Die wichtigste Position im Fußball? Der Trainer (und natürlich auch: die Trainerin). Die gerade zu Ende gehende Saison liefert dafür vielfältige Beispiele. Dietrich Schulze-Marmeling sortiert und ordnet ein.
In dieser Saison hat sich das Trainerkarussell mal wieder heftig gedreht. Noch mehr Wirbel entwickelten allerdings Wechsel, die erst zur neuen Saison stattfinden. Marco Rose geht von Borussia Mönchengladbach zum BVB. In Gladbach wird sein Nachfolger Adi Hütter, der dafür Eintracht Frankfurt verlässt. Julian Nagelsmann wechselt von RB Leipzig zum FC Bayern, wo Hansi Flick das Weite sucht. Vermutlich wird er Jogi Löw als Bundestrainer beerben.
Böses Blut um Rose und Hütter
Die angekündigten Wechsel von Rose und Hütter haben für böses Blut gesorgt. Selbstverständlich gibt es am Verhalten von Marco Rose und Adi Hütter einiges zu kritisieren. Manche Empörung ist berechtigt, zumindest verständlich. Manche aber auch arg übertrieben.
Rose und Hütter haben keine Verträge gebrochen. Beide Trainer hatten Ausstiegsklauseln in ihren Papieren. Nun heißt es, und vermutlich ist etwas dran: Nach der Ankündigung, in der kommenden Saison für einen anderen Verein zu arbeiten, seien die beiden Trainer zu „lame ducks“ mutiert, weshalb ihre Mannschaften das Saisonziel verspielten. Ihre bisherigen Arbeitgeber hätten sie rauswerfen müssen.
Aber was bedeutet dies für die Zukunft? Muss jetzt jedem Trainer, der seinem Arbeitgeber mitteilt, er würde ihn im Sommer verlassen, vorzeitig gekündigt werden? Die Alternative könnte lauten: Der Trainer verschweigt dem Verein, den Spielern und den Fans seine Zukunftspläne. Nehmen wir mal an, das wäre möglich: Fußballvolk und Medien würden toben…
Ausgerechnet Trainer…
Was ebenfalls irritiert: Rose und Hütter wird ein Mangel an Loyalität vorgeworfen. Und: Immer mehr Trainer würden ihren Job nur noch als „Projekt“ betrachten. Sofern sie dies tun, sollte man die Vorgeschichte nicht vergessen. Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, sind die Trainer die Ersten, die ihre Koffer packen müssen. Auch nach Auffassung der Fans. Ausgerechnet von dieser Berufsgruppe ein Höchstmaß an Loyalität zu verlangen ist einigermaßen absurd. Sofern wir es nicht mit dem SC Freiburg oder Heidenheim zu tun haben: Ein Trainer, der seinen Job nicht als zeitlich befristetes Projekt betrachtet, ist ein Träumer. Wie viele Trainer sitzen denn tatsächlich fest im Sattel? Der Trainer, der eine Ausstiegsklausel strapaziert, vermeidet wenigstens, dass eine (weitere) Entlassung in seiner Vita steht.
Ob Lucien Favre beim BVB eine Ausstiegsklausel hatte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall verpasste er den richtigen Moment zum Absprung. Dieser war bereits im Sommer 2019 gekommen, als ihm sein Boss mehr oder weniger unverhohlen vorwarf, die Meisterschaft verspielt zu haben, um anschließend öffentlich Jürgen Klopp nachzutrauern. Hätte Favre damals geschmissen, hätte nicht er, sondern Aki Watzke am Pranger gestanden. Dass das mit Favre und der BVB-Führung keine Zukunft hat, unabhängig von der jeweiligen Qualität, war allerspätestens im Sommer 2020 klar. Vertrauen in den Trainer hatte die BVB-Führung vielleicht ein gutes halbes Jahr.
Bitte nicht im Fußball!
Wer Hütter und Rose ihre Wechsel nach Gladbach bzw. Dortmund vorwirft, ist offensichtlich komplett davor gefeit, seinen aktuellen Arbeitsplatz aufzugeben, wenn ihm ein besseres Angebot vorliegt. Ein Angebot, das mehr als „nur“ ein höheres Gehalt beinhaltet. Finanzielles und berufliches Weiterkommen? Aber bitte nicht im Fußball!
