, fiel seine Belastung trotzdem deutlich geringer aus als für viele Bayern-Spieler in der Spielzeit 2019/20. In dieser Saison bestritten neun Spieler der Bayern mehr als die 39 Spiele der Gladbacher aus der Saison 1982/83 – die meisten deutlich mehr. 16 kamen auf 25 und mehr.
Matthäus weiter: „Rotieren, das ist ein Wort, das hat’s im Fußball früher nicht gegeben. Du wolltest immer spielen! Auch wenn du verletzt warst, wolltest du spielen.“ Was Matthäus möglicherweise vergessen hat: Die Rotation wurde in der Bundesliga von Ottmar Hitzfeld eingeführt. Bei Bayern München. Kapitän war damals Lothar Matthäus.
Dann fällt mir noch eine kleine Geschichte ein. Vor einigen Jahren war ich bei Sky eingeladen. Bayern spielte gegen Manchester United. Die Zeit bis zum Auftritt durfte ich gemeinsam mit Franz Beckenbauer verbringen. Auf dem Monitor liefen in Endlosschleife die letzten Minuten des Champions-League-Finals 1999, das die Bayern gegen die Red Devils in der Nachspielzeit verloren. Matthäus hatte sich in der 81. Minute auswechseln lassen. Beckenbauer nun: „Wir haben das Spiel wegen Ottmar verloren.“ Ich: „Warum wegen Ottmar?“ Beckenbauer: „Der hat den Matthäus rausgenommen.“ Ich: „Aber der Loddar wollte doch raus, war angeschlagen, hat in Richtung Hitzfeld gewunken …“ Beckenbauer: „Ich habe dem Ottmar gesagt: Wenn der Lothar winkt, dann musst du einfach nur zurückwinken!“ Effenberg und Scholl warfen Matthäus damals vor, sich im entscheidenden Moment aus dem Staub gemacht zu haben. Nein, auch der Lothar wollte nicht immer spielen …
Lothar Matthäus war ein harter Hund, aber er sollte bei seiner Rückschau nicht übertreiben. In der WM-Saison 1989/90 absolvierte Matthäus 40 Spiele für Verein und Land. Thomas Müller kam in der WM-Saison 2013/14 auf 60. Die Laufleistung hat seit 1990 zugenommen, das Tempo ebenfalls. Auch sitzen die Spieler noch häufiger im Flugzeug (dank der Champions League) und verbringen noch mehr Nächte in fremden Betten.
Der Zyniker: Felix Magath
Für Felix Magath (67) sind so ziemlich alle aktuellen Trainer Versager. Pep Guardiola warf er vor, er sei beim FC Bayern gescheitert. Denn er habe mit dem Rekordmeister nie die Champions League gewonnen. Das gelang Magath ebenfalls nicht. Unter Guardiola erreichten die Bayern dreimal in Folge das Halbfinale. 2015/16 waren sie nicht das teuerste, aber das fußballerisch beste Team in Europa. Unter Magath war für die Bayern im Viertel- bzw. Achtelfinale Schluss. Magaths Bayern hinterließen in Europa keine positiven Erinnerungen. Die Magath-Jahre gehören mit zum Langweiligsten in der jüngeren Geschichte des Rekordmeisters.
Als die DFB-Elf in der WM-Qualifikation gegen Nordmazedonien unterlag, rief Magath sich in Erinnerung, indem er die sofortige Entlassung von Jogi Löw forderte. Solidarität unter Kollegen? Kennt Magath nicht. Kein Ex-Trainer holzt so gegen Kollegen wie Felix Magath. Vielleicht kompensiert er so die Verletzungen, die ihm während seiner Trainerkarriere zugefügt wurden. Vielleicht ist es auch Frust: Nicht einmal auf Schalke oder beim Hamburger SV ist Magath noch eine Option.
