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Vom Taktik-Nerd zum Bundesliga-Co: René Marić hat es vom Analysten bei Spielverlagerung.de zum Assistenztrainer von Marco Rose bei Borussia Mönchengladbach geschafft. Für den Werkstatt-Blog sprach er mit Dietrich Schulze-Marmeling über das Verhältnis von Taktikanalyse und Spielrealität, Ballbesitz- und Umschaltfußball sowie Jürgen Klopps FC Liverpool.
 

Maric
René Marić,
Borussia Mönchengladbach

René, wie groß ist der Sprung vom Taktik-Blogger auf spielverlagerung.de zum Co-Trainer?

Natürlich kann man die zwei Sachen nicht miteinander vergleichen. Auf dem Platz stehen, mit Leuten zu arbeiten, Trainingseinheiten zu planen, die Umsetzung zu vermitteln, das ist schon etwas ganz anderes. Glücklicherweise war ich ja schon zuvor Jugendtrainer, arbeitete seit 2010, also noch vor Spielverlagerung, eigentlich entweder alleine oder zu zweit meist als Cheftrainer im Amateurbereich. Dort ist das Niveau, die Infrastruktur und die Spielerqualität eine ganz andere, nichtsdestotrotz war es – im Verbund mit meinen unterschiedlichen Tätigkeiten auf und für Spielverlagerung – eine gute Vorbereitung.
 

Wie viel Realität steckt in dem von dir für spielverlagerung.de geschriebenen? Gibt es nicht Momente, die man im Nachhinein – nun selber auf dem Trainingsplatz und beim Spiel auf der Bank – anders bewertet? Dass also Szenen, die als geplant angesehen wurden, dem Zufall bzw. der Spontanität des Spielers entsprungen sind – sie also nicht trainiert wurden, gar nicht so gewollt waren.

Auch wenn es wohl nicht immer so rüberkam, hatten wir eigentlich damals schon immer gesagt, dass wir nur das Geschehen auf dem Feld analysieren, ohne zwingend Rückschlüsse auf mögliche Pläne oder ähnliches ziehen zu wollen. Das kennt ja jeder von sich selbst als Fußballer. Viele Entscheidungen trifft man instinktiv, teilweise sogar überraschend, um nicht zu sagen: Die Lösung wurde von der Situation aufgedrängt. Übertrieben gesagt: Wenn ich aus zwanzig Metern abziehe, weiß ich auch nicht, in welchem Winkel mit wie viel km/h der Ball unterwegs ist, sondern denke mir: „Fest genug in die Ecke, damit der Torwart den Ball nicht fangen kann“ – und bekanntlich klappt das seltener als gewünscht. Die Arbeit als Trainer auf höherem Niveau hat mich dann auch darin bestätigt. Fußball gilt nicht ohne Grund als player’s game.
 

Wie gestaltet sich die Aufgabenverteilung in eurem Trainerteam?

Marco ist der Chef, er hat den Überblick über alle Bereiche, bei ihm kommt alles zusammen. Letztlich trifft er die Entscheidungen oder übernimmt zumindest die Hauptverantwortung dafür. Manche Bereiche, wie der Athletikbereich von Patrick Eibenberger oder auch die medizinischen Aspekte, sind weitestgehend delegiert. Bei uns im Fußballtrainerstab ist es dann so, dass wir eigentlich alles gemeinsam machen, beispielweise jedes Training und jedes Spiel immer gemeinsam planen, jedoch mit Rücksicht auf die jeweiligen „Spezialitäten“. Alexander Zickler kümmert sich dann speziell um Standardsituationen, aber beispielsweise auch um isolierte Torschussformen oder technisches Einzeltraining im Abschluss mit den Stürmern. Frank Geideck und ich teilen uns Spielnachbereitung und Gegnervorbereitung ebenso auf die Spielformen offensiver wie defensiver Natur. In quasi allem davon ist Marco auch sehr aktiv und komplett involviert, weil er ein sehr gutes Auge und natürlich auch die Deutungshoheit in manchen Situationen besitzt. Und Eugen Polanski ist schließlich das Bindeglied zur Jugend und zur zweiten Mannschaft, kümmert sich also um die jungen Übergangsspieler.
 