Okay, die Eintracht hat die Teilnahme an der Champions League grandios verspielt. Aber unterm Strich bleibt immer noch Platz 5 – zuletzt erreicht in der Saison 1993/94. Dass man in der aktuellen Saison von der Champions League träumen durfte, war nicht zuletzt das Verdienst von Adi Hütter. Sollte man nicht unter den Tisch fallen lassen. Und wenn Hütter sagt, die Eintracht habe vielleicht auch etwas über ihre Verhältnisse gespielt, kann man dies nicht völlig von der Hand weisen. Vielleicht wurde der Kampf um die Champions League auch so entschieden: Die Eintracht spielte zunächst über ihre Verhältnisse, der BVB zunächst unter seinen.
Die Fans: Ja, man darf sich über Rose und Hütter ärgern. Lautstark aber nur dann, wenn man von sich mit Gewissheit behaupten kann: Auch bei sechs Niederlagen in Folge hätte ich niemals zu den Leuten gehört, die dann „Rose raus!“ bzw. „Hütter raus!“ rufen.
Fußball ist eine ziemlich verschrobene Angelegenheit. Wir fordern von seinen Akteuren penetrant „Vereinstreue“ ein. Aber nur so lange, wie diese im Sinne des Betrachters „funktionieren“. Wenn nicht, schicken wir sie lautstark in die Wüste und treten noch heftig nach.
Bayern …
Zu einigen Personalentscheidungen in dieser Saison. Beginnen wir mit dem FC Bayern. Im Streit Flick kontra Sportdirektor Hasan Salihamidzic kam mir Flick zu gut weg. Ich hatte das Gefühl: Der will ohnehin gehen, hat aber das Problem eines noch bis Juni 2023 laufenden Vertrags. Und da wurde der Sportdirektor zum Sündenbock. Die Auseinandersetzungen mit Salihamidzic wurden intensiver und in die Öffentlichkeit getragen, als klar war, dass Jogi Löw seinen Stuhl nach der EM räumen würde. Trotzdem sah sich Flick kaum mit Kritik konfrontiert – im Gegensatz zu seinen Kollegen Rose und Hütter. Der Hansi war sauber und genoss die Solidarität der meisten Bayern-Fans. Kaum jemand warf ihm vor, er würde nach einem Grund suchen, um aus seinem Vertrag herauszukommen. Flick trieb den Konflikt bewusst auf die Spitze. Aber der böse Bube war der Hasan, der es dem Hansi unmöglich machte, seinen Vertrag zu erfüllen.
Flick hatte mit den Bayern innerhalb von wenigen Monaten das Maximum erreicht: Meister, Pokalsieger, Champions League-Gewinner, FIFA-Klubweltmeister. Das war nicht mehr zu toppen. Die aktuelle Saison war für Bayern-Ansprüche eher „schlecht“ – nur Meister. Und die Monate März 2020 bis April 2021 für einen Trainer pandemiebedingt (Spielplan etc.) extrem stressig. Und Flick ist nicht der klassische Vereinstrainer. Ungefähr die Hälfte seiner Trainerjahre verbrachte er als Verbandstrainer, also in einem etwas ruhigeren Job. Die Auseinandersetzungen mit Salihamidzic wurden intensiver, als klar war, dass Jogi Löw seinen Stuhl nach der EM räumen würde.
Borussia Dortmund …
entließ Lucien Favre und ersetzte diesen mit Edin Terzic. Dieser kam aus dem eigenen Stall, hatte zuvor einige schwarz-gelbe Nachwuchsteams trainiert, bevor er Co-Trainer von Favre wurde. Ich habe damals die Entlassung Favres kritisiert. Genauer: Sie war unausweichlich, aber mich nervte die gesamte Trainerhistorie des BVB seit dem Abschied von Jürgen Klopp. Terzic war für mich ein unbeschriebenes Blatt. Ich fand es aber gut, dass man keine Lösung à la Stöger wählte. Hervorragend fand ich, dass man an Terzic festhielt, als zunächst keine Besserung in Sicht war. In dieser Phase gab es viele Stimmen, die nach einer erfahrenen Kraft riefen. Der Ausgang der Saison hat den BVB-Verantwortlichen Recht gegeben. Auch unter Terzic spielte der BVB nicht immer die Sterne vom Himmel, aber dem 38-Jährigen gelang die Stabilisierung des launischen und unter Favre zuletzt wie tot wirkenden Teams. Terzic gab dem Team etwas, was es unter Favre vermisste. In der Endphase der Saison konnte man auch spielerisch glänzen, zumindest phasenweise. Und das war nicht das, was ihm Mehmet Scholl unterstellte, der Terzics sachliche Analyse nach einer Niederlage lächerlich machte und den Novizen – komplett ahnungslos, in die Schublade Laptop-Trainer steckte. Es waren nicht nur Terzics fachliche Qualitäten, die den BVB zu einem furiosen Saisonfinale trieben. Es war auch sein menschlicher Umgang mit den Spielern.