Magaths vorletzte Trainerstation war der FC Fulham, wo er den ultimativen Beweis erbrachte, dass seine Zeit abgelaufen ist. Anschließend folgte noch ein Engagement in China …
Der autoritäre Zyniker kennt nur einen Weg zum Erfolg: Druck ausüben, Angst einjagen. In offenen Gesellschaften erreicht man damit heute nichts mehr. Spieler wollen Dinge erklärt bekommen und hinterfragen den Wissensvorsprung des Trainers. Damit sie ihm folgen, muss er sie überzeugen. Ein guter Trainer (die Kriterien hierfür sind heute teilweise andere als früher) erzieht seine Spieler zum selbständigen Handeln auf dem Spielfeld – was nur funktioniert, wenn er ihnen auch Freiheiten gewährt. Ein guter Trainer bezieht die Spieler in seine Entscheidungen mit ein, anstatt diese zu erniedrigen.
In Fulham ließ Magath nach Niederlagen Spieler bis zur Erschöpfung laufen. Dann bestellte er den kompletten Kader in sein Büro, den er nun minutenlang schweigend anstarrte. Er wollte sehen, wer blinzelt. Denn dies sei ein Zeichen von Schwäche … Und den Stammspielern wurde verboten, sich während der Trainings mit den Reservisten zu unterhalten. Ist Magaths Meinung zur Personalie Löw wirklich relevant?
Im Januar 2020 wurde Magath bei der Onlinedruckerei Flyeralarm Leiter der neu gegründeten Unternehmenssparte Flyeralarm Global Soccer. In dieser Funktion betreute er die Würzburger Kickers sowie den FC Admira Wacker Mödling. Am Ende der Saison 2020/21 waren die Kickers aus der 2. Bundesliga abgestiegen. Mödling gelang noch der Klassenerhalt, nachdem Magath hier seine Aufgabe abgegeben hatte.
Von den „Alten“ und „Ehemaligen“ lernen? Na klar!
Horst Hrubesch hat als Interimstrainer des HSV einen starken Job gemacht. Aber anschließend wurde seine Arbeit ideologisiert: „Ein Trainer alter Schule! Nicht nur immer noch gut, sondern auch besser als diese Nagelsmänner …“ Hrubesch hat sich nicht daran beteiligt. Natürlich hat Hrubesch etwas, was sich einige junge Trainer erst erarbeiten müssen. Etwas, was vielleicht erst mit den Jahren kommt.
Selbstverständlich kann man von den „Alten“ und „Ehemaligen“ etwas lernen. Aber am meisten kann man von Menschen lernen, die nicht stehen geblieben sind. Die nicht sagen: „Dieser ganze moderne Kram ist Quatsch“, sondern sich hier die Expertise der Jungen zu Nutze machen. Mit 65 muss man nicht mehr zum Fachmann für Videoanalysen aufsteigen. Man kann diese Aufgabe an Jüngere delegieren. Um dann zu schauen: Was mache ich mit den Ergebnissen? Die heutigen Akteure können von den „Alten“ und „Ehemaligen“ lernen, wenn diese mit ihnen in einen ehrlichen, offenen und von gegenseitigem Respekt geprägten Austausch treten. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt über Hrubesch: „Was dem heute 70-Jährigen das Zusammensein mit den erheblich Jüngeren vereinfacht, ist seine Wissbegierde. Wenn er schon die allseits respektierte Vaterfigur war, wollte er von seinen Töchtern und Söhnen auch etwas erfahren: ‚Ich habe mir dann Sachen wie diese Apps auf dem Smartphone erklären lassen.‘“
Man kann von den „Alten“ und „Ehemaligen“ u.a. viel über den richtigen Umgang mit Krisensituationen lernen. Erfahrung ist ein unschätzbares Gut. Ältere (Ex)-Trainer und ehemalige Spieler können ihren Nachfolgern beiseitestehen, wenn die Medien auf sie eindreschen. Was sie aber leider viel zu selten tun. Hilfestellungen erfolgen in der Regel still und leise. In die Schlagzeilen kommt man damit nicht. Attraktiver ist es, den Boulevard zu munitionieren.