Marco Rose hat in Mönchengladbach eine Mannschaft übernommen, die eher durch Ballbesitz-Fußball geprägt war. Man hatte den Eindruck, Max Eberl wollte einen Philosophie- und Stilwechsel. Euch ist es in erstaunlich kurzer Zeit gelungen, den Gladbach-Stil zu verändern. Wie war dies möglich?

Da kommen einige Faktoren zusammen. Grundsätzlich war die Mannschaft schon vergangene Saison sehr gut. Auf sehr vielem konnte man aufbauen, wir haben sogar einige Sachen von unseren Vorgängern übernommen und unser Repertoire damit erweitern dürfen. Speziell im Ballbesitzspiel sind die Unterschiede gering beziehungsweise viele Aspekte vorhanden gewesen, die wir weiterhin nutzen. Ein weiterer Faktor ist die Ruhe im und um den Verein. Unsere Presseabteilung macht hierbei ebenso einen sehr guten Job wie Max Eberl selbst. Letztlich ist das Entscheidende aber der Kader. Unser Scouting hat ihn top ergänzt, die Spieler selbst sorgen für eine angenehme, lernwillige Atmosphäre. Ohne ihre Bereitschaft und Mentalität wäre gar nichts möglich. Daher sind wir dankbar und froh, dass wir von Vereins- als auch Mannschaftsseite sehr gut unterstützt wurden.
 

Roger Schmidt hat mal gesagt, es sei möglich, einer Mannschaft „innerhalb kürzester Zeit eine komplett neue Spielphilosophie zu vermitteln und die eigene Handschrift erkennbar werden zu lassen. Vorausgesetzt, dass man als Trainer genau weiß, wo man mit der Mannschaft hin will.“ Wenn man sieht, wie schnell sich das Trainerkarussell heute dreht, wie wenig Zeit du als Trainer dafür bekommst, eine Mannschaft und deren Stil zu entwickeln, dass es vom ersten Tag an nur um das Ergebnis geht, können dann nur noch solche Trainer überleben?

Grundsätzlich stimmt das schon. Die Spielweise, also der grundlegende Spielstil, ist schnell erkennbar. Die Details darin, die konstante Umsetzung und das letztlich erreichbare Niveau zeigen sich aber erst später. Diese müssen über Monate erarbeitet, verfeinert und perfektioniert werden. Bestimmte Dinge dauern also länger, andere, grundlegende Sachen funktionieren schneller. Den einen Schritt zurück, um danach hoffentlich wieder zwei vorgehen zu können, gibt es ebenfalls immer mal wieder. Hier zählt dann das Vertrauen des Vereins und der Mannschaft: Dem Trainer Zeit zu geben, um auch solche Phasen zu überbrücken. Ohne die nötige Zeit wird es trotz allem nicht immer klappen.
 

Rene Maric beim Training
René Marić, Borussia Mönchengladbach


Ballbesitz kontra Umschaltspiel – ist diese Gegenüberstellung überhaupt noch zeitgemäß? Von außen betrachtet habe ich den Eindruck: Während ihr den manchmal etwas schwerfällig wirkenden Ballbesitzfußball der Gladbacher um laufintensives Pressing und den schnellen Tor-Abschluss bereichert habt, entdeckt man nun bei der Pressingmaschine RB Elemente von Ballbesitzfußball und Spielwitz.

Ich hatte zuvor schon angemerkt, dass wir mit der Mannschaft und auch ihrer Spielweise aus dem Vorjahr grundsätzlich zufrieden waren. Speziell im Spiel mit dem Ball wollten wir schon in Salzburg auch für ein gut organisiertes Positions- und Ballbesitzspiel stehen, welches den Spielern ermöglicht, ihre Qualitäten kreativ auszuleben. Diese Basis erkannten wir in Gladbach ebenso. Ebenso finde ich, dass schon vergangenes Jahr in Leipzig Tempo und Spielwitz vorhanden waren. Natürlich haben sich in der grundlegenden Intention einige Details verändert, aber für mich macht das Sinn: Diese Gegenüberstellung ist nämlich eben nicht mehr zeitgemäß. Im besten Fall ist man in allen Spielphasen dominant. Dass dies in einzelnen Situationen, Spielen oder Mannschaften anders priorisiert, betont oder umgesetzt wird, liegt in der Natur der Sache.
 