Bleibt Terzic? Ich würde ihm dazu raten. Auch weil ich mir nicht sicher bin, ob er auch an einem anderen Ort funktionieren würde. Vielleicht in Bremen, vielleicht in Freiburg.
Arminia Bielefeld …
entließ Uwe Neuhaus und holte Frank Kramer. Der Trainerwechsel war auf den ersten Blick unverständlich und unpopulär. Neuhaus hatte die Mannschaft überraschend in die 1. Liga geführt. Allerdings gab es wohl Differenzen bezüglich des Zuschnitts für die Zukunft. Dann kann eine Trennung auch dann richtig sein, wenn sie den kurzfristigen Erfolg gefährdet. Die sportliche Leitung sieht Arminia in erster Linie als Ausbildungsverein. Hierzu zählt eine enge Verzahnung von Nachwuchs und Profis. (Arminia hatte seine U23 nach der Saison 2017/18 abgemeldet, will nun aber wieder mit einer solchen an den Start gehen.) D.h.: Arminia will verstärkt auf Spieler setzen, die im eigenen Verein ausgebildet wurden. Bei Neuverpflichtungen geht es auch um Spieler, die noch am Anfang ihrer Profikarriere stehen, bei anderen Vereinen nicht reüssieren konnten, deren Potenzial vom bisherigen Arbeitgeber nicht goutiert wurde etc. Dies kollidierte mit der Kader-Philosophie von Neuhaus. Hinzu kamen schlechte Ergebnisse, weshalb die sportliche Leitung den Zeitpunkt gekommen sah, den Schnitt noch während der Saison zu vollziehen. Der sportliche Leiter, Sami Arabi, geriet in die Kritik. Aber man sollte nicht vergessen, dass Arabi bislang auf der „Alm“ einen überragenden Job gemacht hat. Als er diesen antrat, war Arminia in die 3. Liga abgestiegen und ohne Geld.
Neuhaus‘ Nachfolger wurde Frank Kramer, der über reichlich Erfahrung im Umgang mit Nachwuchsspielern verfügt. Kramer war u.a. für die DFB-Auswahlmannschaften U18, U19 und U20 verantwortlich gewesen und hatte bei RB Salzburg das NLZ geleitet. Aber Kramer hatte auch schon Profimannschaften trainiert. Mit Greuther Fürth einen Verein, der eine ähnliche Philosophie wie die Arminia verfolgt.
Werder Bremen …
entließ Florian Kohfeldt einen Spieltag vor Saisonschluss und übergab die arg abstiegsbedrohte Mannschaft der Vereinslegende Thomas Schaaf, dem Vater des „Doubles“ von 2004. Kohfeldt kam aus dem eigenen Stall. Ein Trainer, der den Verein in- und auswendig kennt, sich mit diesem hundertprozentig identifiziert und auch noch erfolgreich ist, ist ein Traum. Im Profibereich aber eher selten. Je größer und ambitionierter der Verein, desto unwahrscheinlicher. (Ausnahmen: z.B. Pep Guardiola / FC Barcelona).
2018/19 wurde Kohfeldt mit Werder Achter – die Mannschaft spielte einen ansehnlichen Fußball und „überperformte“. Weshalb manche dachten: So geht es jetzt weiter. Nein, es wird noch besser. Aber anschließend verlor Werder Max Kruse, kurz nach Beginn der Saison 2020/21 auch noch Davy Klaassen. Werder erlebte nicht zum ersten Mal, wie wichtig ein einzelner Spieler für eine Mannschaft sein kann. Im Sommer 2002 kam Johan Micoud zu Werder und machte eine gesamte Mannschaft besser.
Kohfeldt wurde nun einen Spieltag vor Schluss entlassen. Einige sagen: zu spät! Andere fanden es noch vor 14 Tage unmöglich, dass Sportdirektor Frank Baumann das Pokalhalbfinale gegen RB Leipzig zum „Endspiel“ für den Trainer ausrief. Allerdings tat Baumann dies nicht „ergebnisorientiert“. Hätte Baumann Kohfeldt nach einem engagierten Auftritt, der mit einer knappen Niederlage endete, entlassen, wäre dies auch auf wenig Verständnis gestoßen. Die öffentliche Meinung schwankte heftig – wie auch meine.
Kohfeldts Problem: Ein Kader mit dem sich seine Vorstellung vom Fußball nicht realisieren ließ. Dem Kader mangelt es an taktischen Optionen. Auffallend sind auch die technischen Probleme einiger Akteure. Kohfeldt liebt das Spiel mit dem Ball. Aber mit dem Ball können zu viele Spieler nicht besonders gut umgehen. Es fällt ihnen wenig ein. Möglicherweise ist Kohfeldt aber auch nicht der Trainer, der den Fußball „kann“, der diesem Kader angemessen wäre. Und wenn du hier versuchst, Kompromisse zu schließen, geht dies häufig daneben.
Thomas Schaaf wird die Spieler in den verbleibenden Tagen nicht besser machen, kann ihnen aber möglicherweise etwas vom verloren gegangenen Selbstvertrauen zurückgeben.
Für den Kader ist der Sportdirektor zuständig. Bevor man Frank Baumann an die Wand nagelt, sollte man erst einmal prüfen, was für Werder in dieser Spielzeit überhaupt möglich war. Als Werder 1999 seinen 100. Geburtstag feierte, luden das Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte (Focke Museum), die Universität Bremen und Werder zu einem Symposium ein. Thema: „Quo vadis, Fußball? Vom Spielprozess zum Marktprodukt.“ Am Abend gab es ein (bescheidenes) Essen in einer Turnhalle, wo der damalige Werder-Schatzmeister über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Profifußball in der Stadt Bremen referierte. Mein Eindruck war schon damals: Ziemlich irre, dass Werder zu den Topteams der Liga gehört und die Bayern wiederholt ernsthaft bis erfolgreich ärgern konnte. Aber der Tenor war schon: Unsere Zeit als hauptsächlicher Widersacher der Bayern ist vorbei – wir müssen den Staffelstab an Vereine wie den BVB übergeben. Fünf Jahre später dann das „Double“ – eine Sensation.
Aber seit Werders „Double“ von 2004 hat sich die Bundesliga schwer verändert. Wer den Verein noch immer an seinen Champions League-Jahren misst, hat dies ignoriert. Für einen Klub wie Werder ist heute nicht einmal die Zugehörigkeit zur 1. Liga eine Selbstverständlichkeit. Als Werder das „Double“ holte, waren der Hamburger SV, Hannover 96, Hansa Rostock, 1860 München und der 1. FC Kaiserslautern noch erstklassig. Die Sechziger und Lautern spielen aktuell in der 3. Liga, den Pfälzern gelang hier erst am letzten Wochenende der Klassenerhalt. Werder (und Schalke …) gehört zu den nur sechs Vereinen der Saison 2003/04, die seither nicht mindestens einmal abgestiegen sind. Der 1. FC Köln stieg gleich viermal ab, der VfB Stuttgart zweimal, obwohl ein Verein mit einem deutlich größeren wirtschaftlichen Potenzial als die Bremer. Was jetzt nicht heißen soll: höchste Zeit für einen Abstieg!
Fazit:
Erstens: Ich versehe Trainerwechsel eher mit einem Fragezeichen, aber im Falle von Favre, Neuhaus und Kohfeldt würde ich sagen: eher richtig. Was mitnichten heißt, dass es sich bei ihnen um schlechte Trainer handelt. Blödsinn. Dann wären über 90 Prozent aller Trainer schlecht. Zu den zehn Prozent würden solche Trainer gehören, die rechtzeitig selber die Reißleine ziehen – so wie Rose und Hütter. Zweitens: Der Trainer ist offensichtlich wirklich der wichtigste Mann.