Jogi Löw ist nach Russland viel für seinen Ballbesitzfußball kritisiert worden. Aber ist es nicht schwierig, Umschaltfußball zu spielen, wenn der Gegner den Ball nicht haben will und hinten drin steht? War das Problem nicht eher, dass seine Außenverteidiger nicht dazu in der Lage waren, mal einen Gegner auszuspielen? Wie ihm überhaupt ein dribbelstarker, draufgängerischer Spieler fehlte?

Um im Detail einen Kommentar zu den Spielern abzugeben, habe ich weder genug gesehen noch ausreichend genau beobachtet. Und selbst dann würde ich mir das nicht anmaßen als Externer. Mit dem generellen Punkt gehe ich konform: Wenn der Gegner den Ball nicht haben will, mit einem Unentschieden, also einem 0:0, zufrieden ist, immer mit klarer Überzahl absichert, wird es schwierig ins Umschalten zu kommen. Nur über das Positionsspiel oder über die Verbindung von hohem Risiko und Gegenpressing kann man dem beikommen.
 

Wie würdest du Klopps Fußball in Liverpool beschreiben? Ich sehe da mehr Ballbesitzfußball als in Dortmund.

Sehr komplett. Zwar hatte seine Mannschaft in Dortmund, speziell in der Champions-League-Saison 2012/13 (Einzug ins Finale gegen den FC Bayern, Anm. d. Autors) , zahlreiche sehenswerte Spiele auch mit viel und in eigenem Ballbesitz, dennoch ist es noch mehr, noch besser geworden. Zumindest für mich als Fußballfan und Zuseher wirkt es so. Aber klar, wäre auch schade, wenn man sich als Trainer über Jahre hinweg nicht entwickeln würde. Letztlich glaube ich, dass Liverpool für den modernen Fußball steht: Pressen, wo es Sinn macht; Konterspiel, wann man kann; Positionsspiel, wenn man den Ball hat. Dazu kommen situativ intelligente erste, zweite Bälle und eine verbesserte Nutzung von Standardsituationen.
 

Und offensichtlich besitzt er eine Vorliebe für ehemalige RB-Fußballer – Naby Keïta, Sadio Mané, Takumi Minamino –, die schon in Salzburg das Pressen gelernt haben.

Und es sind ja auch noch super Fußballer. Alle drei haben Aktionen, mit Ball am Fuß oder ohne, die ihre Spielintelligenz und Technik zeigen und zum Zungeschnalzen sind. Wenn solche Spieler auch noch teamfähig sind und pressen, stellen sie das sehenswerte Gerüst für solche erfolgreichen Teams wie Klopps Liverpool oder auch Guardiolas Barcelona.

 

// René Maric (27) ist seit dem Sommer 2019 Co-Trainer von Borussia Mönchengladbach. Mit Cheftrainer Marco Rose arbeitete er bereits bei RB Salzburg zusammen. Zuvor machte sich Maric als Blogger einen Namen. Für das Portal Spielverlagerung.de sezierte er Spiele und schrieb u.a. ein ausführliches Porträt von Jupp Heynckes. Noch als Blogger arbeitete er für Thomas Tuchel und beriet den dänischen „Moneyball-Klub“ FC Midtjylland vor dessen Europa-League-Begegnung gegen Manchester United – die Dänen gewannen 2:1. Spieverlagerung.de – sind das nicht diese knochentrockenen Theoretiker, diese Taktik-Nerds? René Maric widerspricht diesem Klischee. Einer Karriere als Fußballer standen zahlreiche schwere Verletzungen entgegen. Und bevor ihn RB Salzburg engagierte, hatte er bereits Erfahrungen als Jugendtrainer gesammelt. //

 

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